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Mehr Risiko gefordert

Der Bundespräsident soll ausgleichen und schlichten. Er soll alle Österreicher vertreten und über den Niederungen der Parteipolitik stehen. Daher waren in der Vergangenheit die Wahlkämpfe zumeist möglichst konsensual angelegt. Allerdings hatten auch noch nie fünf Kandidaten realistische Chancen auf den Einzug in die Stichwahl. Diesmal könnte mehr Profil gefragt sein.

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„Ganz anders“ sei diese Präsidentschaftswahl, sagte Politikberater Thomas Hofer gegenüber ORF.at. Politologe Peter Filzmaier sprach überhaupt von einer „einzigartigen“ Situation. Worauf die beiden Experten anspielen: Noch nie war die Entscheidung einer Bundespräsidentschaftswahl so offen wie dieses Jahr.

Das fängt bereits bei der Größe des Bewerberfeldes an. Fünf Kandidaten und eine Kandidatin stehen am 24. April auf dem Stimmzettel. Erst einmal – nämlich bei der ersten Hofburg-Wahl der Zweiten Republik 1951 – waren es so viele. Von einem knappen Rennen, wie es sich zurzeit abzeichnet, konnte damals freilich nicht die Rede sein. Es war von Anfang an klar, dass es die Kandidaten von SPÖ und ÖVP in die Stichwahl schaffen.

Zittern für Kandidaten der Regierungsparteien

Wenn sowohl die SPÖ als auch die ÖVP einen Kandidaten aufstellten, seien sie bisher gemeinsam immer auf über 80 Prozent gekommen, sagte Filzmaier. Einzige Ausnahme war das Jahr 1992. Thomas Klestil (ÖVP) und Rudolf Streicher (SPÖ) erreichten zusammen aber immer noch fast 78 Prozent.

Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer (FPÖ) und Rudolf Hundstorfer (SPÖ)

APA/Hans Klaus Techt

Geht es nach den Umfragen, hat FPÖ-Kandidat Norbert Hofer zurzeit besser lachen als sein SPÖ-Mitbewerber Rudolf Hundstorfer.

Von solchen Werten können die aktuellen Kandidaten der Regierungsparteien nur träumen. In fast allen Umfragen liegen Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP) auf den hinteren Plätzen. Nur Richard Lugner rangiert – deutlich abgeschlagen – noch hinter ihnen. Weder Hundstorfer noch Khol ist damit ein Einzug in die Stichwahl sicher. In den aktuellen Wählerbefragungen sind sie von den 20 bis 25 Prozent, die für die nächste Runde nötig sind, fast zehn Prozentpunkte entfernt.

„Gebot der Stunde“

Politikberater Hofer will zwar noch „kein finales Urteil fällen“. Doch bisher habe der Wahlkampf der beiden Regierungsparteien noch „Luft nach oben“. Auch wenn Hofer davon ausgeht, dass die Öffentlichkeit nicht alle Details der Kampagne mitbekommt. Vor allem die Kommunikation mit der Parteibasis laufe nicht nur über die Medien. Und auf diese – ihre Kernwähler – müssten sich jetzt sowohl ÖVP als auch SPÖ konzentrieren. „Es ist zum Beispiel für Khol ein Gebot der Stunde, ÖVP-Wähler wieder umzustimmen.“

Filzmaier sieht das ähnlich. Zwar würde es für die Kandidaten der Regierungsparteien auch mit dem Stammwähleranteil knapp werden. Momentan blieben Khol und Hundstorfer in den Umfragen aber sogar hinter den Umfragewerten ihrer Parteien zurück. Konsequenzen daraus scheinen die Wahlkampfteams freilich noch nicht gezogen zu haben. Laut Filzmaier wäre es zum Beispiel eine Möglichkeit, den Rückstand gegenüber den eigenen Wählern offen zu kommunizieren. Der Politologe sprach von einem möglichen „Solidarisierungseffekt“, den es auszulösen gelte.

Warum bisher weder SPÖ noch ÖVP auf eine solche Strategie gesetzt haben, sondern sich noch immer eher als Favoriten präsentieren? Offen über den eigenen Rückstand zu sprechen sei nicht ohne Risiko, so Filzmaier. Es könne eine gefährliche Eigendynamik bei den eigenen Wahlkämpfern auslösen – und damit bei jenem Funktionärsapparat, auf den die beiden Parteien für die Mobilisierung ganz besonders angewiesen sind.

