Enorme biologische Vielfalt bedroht
Die zu Australien gehörende Lord-Howe-Insel im Pazifik hat seit knapp 100 Jahren ein Problem mit Ratten. Die haben Appetit auf seltene Arten, von denen es auf der Insel so viele gibt wie sonst nicht oft irgendwo auf der Welt. Trotzdem stößt ein Plan zur Ausrottung der - ursprünglich nicht heimischen - Nagetiere auf Widerstand.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Der Plan ist bereits einige Jahre alt und sieht vor, aus der Luft insgesamt 42 Tonnen Giftköder abzuwerfen, um die Ratten, die durch ein Schiffsunglück auf die Insel eingeschleppt wurden, zu bekämpfen. Mäuse stehen ebenfalls auf der Liste.
Die Nagetiere gelten als Bedrohung für eine Reihe von Arten, die nur auf der kleinen Insel in der Tasmansee vorkommen. Die Insel gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO, ein großer Teil davon ist Naturschutzgebiet. Menschliche Bewohner hat sie nur knapp 350.
„Ärger im Paradies“
Die Hausratte, um die sich der Zwist dreht, steht im Verdacht, fünf Arten von Vögeln und 13 von (nicht näher genannten) Wirbellosen ausgerottet zu haben. Heute sei sie eine Bedrohung für 13 weitere Vogel- und zwei Reptilienarten. Die Pläne für ihre Ausrottung sorgt nun für „Ärger im Paradies“, schrieb am Dienstag der „Guardian“ unter dem gleichlautenden Titel. „Die kleine Gemeinschaft ist gespalten. Von Nagetieren. Oder besser durch die Frage, was tun mit den Nagern, welche die einzigartige Lebenswelt bedrohen.“

APA/dpa/Arno Burgi
Das Problem kam seinerzeit mit einem gestrandeten Schiff
Neben den Nagern und misstrauischen Inselbewohnern spielt laut der britischen Zeitung ein seltenes Insekt eine zentrale Rolle in dem Streit: der Baumhummer, die weltgrößte Gespensterschrecke. Die hatte seit Jahrzehnten als verschwunden gegolten, da bevorzugte Beute für die Ratten. Im Jahr 2001 fanden Biologen einige Exemplare. Ein Nachzuchtprogramm wurde gestartet, Tiere an Zoos in aller Welt verschickt, auch als „Versicherung“ für den Erhalt der Art. Auf der Insel überleben könnte das seltene Insekt nicht, solange die Nager da sind.
Alles wegen eines „hässlichen“ Insekts?
Tonnen von Gift aus dem Hubschrauber für den Schutz von seltenen Insekten? Nicht alle Bewohner der nur etwa 14,5 Quadratkilometer großen Insel sind damit einverstanden. Die Insekten, die über 13 Zentimeter groß werden können, nisteten sich in Häusern ein. Außerdem seien sie „hässlich und angsteinflößend“, zitiert der „Guardian“ einen Inselbewohner und Gegner der Rattenjagd, Rob Rathgeber.

Omniscale/OSM/ORF.at
„Wir werden die Meerschweinchen sein“
Rathgeber, ein pensionierter Geschäftsmann, macht sich außerdem Sorgen über die gesundheitlichen Auswirkungen der Ausbringung der Giftköder - insbesondere beim Abwurf aus der Luft. „Das Zeug wird auf die Insel herabregnen. Es wird auf unseren Dächern landen. Es wird im Boden sein.“
Auch für die Tierwelt sei das Gift prinzipiell eine Gefahr, Erfahrungswerte für derartige Aktionen gebe es nicht. Rathgeber vergleicht die Inselbewohner mit Versuchstieren. „Wir werden die Meerschweinchen sein.“ Er glaubt der Inselverwaltung außerdem nicht, dass es nur um Artenschutz geht.
Schwierige Suche nach Konsens
Im Streit über die große Rattenjagd steht es zwischen den Inselbewohnern knapp 1:1. Bei einer Abstimmung sprachen sich laut „Guardian“ 52 Prozent dafür und 48 dagegen aus. „Und die Unstimmigkeit ist groß.“ Gibt das australische Umweltministerium grünes Licht, könnte mit dem Abwurf der Köder im kommenden Jänner begonnen werden.
Inzwischen sucht die Regionalverwaltung den Konsens. Die Risiken für den Menschen seien „vernachlässigbar“, beschwört deren Vorsitzende Penny Holloway. Der Köder werde außerdem nicht in der Nähe von Häusern abgeworfen. Der Großteil der Insel sei außerdem unbewohnt. Letztlich gebe es keine andere Möglichkeit, die Köder in entlegenen Gebieten auszubringen, als per Hubschrauber.
Behörden argumentieren mit geringer Giftmenge
Aber sollten die Bewohner „über 42 Tonnen vergiftetes Getreide, abgeworfen aus der Luft, glücklich sein?“, fragt die britische Zeitung. „Es klingt sicherlich nach viel.“ Hutton erklärt allerdings, dass die Methode umweltschonender sei als die derzeitigen Maßnahmen, die Rattenplage im Zaum zu halten. Denn derzeit müssten konstant Köder ausgebracht werden, nach der großen Jagd wäre das nicht mehr notwendig. Derzeit würden pro Jahr etwa zwei Tonnen Köder verstreut.
Außerdem solle die gesamte Ködermenge nicht einmal ein Kilogramm Brodifacoum - ein handelsübliches Rattengift - enthalten. Cumarine, die Gruppe der chemischen Substanzen, zu denen das Gift gehört, haben eine blutgerinnungshemmende Wirkung. Der Effekt: Die Nager verbluten innerlich - und: Die sehr intelligenten und sozialen Tiere sollten keinen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme bemerken, heißt es immer wieder zur Wirkungsweise entsprechender Rodentizide.
Vom „Guardian“ nachgerechnet, müsste ein Mensch für die Aufnahme einer tödlichen Dosis etwa zwei Kilogramm Köder verschlucken, nachdem diese laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei 15 Milligramm für Erwachsene liege.
Ein gewisses Problem mit Autoritäten
Holloway versichert außerdem, dass beim Abwurf darauf geachtet würde, dass keine Köder in einem Umkreis von 30 Metern um Häuser landeten, in Wohngebieten würden geschlossene Köderboxen zum Einsatz kommen. De facto wäre die große Rattenjagd aus der Luft auch keine „Premiere“, es gab bereits ähnliche Aktionen außerhalb Australiens.
In der Debatte gehe es aber längst nicht mehr um wissenschaftliche Argumente pro und kontra. Ian Hutton, Fotograf und Tourenanbieter auf der Insel, vermutet eine Reihe irrationaler Gründe hinter dem Widerstand gegen das Programm, Misstrauen den Behörden gegenüber inklusive. „Einige Menschen in einer kleinen Gemeinschaft haben ein Problem mit Autoritäten“, sagte er dem „Guardian“.
Ähnlich der Beauftragte der australischen Regierung für gefährdete Arten, Gregory Andrews. Naturwissenschaftlich seien die Aufgaben gemacht, sagte er. Aber nicht sozialwissenschaftlich. Gefährdete Arten zu erhalten erfordere ähnlich viel Wissen über die Menschen wie über die betreffenden Tiere. Mit Druck gehe gar nichts. Fazit des „Guardian“: Die Differenzen zwischen den Inselbewohnern würden wohl härter zu bekämpfen sein als die Nager selbst.
Wie die Ratten auf die Insel kamen
Bis 1860 habe es auf der Insel keine Mäuse und Ratten gegeben, schreibt der „Guardian“, ähnlich wie es in Australien ursprünglich keine Hunde, Katzen, Kaninchen und Füchse gab. Ende des 19. Jahrhunderts seien dann über die Seefahrt Mäuse eingeschleppt worden. Die „Einreise“ der Ratten ist genau datiert: Sie kamen laut unterschiedlichen Quellen im Juni 1918 mit der SS Makambo, als der Dampfer vor der Insel auf Grund lief und dort zur Reparatur lag. Das sei dann „der Anfang vom Ende für einige einzigartige Arten“ gewesen.
Links: