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Mehr als nur „Krambambuli“

Marie von Ebner-Eschenbach, die berühmteste österreichische Dichterin des 19. Jahrhunderts, ist heute vielen als Verfasserin sozialkritischer Erzählungen wie „Das Gemeindekind“ und „Krambambuli“ bekannt. Ihr angestaubtes Image haftet ihr zu unrecht an: Die willensstarke Autorin war gelernte Uhrmacherin, Fürsprecherin der Emanzipation und Kämpferin gegen den Antisemitismus.

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„Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft“, war die Schriftstellerin überzeugt. Ebner-Eschenbach befand sich zeitlebens im Ringen mit gesellschaftlichen Zwängen, kämpfte gegen die Ablehnung in ihrer eigenen Familie und in der Theaterkritik. Ihr unbeirrbarer Wille führte sie zu höchsten Ehren und Erfolg.

Patchworkfamilie und Leseschwierigkeiten

Am 13. September 1830 wurde Marie Freiin Dubsky von Trzebomislic im mährischen Schloss Zdislavice bei Kremsier geboren. Kurz nach der Geburt verlor sie die Mutter. Der Vater heiratete wiederholt, und so entwickelte sich die Familie zu einem damals nicht unüblichen bunten „Patchwork“. Das heute verfallene Schloss blieb ihr lebenslanger Rückzugsort: Hier verbrachte sie die warmen Monate des Jahres, ehe sie im Winter nach Wien zurückkehrte.

Während Schwester Fritzi rasch das Lesen erlernte, hatte Marie große Schwierigkeiten, die Buchstaben richtig aneinanderzureihen. Als der Vater das Kind eines Tages im Lesen einer strengen Prüfung unterzog, endete das unrühmlich. Aus Wut streute er Marie das sorgsam aus Papier geschnittene Alphabet über dem Kopf aus. Der unselige „Buchstabensprühregen“ trug dennoch Früchte, und bald darauf konnte Marie lesen, wie die Dichterin in ihren Memoiren „Meine Kinderjahre“ schrieb.

Ein „unheilbares Übel“

Die ersten literarischen Ambitionen des Kindes erhielten einen Dämpfer, als es der Großmutter gestand, Dichterin werden zu wollen. Als Marie in der Schwester eine Verbündete suchte, wurde sie mit den Worten „Sprich nicht davon; dann vergeht’s vielleicht“ ebenfalls abgewiesen. Auch Fritzi begann „mein Übel als ein unheilbares anzusehen“, schrieb die Autorin später.

Als der Vater seine Kinder fragte, was sie von einer neuen Mutter im Hause halten würden, erwiderte die zehnjährige Marie: „Wir brauchen keine!“ Die neue Hausherrin, Gräfin Xaverine, brachte aber nicht nur den Grafentitel in die Ehe, sondern auch frischen Wind in das geistige Familienleben. In der Stiefmutter fand Marie ihre erste literarische Fürsprecherin. 1847 schickte diese einige lyrische Arbeitsproben der Stieftochter an Franz Grillparzer, welcher der 17-Jährigen „unverkennbare Spuren von Talent“ bescheinigte.

Förderer und Verhinderer zugleich

Im selben Jahr verlobte sich Marie mit dem 15 Jahre älteren Cousin Moriz von Ebner-Eschenbach. Die Germanistin und Literaturkritikerin Daniela Strigl rückt in ihrer eben erschienenen Ebner-Eschenbach-Biografie „Berühmt sein ist nichts“ die Rolle des Ehemannes in ein neues Licht. Der meist als „ältlicher Langeweiler“ und derjenige, „der seiner Frau die Schriftstellerei verleidet hat“, Dargestellte war laut Strigl zunächst Maries großer Förderer. Er habe ihre Begabung erkannt und versucht, ihre Bildungsdefizite auszugleichen.

Der nicht steuerbare und auch nach vernichtender Kritik nicht schwächer werdende Drang seiner Frau zu schreiben wuchs Moriz allerdings über den Kopf. Dennoch äußerte er sich immer wieder positiv über ihre Erfolge. „Nicht mir – der Welt bist Du schuldig dich frisch u. kräftig zu erhalten“, schrieb Moriz 1867 an Marie.

