William Bolcom über seine Zahnarzt-Oper
Im Linzer Musiktheater ist die Oper „McTeague - Gier nach Gold“ erstmals auf einer europäischen Bühne zu sehen. Im Interview mit ORF.at spricht der US-amerikanische Komponist William Bolcom über Hintergründe seiner Oper aus dem Jahr 1992, Zusammenhänge mit dem Stummfilm, Vorzüge der Linzer Inszenierung und Unterschiede zwischen der europäischen und amerikanischen Operntradition.
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ORF.at: Herr Bolcom, was erwartet den Zuschauer am Samstag im Musiktheater Linz?
William Bolcom: Sie werden eine Oper sehen, die aber ebenso ein Theaterstück ist - wie alle meine sieben Opern. In meinem ganzen kompositorischen Schaffen bemühte ich mich um eine Vermählung zwischen klassischer Oper und amerikanischer Musical- und Theatertradition. Gershwins „Porgy and Bess“ gilt mir als herausragendes Beispiel und Inspirationsquelle. Von meinen Sängern verlange ich höchste Konzentration auf den Text, den sie singen. Viele Opern vernachlässigen heutzutage diesen Aspekt und geraten so zu leerem Pomp.
ORF.at: Der Plot über das Schicksal des Zahnarztes und Titelhelden McTeague beruht auf dem Roman „Gier nach Gold“ von Frank Norris. Wie kam es zur Idee, diesen Stoff in eine Oper zu verwandeln? Warum gerade dieser Stoff?
Bolcom: Während meines Studiums 1962 an der Stanford University in Kalifornien improvisierte ich Musik zu Stummfilmen. Zufällig stieß ich dabei auch auf Erich von Stroheims gleichnamige Verfilmung aus dem Jahr 1924 von Norris’ Roman und ahnte sofort, das gäbe einen wunderbaren Stoff für eine Oper ab. Als mich später die Lyric Opera von Chicago mit einer Opernkomposition beauftragte, erinnerte ich mich daran und schuf „McTeague“.
ORF.at: Das Libretto stammt von Arnold Weinstein und Robert Altman. Wie hat die Zusammenarbeit konkret ausgesehen?
Bolcom: Altman, den ich in Chicago für die Regie vorsah, teilte zunächst nicht meine Begeisterung für Stroheims Film, der ihm vielleicht zu expressionistisch erschien. Wir griffen daher direkt auf die Romanvorlage zurück, Altman entwarf die einzelnen Szenen, Weinstein schrieb den Text, und ich komponierte dazu Abschnitt für Abschnitt. Per Fax tauschten wir unsere Einfälle aus, bis das Werk abgeschlossen war.

Patrick Pfeiffer
Der Chor und die zwei Gegenspieler McTeague und Marcus in der Wüste
ORF.at: „McTeague“ hatte 1992 an der Lyric Opera in Chicago unter der Leitung von Dennis Russel Davies seine Uraufführung. Davies dirigiert auch in Linz. Was unterscheidet die Aufführung in Linz von jener in Chicago?
Bolcom: Die Kulisse von Yuri Kuper in Chicago kontrastierte die Wüstenszenen von Rückblenden auf McTeagues Vorgeschichte - wie Kritiker der Uraufführung anmerkten - zu wenig. Das hat Mathias Fischer-Dieskau in Linz nun viel besser gelöst, hier gibt es keine Vermischung mehr zwischen aktuellem Geschehen und Rückschau. Geändert habe ich vor allem auch den Schluss der Oper: In Chicago war es ein Chor, in Linz ist es ein Duett der beiden Gegenspieler McTeague und Marcus. Das Finale wirkt jetzt viel stärker. Ich wünschte, mir wäre das schon 1992 eingefallen.
ORF.at: Wie klar ist für Sie, wenn Sie erstmals in einem Haus arbeiten, wie ein Werk klingen soll, und wie weit nehmen Sie die Impulse des Orchesters und des Ensembles auf?
Bolcom: Man weiß nie, wie ein Werk in einem neuen Haus klingen wird, bevor man nicht selbst an Ort und Stelle war. Mehr als ein paar Feinabstimmungen sind aber nicht nötig. Es ist ein Geben und Nehmen mit Orchester und Ensemble.
ORF.at: Sie arbeiten seit mehr als 40 Jahren mit Davies zusammen. Können Sie einen Moment schildern, in denen Sie der Dirigent noch überraschen kann?
Bolcom: Tempus fugit! Die Zusammenarbeit besteht nun seit 49 Jahren, nächstes Jahr feiern wir „unserer 50er“. Wir kennen uns inzwischen so gut, dass Überraschungen praktisch ausgeschlossen sind. Und das Vertrauen ist so groß, dass Davies nur zu sagen braucht „Das meinst du nicht so“, wenn er berechtige Einwände hat.

