Kommunikation in 24 Sprachen
Rund um den Plenarsaal im EU-Parlament sind 24 Dolmetschkabinen angeordnet. So viele Amtssprachen gibt es in der EU, und in so viele Sprachen werden auch die Debatten, Ausschusssitzungen, Gipfel und viele Dokumente übersetzt. Obwohl manchmal Kritik an den hohen Kosten für diesen Aufwand laut wird, die Einführung einer gemeinsamen Sprache für die EU fordert praktisch niemand - im Gegenteil.
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Die kroatischen Dolmetscher und Übersetzer sind die Frischlinge im Team der Tausenden Mitarbeiter der Sprachdepartements von EU-Kommission und -Parlament. Sie sind erst seit dem EU-Beitritt Kroatiens 2013 an Bord des Babel-Tankers.

ORF.at/Sophia Felbermair
In Kanal 24 kann man im EU-Parlament seit 2013 den kroatischen Dolmetschern lauschen
So wie ihre Kollegen sorgen sie dafür, dass sich die Abgeordneten untereinander - auch wenn es inhaltlich kompliziert wird - verstehen, dass sie ihre Standpunkte in ihrer Muttersprache vertreten können und dass das, was sie vorschlagen, überlegen und entscheiden, auch von die Menschen in den Mitgliedsländern verstanden werden kann. Zumindest auf sprachlicher Ebene, wenn es schon auf der inhaltlichen mit der Kommunikation zu den Bürgern nicht immer so reibungslos klappt.
Keine Fremdsprachenkenntnisse vorgeschrieben
Vor allem das EU-Parlament sieht sich in dieser Hinsicht in einer Vorreiterrolle - man unterscheide sich von den anderen Organen der EU, weil man verpflichtet sei, ein Höchstmaß an Mehrsprachigkeit zu gewährleisten. „Jeder Bürger der Union hat das Recht, sich in das Europäische Parlament wählen zu lassen. Es wäre unvernünftig, von den Mitgliedern zu verlangen, dass sie eine der häufiger verwendeten Sprachen wie Französisch und Englisch vollkommen beherrschen,“ heißt es in den Leitsätzen des Parlaments.
Die Kosten der Mehrsprachigkeit
Gegen den Vorwurf, dass der Aufwand für Dolmetscher und Übersetzer in allen 24 Amtssprachen Geldverschwendung sei, ist man in Brüssel gewappnet. Der gesamte Übersetzungsaufwand koste jeden EU-Bürger weniger als einen halben Euro pro Jahr, heißt es von der EU-Kommission.
„Die Europäer haben nach europäischem Recht einen Anspruch darauf, die Arbeit des Parlaments in ihrer eigenen Sprache zu verfolgen, Fragen in ihrer eigenen Sprache zu stellen und Antworten in ihrer eigenen Sprache zu erhalten.“
Auch in der EU-Kommission spielt die Transparenz in Richtung Volk bei der Mehrsprachigkeit eine Rolle, hier wie dort geht es aber unabhängig davon auch sehr stark darum, den riesigen Betrieb überhaupt am Laufen zu halten. Wer sich einmal durch Aktennotizen und Protokolle der EU gewühlt hat, versteht, wieso Übersetzungsleistungen so wichtig sind: Selbst bei guten Englischkenntnissen, die man möglicherweise von Politikern erwarten könnte (und längst nicht immer erwarten kann), sind die Themen oft derart speziell, dass das benötigte Fachvokabular selbst sprachgewandten Abgeordneten Schwierigkeiten bereitet.
Ein Loblied auf die Muttersprache
Das ist aber noch längst nicht alles, sagt einer, der tagtäglich mit der Mehrsprachigkeit der EU befasst ist: Gerald Dichtl, seit über 20 Jahren Dolmetscher in der EU-Kommission und im Europäischen Rat tätig, weiß ein Loblied auf die Verwendung der Muttersprachen zu singen. „Die Mitgliedsstaaten sollen ja nicht die besten Sprachler nach Brüssel schicken, sondern die besten Experten.“ Wer in seiner Muttersprache reden könne, könne ungleich besser Positionen beziehen, Nuancen vermitteln und damit bei hochkomplexen Inhalten besser verhandeln oder debattieren.

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Im Parlament darf jeder Abgeordnete in seiner Muttersprache reden
Damit diese Nuancen auch nach dem Zwischenschritt über den Dolmetscher noch vorhanden sind, legt man bei Parlament und Kommission Wert darauf, die Kabinen im Großteil der Fälle mit Mitarbeitern zu besetzen, die aus ihrem erlernten Sprachrepertoire in die Muttersprache übersetzen.
Wer zuletzt lacht ...
Im Idealfall passiert das auch direkt von der Ausgangssprache. Bei 522 möglichen Sprachkombinationen muss manchmal aber auch über ein „Relais“ gearbeitet werden: Dolmetscher können sich, wenn sie die Ausgangssprache nicht sprechen, via Audioverbindung in eine andere Kabine schalten und die dortige Übersetzung mithören und weiterübersetzen.
Wer eine EU-Parlamentssitzung aufmerksam verfolgt, der kann die Reaktionen der Abgeordneten da schon einmal in Wellen erleben: Zuerst lachen jene, die den Abgeordneten direkt verstehen. Dann folgen jene, in deren Sprache direkt gedolmetscht wird, und dann, manchmal im Abstand von Minuten, wissen auch die Letzten, worum es gerade ging.
Eurospeak, Globish und schlechtes Englisch
Weil man in Brüssel aber nicht immer nur unterstützt von Dolmetschern zum Reden kommt, einigt man sich in der Euro-Bubble gern auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: Globish oder Eurospeak - eine Form von Englisch, meist mit gut erkennbarem Akzent gesprochen und mit nicht wirklich englischen Wortneuschöpfungen garniert. Eurospeak ist aber kein Freizeitphänomen, sondern eines, das sich auch in den Institutionen eingebürgert hat, weiß Jeremy Garner, ein britischer Beamter am Europäischen Rechnungshof.

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Die Tür zur Deutsch-Kabine im Pressesaal
„Über die Jahre haben die EU-Institutionen ein Vokabular entwickelt, das sich von jeder anerkannten Form von Englisch unterscheidet“, bekrittelt er seit Jahren. Er sammelt seit 2013 falsch oder missverständliche verwendete Begriffe und gibt jährlich ein Dokument mit dem Titel „Misused English Words and Expressions in EU Publications“ heraus. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, wie seine ständig wachsende Sammlung eindrucksvoll zeigt.
Kein Aids von der EU-Kommission
Zum Leidwesen Garners voll eingebürgert hat sich in der EU und damit auch in offiziellen Dokumenten etwa das Wort „aids“ als Pluralform von „aid“ (Beihilfe, Unterstützung) verwendet. Das Wort sei aber ausschließlich in der Singularform gebräuchlich - mit einem s würde aus den Fördermitteln die Krankheit Aids, erläutert Garner in seinem Dokument.
Mit Fehlern wie diesen hat es EU-Kommission-Übersetzerin Sylvia Kreuzberger tagtäglich zu tun: Texte, die von Nichtmuttersprachlern in Englisch vorgelegt würden, seien oft nur schwer zu durchschauen, und in weiterer Folge entsprechend aufwendiger zu übersetzen, sagt sie.
Wo man also hinschaut (oder besser gesagt: -hört), wird in der Brüsseler Bubble ein Loblied gesungen: Gleichermaßen auf die Mehr- wie auf die Muttersprachlichkeit und ganz besonders gern in geschliffenem Eurospeak.
Sophia Felbermair, ORF.at, aus Brüssel
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