Themenüberblick

Brauchen „nachhaltige Lösung“

Schon seit dem Wochenende ist der Entwurf zur Abschlusserklärung über den EU-Gipfel mit der Türkei kursiert. Eine Wende sollte es vor allem bezüglich der Balkan-Route geben. „Diese Route ist jetzt geschlossen“, hieß es in der verbreiteten Erklärung. Doch am Montag führte diese Formulierung bereits zu großen Widerständen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel widersprach dieser Formulierung kurz vor dem offiziellen Beginn des Gipfels heftig: „Es kann nicht sein, dass irgendetwas geschlossen wird“, sagte sie beim Eintreffen im Gipfelgebäude. Die Zahl der Flüchtlinge müsse nicht nur für einige Länder, sondern für alle verringert werden. Dazu sei eine „nachhaltige Lösung“ gemeinsam mit der Türkei erforderlich. Die Zahl der ankommenden Migranten müsse sich für alle EU-Staaten verringern - einschließlich Griechenlands.

Unterstützung bekam Merkel von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die Formulierung entspreche faktisch nicht den Tatsachen, auch wenn die Zahlen erheblich zurückgegangen seien, so der Tenor der Kritiker. Unklar bleibt die Formulierung auch deswegen, weil offenbar nicht alle Flüchtlinge betroffen wären. Denn syrische Flüchtlinge sollen weiter von der Türkei über Griechenland und die Balkan-Staaten in den Norden reisen können - allerdings in eingeschränkter Zahl.

Faymann widerspricht Merkel

Kanzler Werner Faymann (SPÖ) vertrat eine andere Position als Merkel: „Ich bin sehr dafür, mit klarer Sprache allen zu sagen: Wir werden alle Routen schließen, die Balkan-Route auch. Schlepper sollen keine Chance haben.“ Die EU müsse ihre Außengrenzen selbst schützen können und sollte sich nicht auf Vereinbarungen mit der Türkei verlassen, sagte Faymann.

Die EU dürfe auch ihre Prinzipien gegenüber der Türkei bei Fragen von Visaerleichterungen und in den Beitrittsverhandlungen nicht aufgeben. Wenn die Türkei akzeptiere, dass die Flüchtlinge gar nicht erst nach Griechenland kommen sollten, sondern die Verteilung in der Türkei stattfinde, „dann wäre dies diese Ordnung, die wir immer verlangt haben“. „Volle Unterstützung“ für diesen Kurs sicherte ihm ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka zu: „Jetzt stimmt die Richtung.“

Kurz verteidigt Schließung

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) verteidigte im Vorfeld des Gipfels die Schließung der wichtigsten Flüchtlingsroute durch Europa. Staaten wie Österreich, Deutschland und Schweden könnten nicht alle Menschen aufnehmen, die hierher kommen wollen, sagte Kurz in der ARD-Sendung „Anne Will“. Zu den Flüchtlingen an der mazedonischen Grenze sagte er, sie könnten Schutz auch im EU-Staat Griechenland suchen. Griechenland habe pro Kopf gerechnet weit weniger Flüchtlinge im Land als etwa Österreich und könne zudem bald mit großer EU-Unterstützung rechnen.

Auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) verteidigte die nationalen Maßnahmen Österreichs in der Flüchtlingsfrage am Sonntagabend in der ORF-Diskussionssendung „im Zentrum“. „Mit unserer Entscheidung haben wir erreicht, dass Lösungen diskutiert werden“, sagte Mitterlehner. Was die Vorgehensweise angehe, finde er sie richtig, was die Kommunikation betreffe, hätte es „vielleicht besser laufen“ können, und man hätte Vorabstimmungen treffen können.

Türkei optimistisch

Auch der französische Präsident Francois Hollande erkennt die faktische Blockade der Balkan-Route an: „Sie ist geschlossen, damit wird Griechenland den wesentlichen Teil der Flüchtlinge nehmen.“ Man müsse Griechenland helfen und daher mit der Türkei zusammenarbeiten, sagte Hollande.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu zeigte sich optimistisch, dass die EU und die Türkei die Flüchtlingskrise in den Griff bekämen. „Die Türkei ist bereit, mit der EU zusammenzuarbeiten und auch Mitglied der EU zu werden.“ Er hoffe, dass der Gipfel zu einer Erfolgsgeschichte und einem Wendepunkt in den Beziehungen werde. Sein mehr als fünfstündiges Gespräch mit Merkel und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte in der Nacht sei „sehr fruchtbar“ gewesen.

15.000 campieren an griechischer Grenze

Nach der weitgehenden Abschottung der Balkan-Route campieren derzeit rund 15.000 Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze bei Gevgelija-Idomeni. Der Sprecher des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) im Flüchtlingslager Idomeni, Babar Baloch, sprach am Sonntag von einer „humanitären Krise“ und einem „Weckruf für die führenden Politiker der EU.“

Täglich träfen in dem Lager zehnmal mehr Flüchtlinge ein, als Mazedonien auf der Balkan-Route weiterreisen lasse. Mehr als die Hälfte von ihnen (55 Prozent) seien derzeit Frauen und Kinder. Das Lager war ursprünglich für 2.000 Menschen angelegt worden. Tausende campieren inzwischen unter freiem Himmel auf den Feldern vor dem Lager. „Griechenland braucht Hilfe“, sagte UNHCR-Sprecher Baloch, „ansonsten werden verzweifelte Flüchtlinge noch mehr leiden müssen.“ Besonders Kinder seien betroffen. Immer mehr von ihnen müssten wegen Atemwegserkrankungen behandelt werden.

Neue Unterkünfte für 50.000 Flüchtlinge geplant

Griechenland will bis Anfang kommender Woche die zugesagten Unterkünfte für 30.000 Flüchtlinge schaffen. Die Kapazität werde mit 37.400 Plätzen sogar über den im Vorjahr mit der EU vereinbarten Zahlen liegen, so ein Regierungssprecher. Zusätzlich soll die UNO 20.000 Unterkünfte bereitstellen.

Nach Angaben des Krisenstabs halten sich derzeit rund 33.320 Flüchtlinge im Land auf. Das Rote Kreuz geht Medienberichten zufolge sogar von mehr als 50.000 Menschen aus. Die bestehenden Registrierzentren und Auffanglager auf den griechischen Inseln, in Athen und Thessaloniki bieten nur Platz für ungefähr 17.000 Menschen.

Kritik an türkischer Pressefreiheit

Die EU-Politiker setzen auf Zusagen Ankaras für eine rasche Rücknahme von Menschen ohne Asylanspruch. Laut Rutte fordert die Türkei eine Luftbrücke nach Europa: „Um das möglich zu machen, ist wichtig, dass wir die Null in Sicht haben“, sagte Rutte mit Blick auf die geforderte Reduktion von Flüchtlingszahlen aus der Türkei.

Überschattet wird der Gipfel von dem radikalen Vorgehen der türkischen Regierung gegen die bisher oppositionelle Zeitung „Zaman“. Ende vergangener Woche hatten türkische Polizisten das Redaktionsgebäude gestürmt. Für Europa sei die Medienfreiheit „nicht verhandelbar“, betonte der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, nach einem Gespräch mit Davutoglu. Hier gelte es, „extrem vorsichtig“ zu agieren, vor allem, was die Pressefreiheit betreffe, sagte Hollande.

Links: