Opposition „hat schon gewonnen“
Welche Wählergruppe, welche Faktoren werden den Ausschlag geben? Selten zuvor war eine Prognose ähnlich schwierig wie vor der Bundespräsidentschaftswahl am Sonntag - dem ersten Durchgang, denn angesichts einer Kandidatin und fünf Kandidaten und deren Umfragewerten ist eine Stichwahl de facto fix.
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Der Politologe Peter Filzmaier und der Meinungsforscher Günther Ogris (SORA) betonen beide gegenüber ORF.at, dass das individuelle Wahlverhalten diesmal besonders stark von sonstigen Urnengängen abweichen wird. Anders gesagt: Es wird besonders viele Wechselwähler geben. Die Abweichungen „müssen extrem stark sein“, darauf weisen laut Filzmaier allein schon die Umfragewerte von Irmgard Griss und Alexander Van der Bellen hin. Ogris rechnet damit, dass es deutliche Wählerflüsse etwa von der SPÖ zu Grünen und FPÖ sowie von der ÖVP zu Griss und FPÖ geben wird. Auch er konstatiert eine „geringere Wahllagerdisziplin als je zuvor“.
Klare Umfragen
Seit Beginn des Wahlkampfs lagen Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol beständig deutlich hinter Irmgard Griss, Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer. In den letzten Umfragen von OGM und Gallup vor der Wahl lag Van der Bellen bei 25/26 Prozent, Hofer bei 24/25 und Griss bei 20/21 Prozent. Hundstorfer erreichte 15/16, Khol elf Prozent. Richard Lugner kam auf drei Prozent.
Das ergibt sich zum Teil natürlich aus der großen Anzahl an Kandidaten mit realistischen Chancen. Doch nicht nur: Filzmaier glaubt, dass sich deutliche Abweichungen nicht nur verglichen mit der letzten Nationalratswahl ergeben, sondern auch mit der Sonntagsfrage - also welche Partei die Menschen aktuell wählen würden.
„Bei Weitem nicht am wahrscheinlichsten“
Dass die Kandidaten der Regierungsparteien, Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP), deutlich besser abschneiden könnten als in Umfragen prognostiziert, könne man natürlich nicht ausschließen, so Filzmaier. Auch dass Hundstorfer oder Khol - oder gar beide - in die Stichwahl kommen, sei „nicht ausgeschlossen, aber bei Weitem nicht die wahrscheinlichste Variante“, so Filzmaier mit hörbarem Vorbehalt.
Auf die Wahlgruppe der Älteren - sie gelten gemeinhin als die treuesten Unterstützer des Regierungslagers - sollten sie dabei aber nicht allzu sehr vertrauen. Einerseits gehen laut Ogris auch weniger Pensionisten zur Bundespräsidentenwahl als früher - denn auch bei ihnen mache sich überdurchschnittlich Pessismismus breit.
Das überholte Klischee
Zudem stimmt laut Filzmaier das Klischee, Ältere seien besonders treue Wähler, nicht mehr. Was für alle anderen Wahlen gilt, trifft freilich auch auf die Hofburg-Wahl zu: Allein aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung ist klar, dass die viel größere Zahl an älteren Wählern den Ausschlag gibt. Allein die über 60-Jährigen stellen mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten. Hier gibt es also viel mehr zu verlieren, als man bei den Jungen rein rechnerisch je aufholen könnte.
Letzte Hoffnung Unentschlossene
Auch wenn sich Hundstorfer und Khol betont optimistisch geben: Nach Ansicht Filzmaiers haben sie wenn überhaupt nur noch eine Chance: eine überdurchschnittliche Mobilisierung unter den Unentschlossenen. Das ist freilich nicht einfach: Khol müsste schon doppelt so viele Unentschlossene für sich gewinnen wie der Ex-Grünen-Chef Van der Bellen.
Die hohe Zahl an Unentschlossenen - in Medienberichten ist von bis zu einem Drittel die Rede - lässt theoretisch diese Möglichkeit wohl offen. Allerdings gibt Filzmaier zu bedenken: Wer jetzt noch unentschlossen sei, schwanke wohl vor allem zwischen der Option, nicht zu wählen oder doch wählen zu gehen - für wen man im zweiten Fall stimme, stehe dann wohl auch schon fest.
Frage der Mobilisierung
Neben der Frage, wie viele Stammwähler es bei einer Persönlichkeitswahl - noch dazu mit so vielen Kandidaten - überhaupt noch gibt, bleibt laut Filzmaier vor allem eine große Unbekannte: die Mobilisierungskraft von SPÖ und ÖVP. Denn grundsätzlich gelte die Regel, dass man mediale Präsenz brauche, um Themen zu setzen - ins Wahllokal bringe man die Menschen aber dadurch in der Regel nicht, sondern durch Hausbesuche, Händeschütteln und das gern Zitierte Laufen der Funktionäre.
Hier hätten SPÖ und ÖVP mit ihrer weit verzweigerten Parteistruktur grundsätzlich noch deutliche Vorteile - gegenüber Griss und Lugner sowieso, aber auch gegenüber Van der Bellen und Hofer. Die SPÖ könne das zweifellos noch in Wien, die ÖVP in Niederösterreich und Vorarlberg, doch sei fraglich, ob die Regierungsparteien flächendeckend noch dazu imstande seien.
Sieg für FPÖ und Grüne
Für FPÖ und Grüne hat sich die Hofburg-Wahl bereits vor dem Sonntag ausgezahlt: Beide „haben im Grunde schon gewonnen“, weil ein Kandidat von ihnen erstmals eine reale Chance auf den Einzug in die Hofburg habe - und weil eine Diskussion über die Schwäche von SPÖ und ÖVP ausgelöst wurde. Diese Debatte kann laut Filzmaier nur noch eingefangen werden, wenn sowohl Hundstorfer als auch Khol in die Stichwahl kommen. Vor diesem Hintergrund ergibt es auch Sinn, wenn Grüne und FPÖ mehr Geld für den Wahlkampf in die Hand nahmen als die Regierungsparteien - und das, obwohl die FPÖ das Amt am liebsten abschaffen würde.
Seit Wochen wird in Medien auch darüber spekuliert, ob und welche Folgen ein Ausscheiden Hundstorfers und Khols oder eines der beiden auf die Koalition haben könnte. „Am vernünftigsten“ wäre es, wenn SPÖ und ÖVP ruhig blieben und versuchten, bis 2018 wiederzuerstarken, so Filzmaier. Doch es sei natürlich fraglich, ob dann „immer nach strategischer Vernunft entschieden wird“. Und er fügt hinzu: Paradoxerweise wäre die Koalition weniger gefährdet, wenn sowohl Hundstorfer als auch Khol die Stichwahl verpassten.
„Absolut ungewöhnlich“
Die Schwäche der SPÖ- und ÖVP-Kandidaten sei für eine Bundespräsidentschaftswahl „absolut ungewöhnlich“, so Ogris. Das mache die Politik spannender, weshalb er - so wie Filzmaier - mit einer deutlich höheren Wahlbeteiligung als zuletzt (53,6 Prozent bei Heinz Fischers Wiederwahl im Jahr 2010, Anm.) rechnet.
Guido Tiefenthaler, ORF.at
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