„Wenn das keine Haftanstalt ist ...“
Die Weiterleitung von Flüchtlingen in EU-„Hotspots“ in Griechenland ist die vorerst einzige augenfällige Auswirkung des europäisch-türkischen Flüchtlingspakts. Weil vor allem die EU-Registrierungsstelle Moria auf der Insel Lesbos ihrer Meinung nach inzwischen einem Zwangslager gleichkommt, haben das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und Ärzte ohne Grenzen (MSF) ihre Hilfe dort am Dienstag eingestellt.
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Das UNHCR begründete den Stopp aller Transporte nach Moria damit, dass die Menschen dort keine Bewegungsfreiheit mehr hätten und ihre Behandlung Freiheitsberaubung gleichkomme. In Moria - und den vier weiteren EU-„Hotspots“ auf Samos, Chios, Leros und Kos - sollen Flüchtlinge festgehalten werden, bis am 4. April geplantermaßen deren Rückschiebungen in die Türkei beginnen. Die EU und die Türkei hätten mit ihrem Flüchtlingsdeal „eine rote Linie“ überschritten, erklärte das UNHCR.
Keine behördlichen Strukturen, keine Infrastruktur
Das UNHCR sagte, der Stopp der Flüchtlingstransporte sei eine Grundsatzentscheidung. Die Beschränkung der Freiheit von Menschen ist laut der Menschenrechtskonvention nur nach Gerichtsverfahren oder wegen einer kriminalpolizeilichen Notwendigkeit erlaubt. Das UNHCR will weiter an der Küste und im Hafen von Lesbos dabei helfen, Menschenleben zu retten. Im Lager werde man beobachtend und beratend tätig sein.

APA/AFP
Flüchtlinge vor Moria am Montag
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk hat sich mehrfach besorgt gezeigt, dass der rechtliche Schutz von Flüchtlingen in der EU-Türkei-Vereinbarung unter die Räder kommen könnte. Wenn Leute zurückgeschickt würden, die in der Türkei keinen Schutz genössen, gebe es gar völkerrechtliche Probleme. Der Pakt zwischen der Türkei und der EU sei „übereilt in Kraft gesetzt worden“, unterstrich das UNHCR: Weder gebe es die behördlichen Strukturen zur Umsetzung noch Unterbringungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge.
Auch Kinder müssen in Baracken bleiben
MSF wird seine Arbeit in Moria im Laufe des Dienstags einstellen. In dem ehemaligen Gefängnis dürften „Frauen, Kinder, ganze Familien nun nicht einmal mehr ihre Baracken verlassen. Wenn das keine Haftanstalt ist, was ist es dann?“, sagte ein Sprecher der Organisation am Dienstag gegenüber der dpa zur Begründung der Entscheidung. Bisher hatten die Teams von Ärzte ohne Grenzen in dem Auffanglager die hygienische und medizinische Versorgung übernommen.

Reuters/Alkis Konstantinidis
Flüchtlinge warten nach ihrer Rettung auf offener See am Dienstag auf einem griechischen Schiff auf ihren Transport nach Moria
Zudem unterstrich das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) am Dienstag in Genf seine Sorge über das Schicksal minderjähriger Flüchtlinge, die mit 19.000 Menschen - davon 1.900 unbegleitet - derzeit „40 Prozent der in Griechenland Gestrandeten ausmachen“. Diese seien „keine Nummern“ - bevor man über ihre Rückschiebung rede, müsse man sich vor allem um ihren Schutz und die volle Umsetzung der Menschenrechte kümmern.
Auch Oxfam zieht sich zurück
Als weitere Hilfsorganisation kündigte am Donnerstag Oxfam an, aus Protest gegen die Zustände im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos ihre Arbeit dort einzustellen. Oxfam protestiere damit gegen die „Beschneidung von Menschenrechten“, erklärte die Organisation. In dem Camp würden Menschen eingesperrt, die „keinerlei Verbrechen begangen“ hätten, kritisierte Oxfams Griechenland-Beauftragter Giovanni Riccardi Candiani.
Flüchtlinge würden in Moria mit stark eingeschränkter Bewegungsfreiheit festgehalten, um von dort „zwangsweise“ in die Türkei zurückgebracht zu werden, erklärte Oxfam. Die Verantwortung für das Camp in Moria sei kürzlich vollständig dem griechischen Innenministerium unterstellt worden, wodurch Moria von einer Aufnahmeeinrichtung zu einem „geschlossenen Abschiebezentrum“ geworden sei.
Sinkende Zahlen vermutlich trügerisches Zeichen
Die Zahl von Flüchtenden aus der Türkei nach Griechenland ist indes weiter zurückgegangen. Zwischen Montag- und Dienstagfrüh setzten rund 600 Flüchtlinge von der türkischen Küste auf Ägäis-Inseln über, wie der griechische Stab für die Flüchtlingskrise mitteilte. Am Vortag waren im gleichen Zeitraum 1.662 Menschen eingetroffen. Sogar seitens der griechischen Küstenwache wurde das aber eher als Indiz dafür gewertet, dass alternative Flüchtlingsrouten zu den bisherigen an Bedeutung gewännen.
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