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Ein Freizeitort als Gegenentwurf

„Hier ist’s so lustig wie im Prater“, befand Mephistopheles in Johann Wolfgang von Goethes „Faust“, erschienen 24 Jahre nach der öffentlichen Freigabe des Wiener Praters am 7. April 1766. Bis zum heutigen Tag hat das Areal nichts von seiner Wirkkraft auf Literatur, Film und Popkultur eingebüßt. Im Prater zeigt sich schließlich seit jeher auch die Verfasstheit der Gesellschaft.

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So viel konzentrierte Alltagsflucht lässt in Wien und Österreich kein anderer Ort zu. Das schafft emotionale Bindungen, auf den Prater können sich alle einigen - ob nun der Farbenrausch und die Geräuschkulisse der Fahrwerke und Gastronomiebetriebe im Wurstelprater oder die Qualität des grünen Praters für sportliche Stadtmenschen.

Zudem prallen im Prater die Bedürfnisse unterschiedlichster Gesellschaftsschichten aufeinander. Nicht nur das macht ihn zur großen Inspirationsquelle für Literaten, Filmschaffende und viele andere Kreative. Vor allem die rauere Seite der Gesellschaft drang hier immer schon durch. Diese Wunderwelt ist ein guter Nährboden für Geschichten aller Art und als Kulisse ohnehin ungeschlagen.

Prügel im Prater

Es ist nicht verwunderlich, dass sich Hanno Pöschl und Paulus Manker im österreichischen Filmklassiker „Exit ... nur keine Panik” als furioses Duo auch durch den Wurstelprater prügeln. Regisseur Franz Novotny pinkelte mit dem brachialen Filmwerk aus dem Jahr 1980 dem Mief der österreichischen Nachkriegsspießigkeit ans Bein. Dabei fließt der Alkohol in Mengen, und die Wirtshaussessel fliegen tief.

Eindrücke vom Wiener Wurstelprater

ORF.at/Lukas Krummholz

Auf Kinder übt vor allem der Wurstelprater eine magische Anziehung aus

Pöschl und Manker gaben in ihren Rollen prototypische Prater-Strizzis ab – halbseidene Gestalten mit dem Hang zur Nichtsnutzigkeit und zur Kriminalität, die den Stadtraum und insbesondere den Prater als ihr ureigenes Derivat empfinden. Sie zeigen dabei ein entsprechend sicheres Auftreten, das natürlich blanke Fassade ist und der jugendlichen Hoffnungslosigkeit geschuldet ist.

Der Prater ist zudem ein Ort der Gegenkultur zu allem Etablierten, wo Platz für Neues und für Utopie gegeben ist. In literaturwissenschaftlichen Betrachtungen zum Prater ist dabei von einem „hetero topos” die Rede. Der Prater ist demnach eine Gegenplatzierung und bildet ein Widerlager zu vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten - im Prater kann man ausbrechen.

Saltens Leid mit den Prater-Kellnern

Insbesondere Arthur Schnitzlers Novelle „Leutnant Gustl", die ihren Protagonisten in seiner Hoffnungslosigkeit von der nobel-urbanen Ringstraßen-Zone über den Donaukanal hinaus Richtung Prater gehen lässt, um die Dinge hinter sich zu lassen, wird als Beleg für diese literarische Funktion angesehen. Diese literarische Raumdarstellung ist kein Einzelfall und findet sich auch in Elfriede Jelineks „Die Klavierspielerin“.

Buchhinweise

  • Felix Salten: Wurstelprater - ein Schlüsseltext zur Wiener Moderne. Mit Originalaufnahmen von Emil Mayer, hrsg. von Siegfried Mattl und Klaus Müller-Richter. Edition Spuren, 256 Seiten, 19,90 Euro.
  • Arthur Schnitzler: Leutnant Gustl. Suhrkamp, 161 Seiten, 5,20 Euro.
  • Elfriede Jelinek: Die Klavierspielerin. Taschenbuchausgabe. Rowohlt Verlag, 336 Seiten, 8,99 Euro.

