„Immer so eine Missbrauchsdebatte“
Über die Kürzung der Mindestsicherung wird seit Wochen diskutiert. Zuletzt ist das Thema „importierte“ Arbeitslosigkeit aufgetaucht. Unter beiden Themen kocht die Debatte über Zuwanderung bzw. Asylpolitik generell vor sich hin. Der Präsident der Arbeiterkammer (AK), Rudolf Kaske, sprach sich am Sonntag für einen pragmatischen Weg aus, sieht aber auch „begrenzte Möglichkeiten“.
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Vorgegeben sind diese nicht zuletzt durch 490.000 Arbeitslose mit Stand Jänner. Angesichts dieser Zahlen waren in den letzten Tagen Forderungen laut geworden, die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit (wieder) einzuschränken. Man müsse seriös an die Debatte herangehen, sagte Kaske dazu in der ORF-„Pressestunde“, schließlich gebe es das EU-Recht. Aber: „Wir haben eine moralische Verantwortung für die, die in Österreich leben und die Arbeit suchen und Arbeit brauchen.“
Probleme sieht Kaske da, wo Unternehmen „nach Österreich hineinarbeiten“ und mitunter Sozialstandards untergraben. Das sei gleichermaßen schlecht für die Wirtschaft wie für die betreffenden Arbeitnehmer. Es müsse jedenfalls gelten: „Gleiche Arbeit, gleicher Lohn.“
„Lohndumpern“ auf die Finger schauen
Man könne aber „Lohndumpern“ sicher nicht mit dem Zeigefinger kommen, es brauche stattdessen Kontrolle. Der AK-Chef sprach sich in diesem Zusammenhang etwa für eine personelle Aufstockung der Finanzpolizei aus. Und: Mit neuen EU-Beitrittskandidaten vor der Tür müsse man sich die Frage stellen, ob der heimische Arbeitsmarkt weiter aufnahmefähig ist. Hier seien Übergangsfristen - wie es sie seinerzeit nach der EU-Osterweiterung schon gab - eine Option, so Kaske.
Beim heißen Eisen Mindestsicherung plädierte der AK-Chef dafür, quasi die Kirche im Dorf zu lassen. Es gebe „immer so eine Missbrauchsdebatte“, aber Zahlen sprächen eine andere Sprache. Sicher sei aber: Wenn es Missbrauch gibt, müsse man genau prüfen. Über Sachleistungen als Teil der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) könne man „natürlich reden“. Man müsse sich aber vor Augen halten: Die Leistung sei dazu da, um Obdachlosigkeit und Armut zu vermeiden. Es gehe oft auch um „die Ärmsten der Armen“.
Arbeiten ab Tag eins „eigenartiger Vorschlag“
Beim Thema (weiterhin) offene Grenzen oder nicht gebe es keine einfachen Antworten, sagte Kaske. Es müsse aber eine länderübergreifende Lösung her, die Staaten müssten sich „zusammenraufen“. Die Forderung, Flüchtlinge sollten ab dem ersten Tag arbeiten dürfen, sei ein „eigenartiger Vorschlag“. Es müssten schließlich berufliche Fähigkeiten klar sein, die Sprache sei ein Thema. Wofür die AK nicht zu haben sei, sei „ein Austausch auf dem Arbeitsmarkt“.
Es brauche jedenfalls eine „Gesamtbetrachtung des Arbeitsmarkts“, so der AK-Chef. „Das wird keine einfache Geschichte.“ Um Asylberechtigte auch auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, brauche es mehr Mittel, die aus dem EU-Topf kommen sollten. Kaske will hier jedenfalls auch die Länder in die Pflicht nehmen, die sich derzeit in der Flüchtlingsfrage in nobler Zurückhaltung üben.
Viel zu tun für das AMS
Auf das Arbeitsmarktservice (AMS) sieht der AK-Chef nicht nur viel Arbeit, sondern auch neue Aufgaben zukommen. Das könne in Zukunft wohl nicht mehr nur eine „Vermittlungsagentur“ sein, sondern werde sich mit den Themen Arbeitsmarkt, Bildung und Integration befassen müssen. Die „Kompetenzchecks“ für Flüchtlinge seien eine Momentaufnahme, die tatsächlichen Qualifikationen sehr unterschiedlich. Für Schulungen werde man jedenfalls in einer „Welt, die sich dreht“ Geld in die Hand nehmen müssen - und zwar für In- und Ausländer.
Die Debatte über die „importierte“ Arbeitslosigkeit
Die Debatte über die Personenfreizügigkeit auf dem EU-Arbeitsmarkt hatte vor einigen Tagen der Direktor der AK Wien, Werner Muhm, angestoßen. Er sprach davon, dass die heimische Arbeitslosigkeit „in hohem Maß importiert“ sei. Er erntete dafür Lob und Kritik - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) orte eine „Phantomdebatte, die keinem österreichischen Arbeitslosen einen Job bringt“. Denn die Arbeitnehmermobilität sei in den EU-Verträgen verankert. Für eine Änderung bräuchte es die Zustimmung aller 28 EU-Länder, was derzeit völlig unrealistisch sei, hieß es am Sonntag in einer Aussendung.
Muhm hatte sich auch bei der SPÖ-Spitze eine Absage geholt. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sagte, dass die Anzahl der ausländischen Arbeitnehmer nicht beschränkt werden könne. Auf der anderen Seite stellte sich etwa der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) - unter Applaus seines blauen Koalitionspartners - an die Seite Muhms und forderte ebenfalls eine „Notfallsverordnung“ zur Beschränkung der Freizügigkeit ein - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Faymann will Verschärfung
Faymann präzisierte aber seine Vorstellungen zur Verschärfung der Entsenderichtlinie in einem Zeitungsinterview. Um die Zahl der von ausländischen Firmen nach Österreich entsendeten Arbeitnehmer zu reduzieren, will er unter anderem eine Maximaldauer für deren Tätigkeit festsetzen, sagte er der Tageszeitung „Österreich“ (Sonntag-Ausgabe).
Außerdem will der Bundeskanzler zwingend die österreichische Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung heranziehen, damit es künftig für Arbeitgeber nicht günstiger ist, ausländische Arbeitnehmer anzustellen. Die „Presse“ berichtete am Sonntag, dass Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) gemeinsam mit dem Kanzleramt an einem Maßnahmenpaket arbeite. Es solle „verschärfte Regeln für Ostarbeitskräfte“ geben.
Gegen eine Beschränkung der Personenfreizügigkeit in der EU zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sprach sich im Ö1-„Journal zu Gast“ am Samstag ÖVP-Präsidentschaftskandidat Andreas Khol aus. Es habe sieben Jahre Übergangsfrist gegeben, die Erfahrungen mit mittel- und osteuropäischen Arbeitern seien gut. „Ich sehe nicht, dass man hier zudrehen sollte“, sagte Khol - mehr dazu in oe1.ORF.at.
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