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„Weniger als ein Zehntel“ der Herbstzahlen

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) sieht „fast einen Stillstand“ der Flüchtlingsbewegung auf der Balkan-Route. Die „Zahl der ankommenden Flüchtlinge ist niedrig. Seit einiger Zeit sind das weniger als ein Zehntel der hohen Zahlen vom letzten Herbst“, sagte De Maiziere.

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Am Mittwoch verzeichnete die deutsche Bundespolizei den zweitniedrigsten Tageswert in diesem Jahr. An dem Tag seien 125 Menschen im Bundesgebiet angekommen, davon 89 in Bayern, sagte ein Sprecher der Behörde am Donnerstag in Potsdam. Am Vortag waren es deutschlandweit 162 Personen gewesen. Im März kamen bisher im Schnitt knapp 313 Menschen pro Tag nach Deutschland.

Zuletzt wurden am 15. Februar mehr als 2.000 neue Flüchtlinge bei Kontrollen in Grenznähe festgestellt. Danach fiel die Zahl zunächst auf unter 900 Personen pro Tag, seit zwölf Tagen liegt sie unter 600 pro Tag. De Maiziere sagte vor Beginn des EU-Innenministerrats in Brüssel, „wir arbeiten daran, dass das so bleibt“. Bis zum nächsten EU-Gipfel in einer Woche sei noch einiges zu tun. Aber „die Zeit des Durchwinkens ist vorbei, allerdings jetzt auf einer europäisch koordinierten Basis“, meinte der Minister.

„Hilfe für Griechenland“

Wesentlich sei auch, Griechenland zu helfen, wobei De Maiziere darauf verwies, dass „die Zahl der Flüchtlinge jetzt in Griechenland im Verhältnis zur Bevölkerung immer noch deutlich niedriger ist als das, was Deutschland, Schweden, Österreich letztes Jahr aufgenommen haben“. Es sei aber dort Hilfe geboten, und nun könne man das „auch ruhig und ordentlich abarbeiten“. Dazu gehöre auch die Hilfe für Griechenland bei der Rückführung von Schutzsuchenden in die Türkei.

Es sei von zentraler Bedeutung, dass die Türkei angeboten habe, Flüchtlinge, die in Griechenland ankommen, zurückzuführen. Das müsse jetzt schnell in Gang kommen. Im Gegenzug erwartet die Türkei, dass andere Flüchtlinge - nicht die zurückgeführten - in einem geordneten Verfahren legal nach Europa gebracht werden. „Wir sind auf sehr gutem Weg“, so der deutsche Innenminister. Allerdings gehe es auch um die Sorge, dass andere Flüchtlingsrouten aufgemacht werden. „Das Stichwort Libyen - Italien spielt da eine Rolle. Wir sind mit den Italienern im Gespräch, um dort frühzeitig ähnliche Entwicklungen wie auf der Balkan-Route zu vermeiden.“

Das „1:1“-Modell - syrische Flüchtlinge in Griechenland werden in die Türkei zurückgeschickt, dafür werden im gleichen Maß bereits in der Türkei befindliche syrische Flüchtlinge in die EU verteilt - ist für De Maiziere eine „Maßnahme, damit das Geschäftsmodell der Schleuser entfällt. Bisher sind die Schleuser die eigentlichen Gewinner und alle anderen die Leidtragenden.“

Merkel sieht es differenzierter

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte die EU, die Verantwortung für die in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge zu übernehmen. Für diese Menschen gelte noch nicht das mit der Türkei geplante Rücknahmeabkommen, sagte Merkel in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview des Hörfunksenders MDR Info.

Sie kritisierte zugleich die nationalen Grenzschließungen Österreichs und einiger Balkan-Länder. „Ich persönlich bin der Meinung, dass diese einseitige Entscheidung Österreichs und dann in der Folge auch der Balkan-Länder zwar uns weniger Flüchtlinge bringt, auf der anderen Seite aber Griechenland in eine schwierige Situation bringt“, sagte sie. „Deshalb ist das Problem nicht gelöst, indem einer eine Entscheidung trifft. ... Deshalb setze ich mich für eine wirklich europäische Lösung ein.“ Neben dem Schutz der Außengrenzen müsse auch an der Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten gearbeitet werden, sagte Merkel. Ansonsten könne das EU-Land Griechenland die Situation auf Dauer nicht bewältigen.

Mikl-Leitner: Balkan-Route bleibt geschlossen

Österreich wird nach Worten von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) seine Grenzkontrollen bis auf Weiteres fortführen. „Grundvoraussetzung dafür, dass die Binnengrenzkontrollen fallen, muss tatsächlich eine sichere (EU-)Außengrenzkontrolle sein. Und das gilt es abzuwarten“, sagte Mikl-Leitner. Sie bekräftigte, dass die Balkan-Route geschlossen bleibe. „Österreich bleibt bei seiner Politik. Ich rücke hier nicht ab von der Position, dass die Balkan-Route auch weiterhin geschlossen bleibt. Das Durchwinken muss weiterhin beendet sein. Unkontrollierte Migrationsströme müssen der Geschichte angehören.“

Für die Flüchtlinge in Griechenland sei entscheidend, dass Athen Unterstützung bekomme. Das größte Problem sei, dass noch immer Hoffnungen und Erwartungen der Flüchtlinge geweckt werden. „Das Ehrlichste ist es, den Flüchtlingen zu sagen, dass es kein Durchkommen auf der Balkan-Route mehr gibt.“ Die 35.000 Flüchtlinge in Griechenland zu versorgen sei „machbar und schaffbar“.