Mobilisierung durch Favoritenrolle

Zumindest das ist ein Vorteil, den die beiden Regierungsparteien etwa dem von den Grünen unterstützten Alexander Van der Bellen voraushaben. Sowohl für Filzmaier als auch für den Experten Hofer ist die momentane Favoritenrolle Van der Bellens deshalb auch weniger eine Bürde, vielmehr ein Glücksfall. Die „First-Runner-Position“ bringe einen „Mobilisierungseffekt“ mit sich, sagte Filzmaier. Und Hofer in anderen Worten: „Die Führungsposition zieht potenziell Leute an.“ Ein Effekt, von dem auch die unabhängige Kandidatin Irmgard Griss zu Beginn des Wahlkampfes profitieren konnte.

Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen (Grüne) und Andreas Khol (ÖVP)

APA/Hans Klaus Techt

Das Bild der jüngsten Umfragen: Van der Bellen an der Spitze, Khol nur auf Platz fünf

Dass der offiziell unabhängige Kandidat seine Führung am 24. April mit ins Ziel nimmt, ist für die beiden Experten allerdings noch keine ausgemachte Sache. Beide gehen davon aus, dass die gut drei Wochen bis zur Wahl die entscheidenden werden. Sollte einem Kandidaten in dieser Zeit noch ein Fehler passieren, sollte er müde, ausgelaugt oder auch zu aggressiv wirken, könnte das merklich Wählerstimmen kosten, sagte der Politikberater Hofer.

„Starke Ansage“ vor der Wahl

Andererseits ist Filzmaier davon überzeugt, dass es von allen Kandidaten „zehn bis 14 Tage vor der Wahl eine starke Ansage“ brauche. Diese könne durchaus polarisieren, so der Experte. Er nannte als Beispiel etwa eine Aussage konkret zu den Befugnissen des Bundespräsidenten, etwa seine Rolle bei der Unterzeichnung von Staatsverträgen.

Laut Experten Hofer passiert das bereits. „Es ist erstaunlich, wie offensiv die eigene Rolle interpretiert wird“, so der Politikberater. Allerdings konzentrierte sich die Diskussion laut Filzmaier bisher vor allem auf die Regierungsbildung und –entlassung. Das sei aber „zu wenig“ – zumindest wenn man nicht Van der Bellen oder Norbert Hofer heißt.

FPÖ-Kandidat Hofer und der von den Grünen unterstützte Van der Bellen besetzten die Frage, ob und wie ein Präsident in die Regierungsbildung eingreifen kann, relativ früh. Auch wenn sich Politikberater Hofer nicht sicher ist, ob die klare Positionierung Van der Bellens tatsächlich klug war: Der kategorische Ausschluss der FPÖ habe Van der Bellen „verwundbar“ gemacht, so der Experte.

Polarisierung in Kauf nehmen

Chance und Gefahr gehen laut Filzmaier in diesem Wahlkampf aber ohnehin Hand in Hand. „Das Risiko im Wahlkampf, das alle Kandidaten auf sich nehmen müssen, ist diesmal von Natur aus höher“, so der Politologe. Die Kandidaten müssten sich auf kleinere Wählergruppen konzentrieren und damit eben auch in Kauf nehmen zu polarisieren. Die Aufregung, die etwa Khol vergangene Woche mit seinem Facebook-Posting auslöste, ist für Filzmaier deshalb auch nicht dem Zufall geschuldet. „Strategisch ist so etwa logisch.“

Präsidentschaftskandidaten Irmgard Griss

APA/Hans Klaus Techt

Ob die unabhängige Kandidatin Griss auch noch eine „starke Ansage“ liefern wird?

Ein „korrekt“ geführter Wahlkampf laufe Gefahr, langweilig zu werden. Es gebe passende und unpassende Strategien. Und „der Habitus der 60er und 70er Jahre ist nicht passend“, sagte der Politologe. Wenn das stimmt, dann könnte der Wahlkampf in den kommenden Wochen noch für einige polarisierende Aussagen von allen Seiten sorgen.

Als Ort dafür bieten sich laut den Experten die TV-Diskussionen in zwei Wochen an. Sowohl für Hofer als auch für Filzmaier nehmen die Zweierkonfrontationen zehn Tage vor der Wahl einen „zentralen Stellenwert“ ein. Hofer verwies auf die wichtigen Sympathiewerte, die Art und Weise des Auftritts beeinflussen können. Laut Filzmaier ist der Zeitraum genau richtig, um eine Botschaft zu platzieren – mit der nötigen Zeit zu wirken. Aber natürlich gelte auch: „Fehler sind dort am gefährlichsten.“

Martin Steinmüller, ORF.at

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