Schreiben als Lebensnotwendigkeit

Nach der Hochzeit widmete sich Ebner-Eschenbach mit Feuereifer unterschiedlichen literarischen Projekten. Sie verfasste Gedichte, Epen, Aufsätze, Tragödien und Komödien und experimentierte in vielen Genres. Eines aber wusste sie genau: „Ich brauche ‚das Schreiben‘ nothwendiger als die Luft, die ich atme.“

Portrait von Marie Ebner Eschenbach

Public Domain

Ebner-Eschenbach: Ihr Werk wird zu unrecht „verstaubt“ genannt

Ihr auf eigene Kosten frisch gedrucktes Bühnenwerk „Maria Stuart in Schottland“ sandte sie 1860 an alle infrage kommenden Theater Deutschlands. Als Verfasser wählte sie das Kürzel „M. von Eschenbach“, das frappant an den Namen ihres Gatten erinnert. Als durchsickerte, wer hinter dem Pseudonym stand, hatte sie gleich in mehreren Bereichen zu kämpfen: Zum einen rang sie im familiären Kreis um ihre Kunst, zum anderen kämpfte sie gegen Vorurteile und Ablehnung der bürgerlichen Presse einer Aristokratin gegenüber sowie gegen die aristokratischen Presse, die ihr die Kritik am eigenen Stand nachhaltig übelnahm.

Gegen den „katholisch-sittsamen“ Weg

Strigl zeigt in ihrer Biografie auch die bisher ungekannte Frau hinter der idealisierten „Dichterin der Güte“. Durch die skandalfreie und kinderlose Ehe wurde der Autorin von der Forschung die erotische Erfahrung abgesprochen. In ihren Werken traten jedoch oft strahlende Männererscheinungen auf, welche die Frauen aus dem Gleichgewicht bringen. „Der rechte Weg ist bei Ebner-Eschenbach nicht der katholisch-sittsame, sondern jener, wo sich die Frau selbst treu bleibt“, so Strigl. „Der Maßstab ist die Würde. Man hat sie oft ins katholische Eck gestellt, dabei war sie eine kirchenkritische und antiklerikale Autorin.“

Hinweis:

Am 28. April 2016 wird Ruth Klüger im Wiener Rathaus eine Festrede auf Ebner-Eschenbach halten.

Imagekorrektur und leidige Verpflichtungen

Um das eigene Image als gütige und moralische Instanz nicht zu beschädigen, bereinigte die Autorin ihre zur Veröffentlichung gedachten Tagebücher von Familienangelegenheiten und strich boshafte, politisch oder religiös anstößige Bemerkungen. 1862 bilanzierte sie mit Galgenhumor: „Ich gratuliere mir, dass wieder ein Jahr überstanden ist. Ich kondoliere mir, dass wieder eins anfängt!“

Buchhinweis

Daniela Strigl: Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach - Eine Biographie. Residenz Verlag, 440 Seiten, 26,90 Euro.

Im Residenz Verlag wurde auch die Werkausgabe der Schriftstellerin in einer vierbändigen Auswahl neu und kommentiert vorgelegt.

Gesellschaftliche Verpflichtungen erachtete sie als vergeudete Zeit. Über einen mehrstündigen verwandtschaftlichen Pflichtbesuch schrieb sie: „Übersteigt die Kraft meines Liebenswürdigkeitentwicklungstalentes!“ Die Biografin sagt im Gespräch dazu: „Auch wenn es nach außen so aussieht, als hätte Ebner-Eschenbach immer der Familie Genüge getan, so hat sie doch ihrem Schreibwunsch mit eiserner Konsequenz alles untergeordnet.“

Lotti, die Erfolgreiche

Der im Jahr 1876 erschienene Roman „Bozen“ markierte eine Wende in Ebner-Eschenbachs Schaffen. Das Buch war zwar kein kommerzieller Erfolg, allerdings beschritt die Autorin darin einen neuen erzählerischen Weg. Strigl merkt an, dass „sich die Begabung Ebner-Eschenbachs erst durch die Prosa herauskristallisierte. Das wollte sie lange nicht wahrhaben und hat es als Notlösung gesehen.“ Mit „Lotti, die Uhrmacherin“ gelang der passionierten Uhrensammlerin und Uhrmacherin 1880 schließlich der ersehnte Durchbruch.

Der Genrewechsel war vollzogen. In ihren sozialkritischen Erzählungen machte die Autorin fortan unter anderen eine „amazonengleiche“ Magd, einen treuen Hund oder einen aus der Gesellschaft ausgestoßenen Waisenknaben zu den Helden. Empathisch und dennoch unsentimental schrieb sie an gegen Armut, soziale Unterdrückung und Ungerechtigkeit und konnte dabei durchaus frech sein, wie die selbstironische Erzählung „Der Muff“ beweist. Auch die düster-unversöhnliche Geschichte „Er lasst die Hand küssen“ ist „ganz hinterfotzig aufgebaut“, wie Strigl sagt.

