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Singen, weil sie es kann

Eigentlich hat Mariah Carey einen schönen Job in Las Vegas, geschätzte 500 Millionen Dollar Finanzpolster - und eine Hochzeit mit einem Milliardär steht an. Neues Album gibt es keines. Wieso also die US-Sängerin auf eine Tour durch Europa geht, weiß niemand so genau. Immerhin führte sie diese auch in die Wiener Stadthalle – die sich ebenso unterbesucht präsentierte wie zuvor die Hallen in Deutschland.

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Gerade rund 3.000 Menschen waren am Dienstagabend gekommen, mit einem reinen Sitzplatzkonzept und verhängten Tribünen ließ sich das einigermaßen kaschieren. Gegen 21.00 Uhr wurde das sonst sehr brave Publikum beim Warten erstmals unruhig, per Durchsage wurde dann verkündet, dass irgendetwas mit Flugzeug und so wäre und es eh gleich losgehe.

Personal darf bei Kostümwechseln werken

Tatsächlich ließ sich Carey gegen 21.20 Uhr von vier Tänzern auf die Bühne tragen - auf einer Chaiselongue liegend, knapp bekleidet singend – also genau so, wie man sie aus ihren Musikvideos der vergangenen Jahre kennt. Die Tänzer, fünf Musiker, zwei Gesangsgehilfinnen und ein Mitsänger blieben so ziemlich alles, was am ganzen Abend auf der kargen Bühne neben Carey zu sehen war. Seine Auftritte hatte das Begleitpersonal vor allem dann, wenn Carey verschwand, um von einem Glitzerfummel in den nächsten zu wechseln.

Mariah Carey in der Stadthalle

ORF.at/Dominique Hammer

Tragende Rolle für Tänzer

Spätestens beim dritten Song „My All“ packte Carey dann ihre fünf Oktaven umfassende Stimme aus – und das kann schnell einmal Kopfweh verursachen, vor allem, wenn die Tonmischung zumeist ihre Zeit braucht, den Soundmatsch irgendwie auseinanderzudröseln. Sogar das Pfeifregister, also die höchste menschlich zu erreichende Tonlage, ist Carey ja zu eigen. Schön für sie.

Stilbruch mit Scheidung

Im Wesentlichen hat Carey zwei Arten von Songs: die frühen Schmachtfetzen und die späteren R&B-Stücke, manche ein bisschen flotter, die meisten eher nicht. Der Scheidepunkt im Musikstil war im Wesentlichen die Trennung von ihrem ersten Mann, dem Plattenboss Tommy Mottola. Jahre später deutete sie Gewalt in der Ehe an. Im heutigen Licht der Affäre Kesha, die derzeit offenbar keine Chance hat, sich juristisch gegen sexuelle Übergriffe durch ihren Produzenten zu wehren, wundern die Andeutungen wenig.

Mariah Carey in der Stadthalle

ORF.at/Dominique Hammer

Carey und Männer - keine einfache Geschichte

„Diva“ heißt durchgeknallt

Für Carey mündete das 2001 in einen psychischen Zusammenbruch inklusive bizarrer TV-Auftritte, wirrer Website-Postings und schließlich eines Klinikaufenthalts. Spätestens seit damals gilt sie als „Diva“ und ist auch dafür verantwortlich, dass die Bezeichnung als Synonym für völlige Durchgeknalltheit, absurde Superstarallüren und allerlei Neurosen verwendet wird.

So ganz der Draht zur wirklichen Wirklichkeit ließ sich auch bei der Wien-Show nicht ablesen. Anders als bei wirklich allen anderen Stars gab es keine Kameras und Leinwände, die Carey in Nahaufnahme zeigten. Natürlich rief sie das Publikum eh bemüht als „Austria“ und „Vienna“ an, winkte regelmäßig ins Publikum und erklärte nach gut einer Stunde, wie viel Spaß sie und die Band gehabt hätten – also: vorbauen zum schnellen Ende.

Duett mit einer Toten

Noch irritierender waren in der Show aber einige der eingespielten Videos: Die Leinwand hinter der Bühne war für Superstars sehr unspektakulär mit Visuals bespielt. Zu einigen Songs wurde einfach das Musikvideo gezeigt, bei „Always Be My Baby“ waren ihre mittlerweile vierjährigen Zwillinge Monroe (weiblich) und Moroccan (männlich) zu sehen – und bei „When You Believe“ war es dann klar.

