Themenüberblick

Spurensuche im Dunkeln

Auf den Spuren von Geistern und eines geisterhaften Bruders durch Marokko, in Wien mit magischen Kräften im Kampf gegen das Dauerpräkariat: Wolfgang Popp und Barbi Markovic haben zwei bemerkenswerte Romane vorgelegt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Wolfgang Popp gilt spätestens seit seinem Episodenroman „Die Verschwundenen“ im Vorjahr als heiß gehandelter Geheimtipp unter den Literaturaffinen dieses Landes. Popp jagt keinen Trends hinterher, weder in Sachen Stil, noch was seine Themen betrifft. Seine Bücher atmen die Luft der Klassiker. Man stelle sich ein Max-Frisch-artiges Setting vor, in dem sich ein Autor mit der Coolness Hemingways und der Phantasie eines Gabriel Garcia Marquez austoben darf.

In seinem jüngsten Roman „Wüste Welt“ bringt eine SMS die mühsam geordnete Welt eines Sängers ins Wanken. Seit Jahren hat er seinen jüngeren Bruder nicht mehr gesehen. Und plötzlich diese kryptische Nachricht, eine verschlüsselte Aufforderung, nach Marokko zu kommen. Früher schon hat der Kleine den Großen dominiert. War immer und überall schneller, besser, lauter, beliebter gewesen. Und nun soll der Große dem Kleinen wieder folgen.

Schnitzeljagd durch die Wüste

Anfangs noch ist der Sänger besorgt, doch schon bald wird ihm klar, dass der Bruder mit ihm eine magische Schnitzeljagd veranstaltet, bei der wenig dem Zufall überlassen bleibt. Mit einem Mietauto zieht der Ich-Erzähler los und folgt den Hinweisen. Einmal ist es ein zurückgelassenes Buch mit Notizen, dann ein Foto in der Auslage eines Geschäfts oder eine „Zufallsbekanntschaft“, die „zufällig“ weiß, wo der Bruder gerade unterwegs ist, wie ein Ethnologe auf den Spuren der alten Geister der Region.

Buchcover von "Wolfgang Popp: Wüste Welt"

Edition Atelier

Wolfgang Popp: Wüste Welt. Edition Atelier, 160 Seiten, 19 Euro.

Doch, ganz wie früher, immer ist der Kleine dem Großen einen Schritt voraus. Der treibende Rhythmus von Popps mystischem Abenteuerroman wird getaktet von den Stationen der Reise. Ein magisches Ritual, ein überstürztes Liebesabenteuer, ein Besuch bei geisterhaften Prostituierten, die einem hundertjährigen Codex folgen, alte Malereien, Geistergeschichten, ein Abend in einem irgendwo unter verwinkelten Gassen versteckten Lokal: Diese Roadnovel irrlichtert mit flirrendem Spannungsbogen durch ein Marokko der Träume und Alpträume.

Der brüchige Held reist dabei nicht nur in die Welt am Rande des Bewusstseins und darüber hinaus, sondern auch in seine eigene Geschichte. Der Weg ist das Ziel, wobei – was das Ziel war, darüber darf nach der Lektüre gerätselt werden: Der Roman wirkt nach. Der passende Soundtrack für alle, die gerne mit Musik lesen: Das neue Album der algerischen Band Imarhan. Klingt so, wie Popp schreibt.

Ruppig, räudig, radikal

Anders, ganz anders der erste Roman der in Serbien aufgewachsenen Schriftstellerin Barbi Markovic (Jahrgang 1980). Die Lektüre ihres Buches kann mit dem Besuch eines Konzerts der punkfeministischen Elektro-Clash-Ikone Peaches verglichen werden. Rhythmuswechsel, Breakbeats, Drops - ruppig, räudig und dennoch sympathisch erzählt sie aus der Ego-Perspektive mit schnoddrigem Tonfall über drei Freundinnen, die im Leben noch nirgendwo angekommen sind, obwohl man in ihrem Alter eigentlich schon längst irgendwo hätte ankommen sollen.

Jeden Samstag trifft sich die Schicksalsgemeinschaft im fragwürdigen Cafe Sette Fontane am Wiener Siebenbrunnenplatz. Schicksalshaft verbunden sind die drei durch ihre magischen Fähigkeiten. Die Auslöschung und der Blitz sind die Mittel ihrer Wahl. Schon in der Kindheit, im ehemaligen Jugoslawien, wurden sie von ihren Meisterinnen angeleitet in den magischen Techniken, deren radikalste die Auslöschung ist - mehr dazu in fm4.ORF.at.

Ausradiert aus dem Gedächtnis

Dabei verschwinden Menschen mitsamt ihrer gesamten Geschichte - als ob es sie nie gegeben hätte. Wird der gewalttätige Mann einer Frau „gelöscht“, so ist sie plötzlich Single und war das auch schon immer. Die Oma einer der dreien hatte es, schon etwas verwirrt im hohen Alter, damit so übertrieben, dass sie das ganze Land nachhaltig destabilisierte.

Markovic ist in der heimischen Literatur schon länger präsent. Besonders in Erinnerung blieb ihr stadtethnologisches Projekt „Graz, Alexanderplatz“, das in ein Theaterstück einfloss. Damals hielt sie in einem Buch alles fest, was sie an Schrift auf einem Platz in Graz fand: Werbebotschaften, ausgestellte Menükarten von Restaurants, Sicherheitshinweise, einfach alles. So viel Seltsames ballert in unser Hirn - permanent; ein eindrückliches Experiment.

Buchcover von "Barbi Markovic: Superheldinnen"

Residenz

Barbi Markovic: Superheldinnen. Residenz, 176 Seiten, 18,90 Euro.

Umgeballert von Sprachbotschaften

Auch in „Superheldinnen“ wird die Methode der sprachlichen Botschaftencollage wieder, wenn auch nur in geringen Dosen, treffsicher zum Einsatz gebracht, wenn die drei im Sette Fontane zusammensitzen, bei Rückblicken nach Berlin und ins ehemalige Jugoslawien. Was sich als Märchen anhört, ist im Gegenteil gegenwartsgesättigt. Denn die Superkräfte werden dort ausgespielt, wo Menschen unter die Räder kommen - und die Gründe dafür sind täglich im Wirtschaftsteil der Zeitungen nachzulesen.

„Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht?“ fragt die Musikerin Christiane Rösinger (Britta) in einem Song. Und diese Frage stellen sich auch die drei Frauen, die allesamt irgendwo irgendwie herumwurschteln, anstatt irgendwo irgendwie anzukommen. Gemeinsam schreiben sie eine Horoskopkolumne, wobei sie sich Energie von den Leserinnen schicken lassen, Energie, die sie für ihre Magie brauchen. Und wenn sie diese Energie für sich selbst einsetzten? Diesen Gedanken getrauen sie sich lange nicht zu fassen.

Markovic’ Roman ist laut und anarchistisch, gleichzeitig witzig und spannend, energiegeladen und immer kurz vor der Explosion stehend. Wolfgang Popp hat seinen treibenden, ruhigen Rhythmus gefunden, mit dem er aufmerksames Lesen ohne einmal abzusetzen erzwingt. Beide etablieren sich zusehends als gewichtige Stimmen im heimischen Literaturensemble.

Simon Hadler, ORF.at

Links: