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„Schwerer Schlag für Rebellen“

Nach dem Vormarsch von Regierungstruppen sind laut Angaben von Aktivisten rund 40.000 Syrer in der nördlichen Provinz Aleppo auf der Flucht. Viele von ihnen könnten Schutz in der benachbarten Türkei suchen, berichtete die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Donnerstag.

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Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sagte zuvor bei der Syrien-Geberkonferenz in London, wegen der Luftangriffe in Aleppo warteten allein am Grenzübergang in Kilis rund 10.000 Flüchtlinge. Zudem würden bis zu 70.000 Menschen aus Lagern in Nordsyrien weiter in Richtung Türkei fliehen.

Syrische Regierungstruppen hatten am Mittwoch die wichtigste Nachschubroute der Rebellen von der Großstadt Aleppo zur türkischen Grenze abgeschnitten. Sie waren in den vergangenen Tagen unterstützt von russischen Luftangriffen nördlich von Aleppo vorgerückt. Mit russischer Hilfe sei Davutoglu zufolge nun ein Korridor unterbrochen worden, über den 300.000 Menschen in Aleppo von der Türkei aus versorgt würden.

Seit Jahren schwer umkämpfte Stadt

Für Syriens Langzeitmachthaber Baschar al-Assad wäre die Einnahme der seit Jahren heftig umkämpften Stadt ein großer militärischer Erfolg: Vor dem Krieg war Aleppo mit 2,3 Millionen Einwohnern die größte Stadt Syriens.

Die einstige Handelsmetropole Aleppo ist seit dem Sommer 2012 geteilt, wobei die Regierung die Viertel im Westen kontrolliert, während die Rebellen den östlichen Teil der Stadt halten. Bei der Anfang der Woche begonnenen Großoffensive versucht die syrische Armee nun, die Viertel der Rebellen vom Westen, vom Süden und vom Osten einzukreisen. Zuletzt rückte sie auch im Norden vor und könnte die Rebellen bald ganz einkreisen.

Türkei errichtet neues Zeltlager

Angesichts der neuen Kämpfe rund um Aleppo bereitet sich die Türkei bereits auf die Ankunft weiterer Flüchtlinge vor. In der Nähe des Grenzübergangs Öncüpinar errichtete das türkische Katastrophenschutzamt AFAD ein neues Zeltlager zur Registrierung der neu ankommenden Flüchtlinge. Polizisten und Soldaten der Region erhielten eine Urlaubssperre.

Nach Angaben der syrischen Opposition öffnete die Türkei den Grenzübergang bisher aber noch nicht für Flüchtlinge. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte am Donnerstag gesagt, die Kämpfe um Aleppo hätten bereits rund 10.000 Menschen an die türkische Grenze getrieben. Weitere 70.000 Menschen seien auf dem Weg. Die Türkei, die nach Regierungsangaben bisher rund 2,5 Millionen Syrer aufgenommen hat, werde auch die neuen Flüchtlinge ins Land lassen.

Vormarsch weiter im Gange

Nachdem die Armee am Mittwoch die Ortschaft Maarasset erobert hatten, durchbrachen die Regierungstruppen am Donnerstag auch die Belagerung der Dörfer Sahra und Nubol nordwestlich von Aleppo, die seit 2012 von Rebellen abgeriegelt worden waren. Damit stießen rund 5.000 Kämpfer regierungstreuer Milizen zur Armee, die seit Jahren in den beiden benachbarten Dörfern eingeschlossen waren.

„Die Streitkräfte des Regimes haben in Aleppo in drei Tagen erreicht, was sie in drei Jahren nicht geschafft hatten. Und das vorwiegend dank der russischen Unterstützung“, sagt Rami Abdel Rahman, der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Laut den nur schwer überprüfbaren Angaben der Beobachtungsstelle, wurden in der Offensive bisher 100 Rebellen, 64 Kämpfer der Regierungstruppen und 27 Zivilisten getötet.

„Schwerer Schlag“ für Rebellen

Die jüngsten Geländegewinne der Armee seien „ein schwerer Schlag“ für die Rebellen und zeigten, wie die russische Intervention die Kräfteverhältnisse verändert habe, erklärten Faysal Itani und Hossam Abouzahr vom Politikinstitut Atlantic Council. Während die Regierung noch vor fünf Monaten an Boden verloren habe, sei sie nun in der Lage „in mehreren wichtigen Gebieten zu teilen, zu isolieren und vorzurücken“.

Am Freitag wurde bekannt, dass die syrische Armee im Süden weiter vorrückte und den Ort Ataman einnahm. Bereits in der vergangenen Woche habe die Armee in der Provinz Deraa Boden gegenüber den Rebellen gutgemacht, berichtete der Fernsehsender Al Manar und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien. Auch hier wurde die Armee durch russische Luftangriffe unterstützt. Die der syrischen Opposition nahestehende Organisation bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Informanten an Ort und Stelle. Ihre Angaben sind von unabhängiger Seite nur schwer zu überprüfen.

Grund für Abbruch der Friedensgespräche

Wie nachhaltig der laufende Vorstoß ist, bleibt abzuwarten. Die Regierungstruppen gelten nach fünf Jahren Bürgerkrieg als ausgelaugt. Ohne die Unterstützung Russlands und Kämpfer der mit dem Iran verbundenen Hisbollah-Miliz wäre die Armee nach Einschätzung von Experten längst am Ende.

Mit der Offensive bei Aleppo gelang es der syrischen Regierung jedoch, die Friedensverhandlungen in Genf zu blockieren, ehe das für die Führung in Damaskus schwierigste Thema dort zur Sprache kommt: die Frage des politischen Übergangs und auch der Zukunft Assads. Stattdessen standen bei den Gesprächen in der Schweiz die Debatte über die Kämpfe und die humanitäre Frage im Vordergrund.

Weltbank: 35 Mrd. Dollar Verlust durch Syrien-Krieg

Die Weltbank schätzt die Verluste durch den auch für die Wirtschaft verheerenden Bürgerkrieg in Syrien auf 35 Mrd. Dollar (31,4 Mrd. Euro). Der Konflikt habe neben Syrien auch die Türkei, den Libanon, Jordanien, den Irak und Ägypten wirtschaftliche Entwicklung gekostet, so die Weltbank in ihrem Nahost-Quartalsbericht. Begründet wurden diese Kosten mit einem durch die Auseinandersetzungen „enormen Haushaltsdruck“ und die finanzielle Belastung durch die Flüchtlinge.

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