Merkels Stärkung wenn über die Bande
Als Plebiszit über den Flüchtlingskurs der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wurden die Landtagswahlen am Sonntag in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt medial ausgerufen - und unzureichend verkürzt. Ist die Logik der Politik und die des Wählerwillens so simpel wie manche Zuspitzung, dann hat sich zumindest für die Union die Anti-Merkel-Stimmungsmache im Westen nicht ausgezahlt. Gewonnen haben Landesmutter und Landesvater mit moderatem Kurs.
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„Des is ned schön“ - auf diese knappe Formel brachte Julia Klöckner, einstige Winzerkönigin und CDU-Nachwuchshoffnung in Rheinland-Pfalz, ihr Wahlabendgefühl in der ARD auf den Punkt. Sie war lange in den Augen der rheinhessisch-pfälzischen Öffentlichkeit die klare neue Ministerpräsidentin in spe, die eigentlich über Jahre hinweg ihren Homerun nach Mainz geplant hatte. Bis die Flüchtlingskrise kam - und mit ihr der Kurs von Merkel. Mit prominenten Gästen im Wahlkampf und aus dem eigenen europäischen Lager versuchte Klöckner noch in letzter Minute eine Absetzbewegung von Merkel.
Bericht aus Berlin
Der Protest gegen Flüchtlinge habe bei den Landtagswahlen über die beiden Volksparteien gesiegt, zeigten erste Wahlanalysen, so ORF-Korrespondentin Birgit Schwarz aus Berlin.
Doch auch Auftritte von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) halfen am Ende nicht. Die politische Stimmung drehte sich für die großen Lager in Richtung moderat bzw. zur alles überdeckenden Landesmutter Malu Dreyer, die einer lange Zeit gebeutelten SPD nach Kurt Beck den Wahlsieg in Rheinland-Pfalz sichern konnte.
„Weg von Merkel“ hilft den Rändern
Genutzt hat der Anti-Merkel-Kurs im deutschen Westen der Alternative für Deutschland (AfD), die aus dem Stand über zehn Prozent erreichte, und der FDP, die wieder in einen deutschen Landtag einzog. Für Dreyer beginnt nun eine schwierige Regierungsbildung. Denn zwischen SPD und Union gibt es kaum noch Berührungspunkte.

Reuters/Ralph Orlowski
Dreyers offensiver Umgang mit der eigenen MS-Erkrankung half ihr in ihrer politischen Karriere ebenso wie die moderaten Töne in der Flüchtlingsfrage
Kretschmann: Historischer Triumph und offene Fragen
Ähnlich die Lage in Baden-Württemberg, zumindest was die Koalitionsbildung betrifft. Der grüne Landesvater Winfried Kretschmann führte mit seinem Mitte-Kurs die Grünen erstmals in Deutschland und noch dazu in einem der traditionell schwärzesten Bundesländer klar auf Platz eins.
Unterwegs verlor er dabei seinen bisherigen Koalitionspartner SPD, der stark Federn lassen musste für den pragmatischen Kurs des grünen Landesvaters, der, wie es der Wahlabend verdeutlichte, ohnedies die Herzen vieler Unionswähler gefunden hatte: „Grün ist das neue Schwarz“, stand auf den Schildern der grünen Wahlparty zu lesen.

Reuters/Michaela Rehle
Der grüne Landesvater Kretschmann strahlt
Kretschmanns logischer Koalitionspartner wäre die CDU - doch ob die schon so weit ist, Juniorpartner einer grünen Regierung zu werden, bleibt abzuwarten. CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf möchte weiter zumindest die Union im Stuttgarter Landtag führen.
AfD mit Katapulteffekt
Die SPD fiel neben Kretschmann in den Bedeutungsverlust und landete auf Platz vier hinter der AfD, die in Baden-Württemberg aus dem Stand fast 15 Prozent einfuhr. Mit über acht Prozent nutzte auf der anderen Seite auch die FDP die Stunde der politischen Zuspitzung. Kretschmann bleibt wie seiner Kollegin in Rheinland-Pfalz eine Dreierkoalition oder dann doch die unwahrscheinlichere Zweiervariante.
Volatiles Sachsen-Anhalt
Im Fall von Sachsen-Anhalt zeigte sich einmal mehr, wie sehr die Wählerschaft im Osten in Bewegung ist - und wie selten genau diese Bewegung ins Lager etablierter Parteien fällt. Zwar verteidigte dort Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) seine Nummer-eins-Position.
Doch zweitstärkste Kraft im Land klar vor allen anderen wurde die AfD, die beinahe auf ein Viertel der Stimmen kam. Drittstärkste Kraft wurde die Linke, die SPD schaffte gerade die Zehnprozentmarke. Als Koalitionspartner, der man bisher war, kann man sich einer Union, die nur an der Dreißig-Prozent-Marke liegt, nicht empfehlen. Die Regierungsbildung könnte hier am schwierigsten werden.
Was ist nun die Lehre?
Die drei Wahlen galten als deutschlandweiter Stimmungstest für Merkels Flüchtlingspolitik. „Mit gleich drei Wahlen in drei Flächenländern hat Merkel nun ein Meinungsbild“, schrieb am Sonntagabend die dpa, um gleich dazuzufragen: Aber welche sei nun die Lehre? Eine Analyse im Lager der Union lautete jedenfalls: Wolf und Klöckner hätten sich von Merkel abgesetzt - „und so was schätzen CDU-Leute nicht“. Für den Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte blieb zu dem Abend ein „paradoxes Resümee“, wie er im ZDF festhielt: Wer Merkel stärken wollte, habe sich bei Kretschmann und Dreyer besser aufgehoben gefühlt.
Gerald Heidegger, ORF.at
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