Kritik an Türkei-Deal

Angesprochen auf den Fahrplan der EU-Kommission, die ein Ende aller Binnengrenzkontrollen für Dezember will, sagte Mikl-Leitner: „Es fehlt mir der Glaube, dass das tatsächlich gelingt.“ Der Fahrplan sei dennoch einmal ein sehr guter Ansatz. „Wir werden uns aber darauf sicher nicht verlassen, sondern werden weiterhin bei unseren Maßnahmen bleiben, nämlich temporäre Grenzkontrollen weiter fortzuführen und hier auch alles Weitere vorzubereiten.“ Die Rechtsgrundlage für die derzeitigen Kontrollen läuft im Falle Österreichs Mitte Mai aus.

Mikl-Leitner bekräftigte ihre Kritik an dem vom EU-Gipfel angestrebten Deal zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung mit der Türkei. Sie halte es „für äußerst fragwürdig, wenn die Türkei eine regierungskritische Zeitung unter Zwangsverwaltung stellt und drei Tage später die Europäische Union mit einer Wunschliste konfrontiert und damit auch noch belohnt wird, dass man über eine Vorverlegung der Visaliberalisierung diskutiert. Da stelle ich mir schon die Frage, ob wir uns und unsere Werte letztendlich über Bord werfen“, so die Innenministerin.

Mikl-Leitner: EU muss Türkei als sicher anerkennen

In Hinblick auf die geplante Flüchtlingsvereinbarung müsse die EU die Türkei als sicheres Herkunftsland anerkennen, erklärte Mikl-Leitner. Beim EU-Innenministerrat sei das als Voraussetzung der Kooperation genannt worden, sagte die Innenministerin nach Beratungen.

„Auch das wurde besprochen, dass natürlich eine Kooperation mit der Türkei an gewisse Voraussetzungen gebunden ist, dass Griechenland die Türkei als sicheren Drittstaat anerkennen muss und dass vor allem die Europäische Union auch die Türkei als sicheren Herkunftsstaat anerkennen muss“, so Mikl-Leitner. Während Griechenland die Türkei bereits jetzt als sicheres Drittland einstuft, hat die Türkei als einziges EU-Kandidatenland bisher nicht den Status eines sicheren Herkunftslandes.

EU-Migrationskommissar warnt vor neuen Routen

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos forderte die EU-Staaten unterdessen auf, legale Wege der Einreise für Flüchtlinge zu schaffen, nachdem die Balkan-Route geschlossen wurde. „Wenn wir wirklich die tödliche und illegale Hintertür zumachen wollen, müssen wir sichere und reguläre Fenster öffnen“, sagte Avramopoulos am Donnerstag vor Beratungen der EU-Innenminister in Brüssel. „Andernfalls werden wir Migranten und rücksichtslose Schlepper sehen, die versuchen, neue Routen zu finden“, warnte der EU-Kommissar.

Im Mittelmeer ertranken beim Untergang ihres Bootes einem Agenturbericht zufolge fünf Flüchtlinge. Darunter sei auch ein Baby, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Dogan am Donnerstag. Die Menschen aus Afghanistan und dem Iran hätten versucht, mit einem Schnellboot die griechische Insel Lesbos zu erreichen. Auf der Überfahrt kenterte das Boot in der Nacht auf Donnerstag. Neun Menschen seien von der türkischen Küstenwache gerettet worden.

Türkei verweist auf 29. November

Für ihren geplanten Pakt mit der EU will die Türkei nach Angaben von Europaminister Volkan Bozkir nur diejenigen Flüchtlinge zurücknehmen, die erst nach einer etwaigen Einigung mit Brüssel auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommen. Es handle sich eher um „Tausende“ oder „Zehntausende“ Menschen „und nicht um Millionen“, sagte Bozkir am Donnerstag der Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi.

Presseberichten zufolge hatte Regierungschef Ahmet Davutoglu auf dem Rückflug aus Brüssel am Dienstag vor Journalisten gesagt, Ankara wolle all jene Flüchtlinge zurücknehmen, die es seit dem 29. November nach Griechenland geschafft haben. An dem Tag war ein EU-Türkei-Aktionsplan gestartet worden, der allerdings noch keine Rücknahme aller Flüchtlinge vorsah.

Was die Türkei fordert

Diesen Vorschlag hatte Davutoglu erst auf dem EU-Gipfel am Montag präsentiert. Im Gegenzug verlangt Ankara, dass die EU der Türkei für jeden zurückgenommenen Syrer einen schon im Land lebenden Syrer abnimmt. Darüber hinaus will die Türkei drei Milliarden Euro zusätzlich zur Versorgung der Flüchtlinge, Visafreiheit für ihre Bürger schon ab Juni und die Eröffnung neuer Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen.

Beim Gipfel am Montag hatten sich die EU-Staats- und -Regierungschefs noch nicht auf den Plan eingelassen - bis zum nächsten Gipfel in einer Woche sollen noch Unklarheiten beseitigt werden. Es gibt allerdings grundlegende Vorbehalte von mehreren Ländern, der Türkei alle Wünsche zu erfüllen.

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