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Alles andere als ein Kinderfilm

Die Stimmung im Dschungel ist schon einmal entspannter gewesen. Regisseur Jon Favreau hat den ernsten Grundton von Rudyard Kiplings Literaturklassiker „Das Dschungelbuch“ und einige der legendärsten Szenen aus der gleichnamigen musicalhaften Verfilmung von 1967 zu einem düsteren 3-D-Realfilm gemischt.

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Von seinen Grundzügen her ist „The Jungle Book“ eigentlich ein Actionfilm, was bereits in der allerersten Szene klar wird. Mogli hetzt darin durch den Dschungel, springt über Steine und Wurzeln und erklettert Bäume, während er von einem scheinbar riesigen, unsichtbaren Raubtier verfolgt wird.

Diese erste Szene führt dem Zuschauer auch vor, was 3-D-Technik im Jahr 2016 alles kann. Mit Hilfe von 100.000 Fotos, aufgenommen in verschiedenen Teilen Indiens, erschuf Favreaus Team einen komplett animierten Urwald. Bevölkert wird er von 70 Tierarten, die ebenfalls aus dem Computer stammen.

Furchteinflößender Tyrann

Der einzige reale Schauspieler ist der junge New Yorker Seth Neeli als Mogli, der als Findelkind von einem Rudel Wölfe rund um Anführer Akela großgezogen wird. Grundlage der Erziehung ist das „Gesetz des Dschungels“, das Mogli auch von seinem Mentor, dem weisen schwarzen Panther Baghira nähergebracht wird.

Szene aus den Dschungelbuch

2016 Disney Enterprises, Inc.

Mogli und Balu, der Bär

Der strenge, aber stets rücksichtsvolle Baghira will Mogli alles Menschliche austreiben und ihn zu einem Wolf formen. Dieses Setting verleiht dem Film jene gewisse Ernsthaftigkeit, die schon in Kiplings Original von 1894 spürbar ist. Auch der furchteinflößend animierte Tiger Shir Khan beruft sich auf die Regeln des Urwalds, als er von den Wölfen Moglis Auslieferung verlangt. Shir Khan fürchtet die Menschen vor allem für ihre Gabe, die „rote Blume“, das Feuer, kontrollieren zu können.

Im Gebüsch lauert der Ernst des Lebens

Den Wölfen bleibt keine andere Wahl - sie müssen das Menschenkind zurück zu Seinesgleichen schicken. Dem herrschsüchtigen und zu Gewaltausbrüchen neigenden Shir Khan ist das zu wenig. Er will Mogli nicht verbannen, sondern umbringen. Auf dem Weg aus der Wildnis trifft Mogli auf den Python Kaa - der anders als früher weiblich ist - und auf den Bären Balu.

Szene aus den Dschungelbuch

2016 Disney Enterprises, Inc.

Affenkönig Louie will Mogli ein Geheimnis entlocken

Die Riesenschlange hat wenig mit ihrer skurril-tollpatschigen Version aus dem Disney-Klassiker von 1967 gemein. Selbiges gilt für Balu: Der ist zwar nach wie vor eine Art Laissez-faire-Bär, aber anders als in der fast 40 Jahre alten Zeichentrickversion spannt er Mogli erst einmal unter einem Vorwand zum Arbeiten ein.

Favreau gönnt sowohl seinen Protagonisten als auch dem Publikum nur kurze, humoristische Atempausen. Als etwa Balu und Mogli fröhlich im Fluss planschen und dabei „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ anstimmen, raschelt es im Gebüsch am Ufer - und unvermittelt bricht der Ernst des Lebens über die beiden herein.

Hang zu Gigantomanie

An den Songs aus Disneys Klassiker kommt man als Regisseur des „Dschungelbuchs“ nicht vorbei. So kommt auch Affenkönig Louie, der Mogli entführt und ihm die Geheimnisse der „roten Blume“ entlocken will, mit „Ich wär’ so gern wie du“ zu seiner Gesangseinlage.

Um den Herrscher der Affen möglichst imposant darstellen zu können, ließen Favreaus Spezialisten eine vor Millionen Jahren ausgestorbene Menschenaffenspezies digital wiederauferstehen: den Gigantopithecus, der mehr als drei Meter groß und 500 Kilogramm schwer werden konnte.

Der Hang zur Gigantomanie ist eine der größten Schwächen des Films. Das Team rund um Favreau scheint auf die Formel „größer, besser, spektakulärer“ zu setzen. Was technisch realisierbar ist, wird umgesetzt, was in manchen Szenen auf Kosten der Tiefe der Geschichte geht. „Der Film ist eine uninspirierte Tradeshow der US-amerikanischen Animationstechnik des 21. Jahrhunderts“, wie die „Zeit“ harsch urteilte.

Demut vor der Natur

Dabei hätte „The Jungle Book“ durchaus Potenzial, ein modernes Märchen zu sein. In manchen Szenen blitzt eine Demut vor der Wildnis durch, wie sie sonst nur aus Naturdokumentationen bekannt ist. Wunderschön umgesetzt ist etwa die Anmut der Elefanten, die von den anderen Dschungelbewohnern als Götter des Waldes verehrt werden.

Brillant besetzt sind sowohl in der Original- als auch in der deutschen Fassung die Sprechrollen. Im Original gibt Bill Murray den Balu, Christopher Walken darf als Affenkönig Louie singen. Scarlett Johannson verleiht Kaa etwas Bedrohlich-Hypnotisches, und Idris Elba lässt als Shir Khan gleichermaßen Urwaldbewohner und Zuseher erschaudern. In der deutschen Fassung sind unter anderen Heike Makatsch, Armin Rhode und Ben Becker zu hören.

Überstrahlt wird die Leistung des Ensembles aber von den Special Effects und spektakulären Kampfszenen, deshalb auch in Österreich erst die Altersfreigabe von zehn Jahren. Der infernalische Showdown am Ende des Films erinnert an einen Superheldenfilm - was auch irgendwie konsequent ist, schließlich führte Favreau bei den ersten beiden „Iron Man“-Teilen Regie.

Philip Pfleger, ORF.at

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