Was der technisch einwandfrei dargebrachte Gesang nicht an Emotionen hergibt, wird mit nostalgischen Bildern versucht. „When You Believe“ ist das nachgesungene Duett mit einer Toten, Whitney Houston. Und während oben beide singend zu sehen waren, sang Carey unten mit oder gegen Houstons Stimme vom Band.

Vorsprung durch Technik

Dass die beiden einiges gemeinsam haben, ist ohnehin ohrenfällig. Mit Celine Dion als Dritter im Bunde bildeten sie in den 90er Jahren das Heulbojentriumfeminat, das Zehennägel zum Aufrollen, Hunde zum Jaulen und Kassen zum Klingeln brachte. Vor allem aber, und da ist Carey an erster Stelle zu nennen, haben sie den Stil der nachfolgenden Generationen von Sängerinnen maßgeblich beeinflusst – festgemacht an Careys „Without You", Houstons „I Will Always Love You“ und Dions „My Heart Will Go On“.

Mariah Carey in der Stadthalle

ORF.at/Dominique Hammer

Singen und hören

Zunächst wurde der melismạtische Gesang als Mainstream-Standard gesetzt, bei dem mehrere Noten auf eine langgezogene Silbe, zumeist einen Vokal, gesungen werden („I-I-I will always love you-ou-ou-ou“ usw. usf.). Vor allem aber setzte sich die Gesangstechnik des Belting durch, bei der - sehr, sehr vereinfacht gesagt - der Anteil der Bruststimme auch bei mittleren und höheren Tönen größer ist, statt sie klassisch vor allem mit der Kopfstimme zu singen.

Schädlicher als Raucherhusten

Schon bei der Definition sind sich Experten nicht ganz einig – aber zumindest darin, dass es nicht ganz einfach ist und man sich beim Üben einiges ruinieren kann. Und den Übenden kann man seit Jahren fast täglich im Fernsehen zusehen: bei Castingshows, wo es eben ums Schönsingen geht.

Genau dort gebe es drei Arten von Kandidaten, schrieb der US-Journalist Sean Daly schon 2006: die Talentierten, die Durchgeknallten und die „Mariahs“. Bei Letzteren würde noch dazu das Publikum glauben, dass sie wirklich gut sind. Carey sei „ohne Zweifel das Schlimmste, was dem Amateursingen seit Erfindung von Karaoke passiert ist“. Und ihr Song „Hero“ habe wohl mehr Kehlen ruiniert als Raucherhusten.

Ausgedinge in Las Vegas

Trotzdem: Die professionellen Nachfolgerinnen sind mittlerweile doch um einiges erfolgreicher als Carey selbst. Der letzte Nummer-eins-Hit in den USA gelang 2008, im selben Jahr landete auch zuletzt ein Album auf Platz eins. Das letzte von 2014 scheiterte auf ganzer Linie. Die Verpflichtung von 2015 auf ein Jahr Las-Vegas-Shows klingt da schon nach Ausgedinge. Erstaunlich jedenfalls, dass sich Carey nicht an die schöne Weisheit „What happens in Vegas, stays in Vegas“ hielt. Die leicht modifizierte Show von dort nach Europa zu bringen, wo es für sie in dem Jahrtausend wenig zu holen gab, ist relativ unerklärlich.

US-Hits heruntergespult

Ihre rein auf den US-Markt hin produzierten - und dort recht erfolgreichen - R&B-Songs verkauften sich hier so gar nicht. Insofern ist es auch kein Wunder, dass sie in Wien fünf Hits davon in wohl zehn Minuten herunterspulte. Zu einem geglätteten Medley reichte es auch nicht, reibungslose Übergänge zwischen den Songs schafften alle Beteiligten nicht. Höhepunkt am Schluss blieb dann der einzige große Charterfolg im deutschsprachigen Bereich, eben „Without You“ – eine Coverversion des 70er-Jahre-Songs der britischen Band Badfinger.

Können statt Kunst

Doch auch bei ihr ist es eher die Demonstration des technisch-physischen Könnens. Sie singt so, weil sie es kann, nicht um künstlerisch irgendetwas damit auszudrücken. Es geht um Gesangssport, den Eiskunstlauf des Singens, beeindruckend, wenn man so etwas mag, aber letztlich seelenlos. Ziemlich genau lange 85 Minuten nach dem Beginn des Konzerts endete es - gerade als ein paar sehr optimistische Besucher ihre Sitzplätze verließen und Richtung Bühne stürmten. Ohne Zugabe zog das Publikum ab, wahrscheinlich war die Bühne schon abgebaut, als die letzten Besucher die Halle verließen.

Christian Körber, ORF.at

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