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Österreich geht Vorschlag nicht weit genug

Krebserregend oder nicht? So lautete die Frage, auf deren Antwort die Entscheidung der EU zur Verlängerung der Glyphosat-Zulassung basieren sollte. Studien von WHO und EFSA kamen zu gegensätzlichen Einschätzungen. Der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel in Brüssel, in dem Expertinnen aus allen EU-Mitgliedsländern vertreten sind, kam am Dienstag zu keiner Einigung - die Entscheidung wurde vertagt.

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Im Mai wird der Ausschuss erneut zusammentreten. Bekommt der Vorschlag der EU-Kommission, der sich auf die Studie der Europäischen Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und ihr Urteil „wahrscheinlich nicht krebserregend“ stützt und eine Neuzulassung des Pflanzengifts befürwortet, keine Mehrheit, kann die Kommission Einspruch erheben und einen Einspruchsausschuss einberufen. Gibt es dann noch immer keine befürwortende Einigung, läuft die Zulassung für Glyphosat aus.

Große Freude bei Anti-Glyphosat-Lobbys

Das wäre das erklärte Ziel von Umweltschützerinnen und Grünen. Schon die Vertagung feierten sie als großen Erfolg. „Die Vertagung ist ein erster großer Erfolg gegen das gesundheitsschädliche Herbizid. Noch vor einer Woche war an eine Verschiebung der Abstimmung nicht zu denken," so der Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion im EU-Parlament, Martin Häusling. „Dank des von den Grünen unterstützten starken Protests aus der Zivilgesellschaft ist es gelungen, dass die EU-Kommission heute keine Mehrheit für ihren Vorschlag der Zulassungsverlängerung für das Herbizid Glyphosat finden konnte,“ so auch Ulrike Lunacek, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im EU-Parlament.

Global 2000 wünscht sich „transparente Diskussion“

Global 2000 wünschte sich nach der Verschiebung eine „transparente und sachliche Diskussion“. „Statt einer überhasteten Zulassung entgegen der wissenschaftlichen Beweislage für die krebserregende Wirkung“ solle man nun die Zeit nutzen. Die Folgen einer Zulassung „wären zu gravierend, als dass Landwirtschaftsminister (Andrä, Anm.) Rupprechter diese Entscheidung in die Hände einzelner Angestellter des AGES-Instituts für Pflanzenschutz legen sollte“, sagte Helmut Burtscher, Global-2000-Umweltchemiker.

Ähnlich auch die Reaktion von Greenpeace Österreich. Man begrüße diesen Schritt und fordere Umwelt- und Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) dazu auf, „jetzt Verantwortung zu übernehmen und sich gegen die Neuzulassung des Herbizids einzusetzen.“

Die SPÖ-EU-Abgeordnete Karin Kadenbach sah in der Verschiebung ebenfalls einen Erfolg: „Bei einem so sensiblen Gesundheitsthema müssen wir auch dafür sorgen, Restrisiken auszuschließen.“ Die gesundheitlichen Auswirkungen - negative Auswirkungen auf das menschliche Hormonsystem, Fehlbildungen und vor allem die Frage einer möglichen Krebsgefahr - seien strittig, schrieb die Abgeordnete, die Mitglied im zuständigen EU-Parlamentsausschuss ist.

Pflanzenschutzmittelproduzentinnen verstimmt

Wenig Freude zeigte hingegen die Interessengemeinschaft der Pflanzenschutzmittelproduzentinnen (IGP). „Bei Glyphosat drohen die EU-Mitgliedsstaaten unter dem orchestrierten Druck von europäischen NGO-Netzwerken erneut einzuknicken. Damit befeuern sie das Landwirtesterben und die Abwanderung von Unternehmen aus Europa“, fürchtete IGP-Obmann Christian Stockmar.

Die IGP stützte sich auf die Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). „Das BfR bestätigt die wissenschaftliche Sicherheit zur Unbedenklichkeit von Glyphosat und das Vorsorgeprinzip wird beachtet“, so Stockmar.

Keine Zustimmung aus Österreich

Frankreich, die Niederlande, Schweden und Italien sollen angekündigt haben, gegen den Vorschlag stimmen zu wollen. Österreich hätte sich angesichts des derzeit auf dem Tisch liegenden Kommissionsvorschlag enthalten, hieß es am Dienstag von der heimischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) gegenüber ORF.at. Die Voraussetzung für eine Zustimmung Österreichs werde darin nicht erfüllt, etwa, dass bei den rechtlichen Zulassungsbestimmungen indirekte Biodiversitätsrisiken auf Ebene der Mitgliedsstaaten berücksichtigt werden müssen, um diese Auswirkungen auf ein akzeptables Maß zu reduzieren.

Selbst entschiedene Glyphosat-Gegnerinnen waren sich bis vor wenigen Tagen sicher, dass das Pestizid die Genehmigung für weitere 15 Jahre Einsatz in der EU bekommen würde – bis zum Jahr 2031. Dass der Druck der Öffentlichkeit schließlich so groß geworden ist, heften sich die Umweltschützerinnen wohl verdient auf die Fahnen. Die intensive Kampagne der letzten Wochen - Stichwort „Giftiges Bier“ - zeigten ihre Wirkung, so Beobachter in Brüssel: „Das Thema ist im Lifestyle-Alltag angekommen“, lautet der Tenor. „Mit Bier trifft man halt eher einen Nerv bei der breiten Masse als mit landwirtschaftlichen Fachprodukten.“

Die Kommission, die schon schon seit Tagen versucht, den Anschein zu erwecken, nichts mit der Glyphosat-Verlängerung zu tun zu haben, blockte auch beim täglichen Mittagspressebriefing am Dienstag Fragen nach dem Verhandlungsstand ab und wollte dazu kein Statement geben, obwohl kurz davor die Vertagung bekanntgeworden war.

WHO gegen EFSA

Die Vorlage der EU-Kommission stützt sich auf Studien der EFSA und des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), die das Mittel im vergangenen November als „wahrscheinlich nicht krebserregend“ beurteilten. Diesen gegenüber steht eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die im Vorjahr zu einem völlig anderen Schluss kam und Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ einstufte.

Einem monatelangen Schlagabtausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Politikerinnen folgte eine Klage der Umweltorganisation Global 2000 gegen die EFSA, das BfR und gegen den US-Saatguthersteller Monsanto. Die NGO sieht schwere Mängel bei der Vorgehensweise, die zur Beurteilung des Mittels als „nicht krebserregend“ führten, und erhielt Unterstützung von anderen Umweltschutzorganisationen und den Grünen.

Sophia Felbermair, ORF.at, aus Brüssel

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