„Wie es aussieht, ist der Kampf vorbei“
Das UNO-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien hat den serbischen Nationalisten Vojislav Seselj freigesprochen. Seine Schuld an Kriegsverbrechen im Bürgerkrieg auf dem Balkan Anfang der 1990er Jahre sei nicht erwiesen, urteilten die Richter am Donnerstag in Den Haag. „Vojislav Seselj ist ein freier Mann“, hieß es wörtlich am Ende der etwa eineinhalbstündigen Urteilsverkündung.
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In der Urteilsverkündung selbst wurde mehrfach darauf verwiesen, dass einige Richter aus dem Kollegium das Urteil ablehnten. Unter allen als Kriegsverbrecher im früheren Jugoslawien Angeklagten kann Seselj als Chefideologe der Jugoslawien-Kriege gelten. Die Anklage hatte 28 Jahre Haft für Seselj gefordert, der unter Berufung auf gesundheitliche Probleme vor zwei Jahren vom Haager Tribunal eine Enthaftung erwirken konnte und die Urteilsverkündung aus dem heimatlichen Serbien verfolgte.
Ankläger finden sich mit Urteil ab
Die Staatsanwaltschaft erklärte ihrerseits, sie nehme den Freispruch in insgesamt neun Anklagepunkten - von Genozid über Mord und Folter bis zu Plünderungen - zur Kenntnis. „Zahlreiche Opfer und Gemeinden werden enttäuscht sein“, hieß es in einer Erklärung. Der kroatische Regierungschef Tihomir Oreskovic nannte den Freispruch „schändlich“. Er bedeute eine Niederlage für das Haager Gericht und die Staatsanwaltschaft, sagte er in Zagreb.
Die für Beziehungen zum Westbalkan zuständige Vizepräsidentin des EU-Parlaments, die österreichische Grüne Ulrike Lunacek, sah in dem Freispruch ein „verheerendes politisches Signal“. Seseljs fortdauernde Hetze dürfe deshalb gerade jetzt nicht unkommentiert bleiben. Es gebe „keine Kollektivschuld der serbischen Bevölkerung, aber es gibt Personen, die sich schuldig gemacht haben – und dazu gehört auch Seselj“.
Parolen wie damals
Auf der Nachrichtenplattform Twitter begleitete Seselj den Livestream aus Den Haag im Minutentakt mit nationalistischen Parolen über das „ewige Serbien“, dessen „treue Kinder“ und die „wachsende Macht seiner Idee eines Großserbiens“. Sich selbst bezeichnete er als unsterblich, da er den Kampf gegen „die“ (wohl alle von ihm als „Feinde“ Wahrgenommenen, Anm.) noch aus dem Grab führen werde. Den Freispruch nahm er schließlich doch zufrieden zur Kenntnis: „Wie es aussieht, ist der Kampf vorbei.“

APA/AP/Marko Drobnjakovic)
Vojislav Seselj bei der Pressekonferenz in Belgrad
Zu Mittag hielt Seselj schließlich unter großem Andrang eine Presskonferenz ab. Nach „so vielen Verfahren gegen unschuldige Serben“ habe das Haager Tribunal „diesmal“ das „einzig mögliche Urteil“ gefällt, sagte er dabei. Eine bereis bestehende Schadenersatzklage gegen das UNO-Tribunal auf zwölf Millionen Euro will er nun um zwei Millionen ausweiten, „wegen all des Leids, das mir angetan wurde“.
Ideologisches Unterfutter für Kriege
Trotz der inzwischen erwiesenen historischen Tatsachen blieb der heute 61-Jährige seinen Überzeugungen auch angesichts verlorener Kriege und der Beweisführung des Haager Tribunals treu. Er engagierte sich schon seit seiner Jugend politisch. Nach der Promotion zum Juristen wandelte er sich dabei vom überzeugten Kommunisten zum scharfen Kritiker dieser Ideologie, wofür er Mitte der 80er Jahre für zwei Jahre im Gefängnis saß.
Anfang 1991 gründete Seselj in der Tradition der großserbischen Tschetnik-Freischärler im Zweiten Weltkrieg die faschistische Radikale Partei (SRS). Ihr Ziel war es, den Vielvölkerstaat Jugoslawien in ein allein von Serbien dominiertes Gebilde umzuwandeln. Er lieferte mit Hunderten Schmähschriften und Hassreden das ideologische Unterfutter der Bürgerkriege (1991 - 1999) und war zeitweise ein enger Verbündeter des serbischen Autokraten Slobodan Milosevic.
Karadzic, Seselj, Mladic
2003 stellte sich Seselj freiwillig dem UNO-Kriegsverbrechertribunal. Wegen seiner Krebsdiagnose wurde er im November 2014 ohne Urteil aus der Untersuchungshaft in Den Haag entlassen und kehrte in seine Heimat Serbien zurück, wo ihn seine Anhänger frenetisch feierten. Nach seiner Rückkehr erklärte er öffentlich, er habe sich zuerst um die serbische Politik zu kümmern - was er etwa mit der öffentlichen Verbrennung einer kroatischen Flagge tat -, bevor er sich um seine Gesundheit kümmern könne.
Das Verfahren gegen Seselj war neben dem noch ausstehenden Verdikt über den serbischen Ex-General Ratko Mladic das letzte erstinstanzliche UNO-Urteil gegen die bestimmenden Persönlichkeiten der jugoslawischen Bürgerkriege. Das Urteil gegen den früheren Serbenführer Radovan Karadzic - 40 Jahre Haft wegen Völkermordes - war erst letzte Woche gesprochen worden. In über 20 Jahren hat das Tribunal 161 Personen als Kriegsverbrecher angeklagt und 81 Schuldsprüche gefällt. Zwölf Verfahren laufen noch in zweiter Instanz.
„Keine Zeit“ für Den Haag
Gemäß den Regeln des Gerichts hätte Seselj der Urteilsverkündung beiwohnen müssen. Das Gericht verhinderte jedoch im letzten Augenblick einen Eklat um eine mögliche Nichtauslieferung, indem sie erneut auf Seseljs Gesundheitszustand verwies. Der ist allerdings zumindest stabil genug dafür, dass er für seine SRS wahlkämpfen kann - weshalb Seselj auch über die amtliche Zeitung „Nowosti“ ausrichten ließ, er habe „keine Zeit, mich mit Den Haag zu befassen“.
„Ich befinde mich im Wahlkampf und habe jeden Tag Veranstaltungen. Mit denen bin ich fertig“, zitierte „Nowosti“ Seselj in seiner Mittwoch-Ausgabe. Im derzeitigen Parlament ist Seseljs Partei nicht vertreten. Die Zustimmung zur SRS stieg jedoch seit Seseljs Rückkehr in sein Heimatland zusehends. Sie kann laut Prognosen bei den bevorstehenden Parlamentswahlen sogar zur drittstärksten Kraft aufsteigen.
Einreiseverbot in Kroatien
Kroatien verhängte indes ein Einreiseverbot gegen den Politiker. Das berichteten die Medien in Zagreb am Donnerstag übereinstimmend unter Berufung auf die Polizei. Regierungschef Tihomir Oreskovic sagte vor Journalisten: „Er soll nur kommen, dann werden wir ihn verhaften.“ Seselj hatte zuvor angekündigt, in das Nachbarland reisen zu wollen. Zagreb hatte den Freispruch scharf kritisiert.
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