Felix Salten, der Autor von „Bambi” und aller Wahrscheinlichkeit nach der Geschichte der „Pepi“ Mutzenbacher, setzte dem Prater mit seinem 1911 veröffentlichten Werk „Wurstelprater“ ein literarisches Denkmal. In Kombination mit Fotos von Emil Mayer erschienen gilt der Text, der sich dem bunten Treiben im Prater als präzise Analyse der Zeit widmet, als Schlüsseltext zur Wiener Moderne. Seine besondere Not hatte Salten mit den Prater-Kellnern: „Er sieht dich nicht, er hört dich nicht.”

Ob Schnitzler, Adalbert Stifter, Stefan Zweig, Heimito von Doderer oder zeitgenössische Autoren wie Wolf Haas – der Prater hat sich tief in die Literatur eingeschrieben. Dass ihn auch das Kino zu verwerten weiß, demonstrierte Willy Schmidt-Gentner 1936 erstmals in Spielfilmlänge: „Prater”, dem später der emotionalere Titel „Der Weg des Herzens” verordnet wurde, spielte mit viel Drama und Herzschmerz im Künstlermilieu des Praters.

Verschwörungen und Zärtlichkeiten im Riesenrad

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann die internationale Filmkarriere des Praters. Holly Martins trifft in „Der dritte Mann” 1949 vor dem Riesenrad erstmals auf den totgeglaubten Harry Lime. 1973 wird Wien dann als Drehscheibe internationaler Verschwörungen von Fred Zinnemann in „Der Schakal” inszeniert, auch Zinnemann kam dabei um das Motiv Riesenrad nicht herum. Timothy Dalton dreht 1987 als James Bond ebenfalls eine Runde im Riesenrad, beim Aussteigen trifft er auf einen wesentlich gesitteteren Hanno Pöschl als noch in „Exit”.

Eindrücke vom Wiener Wurstelprater

ORF.at/Lukas Krummholz

Wiener Wahrzeichen und beliebte Filmkulisse: Das Riesenrad auf dem gleichnnamigen Platz im Prater

Cineastisch geprügelt hat man sich im Prater aber auch ohne Pöschl. Bud Spencer teilte in „Big Man – der Tod fährt Achterbahn” (1988) auf dem Prater-Gelände Watschen aus. Richard Linklaters „Before Sunrise” mit Ethan Hawke und Julie Delpy in den Hauptrollen rehabilitierte den Prater vom Image des Tummelplatzes für Agenten und Halbweltgestalten. Er inszenierte die einzige zärtliche Annäherung im Film natürlich im Riesenrad.

In den Prater oder zum Psychiater?

Auch wenn von den alten Tanzetablissements des Praters heute nichts mehr übrig ist, war es über weite Teile der Prater-Geschichte die Musik, die die Wiener besonders anlockte. Walzer- und Polkaklänge prägten die musikalische Kulisse in allen erdenklichen Formationen vom Damenquintett bis zum Orchester. Da ergibt es ein stimmiges Bild, dass die Wiener Clubkultur ab den 2000er Jahren in Form der Lokale Fluc, Pratersauna und Praterdome im Prater Einzug hielt.

Im Austropop war es weniger die Halbwelt des Freizeitgeländes, die besungen wurde, sondern die Funktion des Praters als Ort der Familie. Rainhard Fendrich besucht im Song „Die Geisterbahn” den Prater mit dem Großvater. Und der ungleich zynischere Ludwig Hirsch ließ seine „Omama” im gleichnamigen Song beim Sturmbootverfahren im Prater an ihren falschen Zähnen ersticken.

Strizzis 2.0

Die junge Generation heimischer Popmusiker kommt ebenfalls nicht ohne den Prater aus. Der Nino aus Wien reimt im Song „Hallo” der Formation Krixi, Kraxi und die Kroxn Psychiater auf Prater, und versteht die Begriffe als perfekte Gegensätze. „Du gehst jeden Tag in den Prater, und ich geh jeden Tag zum Psychiater.” Als Prater-Strizzi würde Nino eine gute Figur machen, hat dabei aber denkbar starke Konkurrenz aus dem eigenen Plattenlabel-Umfeld in Form von Wanda, deren Musik längst auch in deutschen Medien unter der Bezeichnung Strizzi-Rock firmiert.

Johannes Luxner, ORF.at

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