Helden aus der untersten Volksschicht

Es folgten die Dorf- und Schlossgeschichten mit der bekannten Novelle „Krambambuli“. „Das Gemeindekind“ festigte ihren Ruf als sozialkritische Erzählerin und poetische Realistin. Ihr ging es stets um das Widerlegen von Ressentiments und Vorurteilen. Ebner-Eschenbachs Schreiben sieht Strigl als Versuch, „etwas, was in der Welt nicht heil ist, durch Poesie im romantischen Sinn zu heilen. Trotzdem zeigt die Autorin, dass es nicht zusammengeht. Sie kleistert nichts zu, und Brüche sind erkennbar.“

Die aristokratische Autorin sagte sich los von den schöngeistigen Salondramen und Gesellschaftskomödien und erkor stattdessen Menschen aus den untersten Volksschichten zu ihren Helden. Schon als Kind hatte sie eine große Neugier auf fremdes Leben verspürt, welche sie den Verhältnissen der Bauern und Handwerkern nachspüren ließ.

Den eigenen Körper nahm sie aufgrund von auftretendem Kopfschmerz und anderen Leiden mit fortschreitendem Alter als Störfaktor bei der Arbeit wahr und sprach bereits im Alter von 40 von sich selbst als alte Frau. 1889 wurde bei ihr die Basedowsche Krankheit diagnostiziert.

Kämpferin für Frauenrechte

Mit dem Erfolg häuften sich die Bettelbriefe Unbekannter. Als die Hausherrin den Diebstahl von 50 Gulden durch ein armes Mädchen, das „guter Hoffnung“ war, entdeckte, notierte sie großzügig: „Es sei ihr gegönnt.“ Ihrer intensiven karitativen Tätigkeit zum Trotz stand ihr das Ausgenutztwerden klar vor Augen: „Jedes Anlächeln, das die Alten einem gönnen hat einen habgierigen Beigeschmack, jeder Händedruck der Kinder etwas Klebriges.“

Als Mitglied beim Deutschen Frauenverein Reform trat sie für die völlige Gleichstellung ein. 1891 wurden die Eheleute Ebner-Eschenbach Mitglieder im von Bertha von Suttner gegründeten Verein zur Abwehr des Antisemitismus. Strigl bezeichnet die Versuche der jüngsten Forschung, ihr Antisemitismus anzulasten, als nahezu böswillig. 1898 finden sich 23 Vereine auf Ebners Beitragsliste, kein Wunder, dass sie bissig-humorvoll im Tagebuch notierte: „Darf ich Ihnen gestehen, (...) daß ich im Begriff stehe, einen Antivereine-Verein zu bilden?“

Abschiede und Ehrungen

Ab 1890 kam es im persönlichen Umfeld der damals 60-Jährigen zu mehreren Todesfällen. Neben ihrer Schwester starb auch ihr Ehemann. Besonders hart traf sie der Tod von Ida von Fleischl, ihrer wichtigsten literarischen Vertrauten. Noch auf dem Sterbebett soll Fleischl ihrer Freundin eine letzte Korrektur zugeflüstert haben.

In diesen Zeiten kam 1898 die Zuerkennung des Ehrenzeichens für Kunst und Wissenschaft gerade recht. Für die alte Dame, die als Mädchen nicht Latein und Griechisch lernen durfte, eine bezeichnende Ehre. Zwei Jahre später erhielt sie das Ehrendoktorat der Universität Wien. Über den bevorstehenden Festakt schrieb sie: „Kannst Dir denken, wie ich mich ausnehmen werde! Strohdumm u. verlegen ich uralte Gans! “ Die Uhrmacherinnung ernannte sie zum Ehrenmitglied. Ihre beachtliche Uhrensammlung mit einst 270 Exemplaren ist heute Bestandteil des Wiener Uhrenmuseums.

Produktiv bis ins hohe Alter

Noch im hohen Alter verbrachte sie viel Zeit am Schreibtisch. Auch nachts stand sie oft kurz auf, um eine Szene, die ihr durch den Kopf ging zu notieren. Rücksicht musste sie nun auf niemanden mehr nehmen. Am 12. März 1916 starb die hochbetagte Volksdichterin. Nach dem Requiem im Stephansdom, bei dem ganz Wien versammelt schien, wurde ihr Leichnam zurück nach Zdislawitz gebracht, Ebner-Eschenbach in der Familiengruft ihre Ruhestatt fand.

Carola Leitner, ORF.at

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