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Ärger über Prozessbeobachtung

Westliche Diplomaten haben in der Türkei derzeit einen schweren Stand. Präsident Recep Tayyip Erdogan wirft ihnen vor, sich in die inneren Angelegenheiten seines Landes einzumischen. Nicht nur ein satirisches Lied in einer NDR-Sendung führte zu diplomatischen Verwicklungen. Die Türkei regt sich auch über die Anwesenheit westlicher Diplomaten bei einem Prozess gegen zwei regierungskritische Journalisten auf.

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Erdogan, der als Nebenkläger auftritt, empörte sich darüber, dass westliche Diplomaten am Freitag die Eröffnung des Prozesses gegen die Journalisten Can Dündar und Erdem Gül der unabhängigen Zeitung „Cumhuriyet“ besucht hatten. Diesen wird die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen und droht lebenslange Haft.

„Was denkt ihr denn, wer ihr seid?“

Dass ausländische Diplomaten einen Strafprozess beobachten, ist an sich nicht ungewöhnlich. Doch Erdogan will in der Aktion einen feindseligen Akt beobachtet haben. „Was denkt ihr denn, wer ihr seid? Was habt ihr da zu schaffen?“, fuhr er die Diplomaten in einer Rede an.

Regierungstreue Medien und Politiker forderten gar den Rauswurf der ausländischen Vertreter, die beschuldigt wurden, sich aufzuführen wie Kolonialbeamte. Erdogan-Berater Ilnur Cevik schrieb in der Zeitung „Daily Sabah“ am Dienstag, sein Chef habe recht daran getan, die Diplomaten in die Schranken zu weisen: „Er hat den Gefühlen von Millionen von Türken Ausdruck verliehen, die Diplomaten satthaben, die den Eindruck vermitteln, der Türkei Vorschriften machen zu wollen.“

Erdogan und andere kritisierten unter anderem von den Diplomaten im Gericht aufgenommene und in Sozialen Medien verbreitete Selfies: Damit sei versucht worden, die Richter zu beeinflussen. Das Verfahren soll am Freitag unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortgesetzt werden - auch diplomatische Beobachter sind dann laut Medienberichten nicht mehr zugelassen.

Diplomaten vorgeladen

Am Dienstag wurden der deutsche Boschafter, der französische und britische Generalkonsul sowie andere diplomatische Vertreter ins türkische Außenministerium einbestellt. Erdogan ist insbesondere über eine Veröffentlichung des britischen Diplomaten Leigh Turner auf Twitter erbost und richtete an diesen die indirekte Warnung, ohne dessen Namen zu nennen: „Wenn diese Person noch immer ihren Dienst in der Türkei fortführen kann, ist das unserem Edelmut und unserer Gastfreundschaft zu verdanken.“ Hintergrund ist eine regierungskritisch anmutende Twitter-Nachricht Turners, in der er schrieb, die Türkei entscheide selbst, was für ein Land sie sein wolle. Erdogan erklärte, damit sei eine Grenze überschritten worden.

Frankreich weist Kritik zurück

Frankreich wies die Kritik der Türkei an der Präsenz scharf zurück. Französische Diplomaten würden weltweit das Geschehen in ihren Einsatzländern verfolgen und dabei auch „regelmäßig“ als Beobachter Prozessen beiwohnen, erklärte das Außenministerium am Dienstag in Paris. „Diese Praxis steht im Einklang mit dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen“, hieß es weiter.

Die Presse- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf kritische Äußerungen seien „für die demokratische Debatte grundlegende Bestandteile“, erklärte das Ministerium. Das gelte insbesondere für ein Land, das wie die Türkei dem Europarat angehöre und der EU beitreten wolle.

Auch Österreichs Generalkonsulin dabei

Auch Österreichs Generalkonsulin in Istanbul, Christine Wendl, kam zu dem Prozess, wie Außenamtssprecher Thomas Schnöll der APA am Montag sagte. Wendl habe sich dazu aber nicht öffentlich geäußert. „Wir haben keinen Tweet abgesetzt.“ Laut Schnöll wurden die Botschafter aller Staaten, die Diplomaten zu der Verhandlung schickten, ins türkische Außenministerium in Ankara zitiert, darunter Österreichs Botschafter Klaus Wölfer.

Der islamisch-konservative Staatspräsident weist regelmäßig Vorwürfe zurück, die Pressefreiheit in der Türkei werde eingeschränkt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 Staaten. Einheimische kritische Medien sind unter besonders großem Druck. So wurde Anfang März in der Türkei die größte Oppositionszeitung „Zaman“ unter staatliche Kontrolle und auf Regierungskurs gezwungen.

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