Benno Hunziker unter CC BY-SA 3.0
Dennis Russel Davies am Pult
ORF.at: Wie weit mischen Sie sich in der Arbeit von Davies und Regisseur Matthias Davids ein? Wie viel Spielraum lassen Sie ihnen?
Bolcom: Weder der Dirigent noch der Regisseur ist ein Tyrann - und, weiß Gott, ich hatte oft mit Tyrannen zu tun. Zwischen beiden besteht keine Konkurrenz, sondern Kooperation - ganz im Sinne etwa des Erfinders der Improvisationstechniken fürs Theater, Paul Sills, der den Geist der Teamarbeit besonders hochhielt. Ich behalte mir zwar vor, an meiner Komposition, so wie ich sie schrieb, festzuhalten, bin aber auch stets auf Neues neugierig. So gesehen begeistert mich die Arbeit aller hier in Linz.
ORF.at: „McTeague“ ist eine sehr pessimistische Oper, die in der Katastrophe endet. Steht für Sie mehr die Kritik der sozialen Verhältnisse ...
Bolcom: Auf keinen Fall.
ORF.at: ... oder stehen die dunklen Seiten des Menschen, seine Charakterdefizite im Vordergrund?
Bolcom: Ich denke mehr an eine Art griechische Tragödie, in der sich die Protagonisten durch ihr Handeln schicksalhaft verstricken und einem ausweglosen Ende entgegensteuern.
ORF.at: Haben Sie eine Botschaft, die Sie dem Betrachter vermitteln wollen?
Bolcom: Ich will kein Urteil über die Charaktere der Oper fällen, sondern das Augenmerk auf das lenken, was sie antreibt.
ORF.at: Sie sind bekannt für den eklektizistischen Stil Ihrer Musik. Auf welche Kunstformen griffen Sie zurück?
Bolcom: Ich nehme an, das stimmt, obwohl ich den Begriff „eklektizistisch“ nicht mag. Vielmehr bevorzuge ich den Begriff „universellen Stil“, der viele Stile umspannt. Dementsprechend greife ich sowohl auf traditionelle als auch auf nicht traditionelle Stilmittel zurück, je nach dramaturgischer Vorgabe.
ORF.at: Welche Komponisten haben Sie geprägt? Welche Musik hören Sie privat? Haben Sie ein persönliches Lieblingswerk?
Bolcom: Es sind so viele Komponisten, dass ich sie nicht aufzuzählen kann. Dank meiner eigenen Arbeit habe ich aber kaum Zeit, andere Musik zu hören. Ein Lieblingswerk habe ich daher auch nicht.
ORF.at: Die „New York Times“ schrieb 1992 in der Rezension der Uraufführung, die Musik sei zu gefällig.
Bolcom: Ich finde, das war ein unfaires Urteil von jemandem, dem die Oper missfiel - was freilich sein gutes Recht ist. Gefällige Musik zu schreiben lag mir jedenfalls nie im Sinn.

Philip Brunnader
William Bolcom ließ sich von Roman und Stummfilm inspirieren
ORF.at: Handelt es sich noch um eine Oper oder letztlich doch eher um ein Musical?
Bolcom: Wie gesagt - es sollte eine Mischung aus beidem sein und in Richtung „amerikanische Oper“ weisen.
ORF.at: Steckt dahinter Kalkül, um Menschen, die eher einen Bogen um die Neue Musik machen, ihre Schwellenangst zu nehmen?
Bolcom: Absolut nicht. Ich schreibe ausschließlich Musik, der es darum geht, den richtigen Ausdruck zu finden.
ORF.at: Gibt es einen Unterschied zwischen amerikanischer und europäischer Oper?
Bolcom: Die amerikanische Oper ist wie ein Jugendlicher, der noch wachsen will, während die ältere europäische Oper die schwere Last einer langen Tradition mitzuschleppen hat. In „McTeague“ versuchte ich, mich der Vorzüge des ererbten Formats zu bedienen und in dieses meine eigenen aktuellen Ideen einzubauen, um so das Genre Oper von Innen heraus umzukrempeln.
ORF.at: Warum hat es zeitgenössische Oper im Allgemeinen so schwer, ihr Publikum zu finden?
Bolcom: Vor allem, weil die Opernhäuser heute sehr bequem sind. Selbst bei einer so mutigen Neuinszenierung wie Robert Wilsons „La Traviata“ in Linz ist einzuwerfen, dass es eine unendlich kleinere Bürde für ein Haus bedeutet, einen neuen Zugang zu einer alten Oper zu finden, als ein neues Stück auf die Bühne zu bringen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war es für alle großen Häuser noch selbstverständlich, jede Saison eine neue Oper zu zeigen - heute ist das offensichtlich nicht mehr der Fall. Erst kürzlich beklagten Davies und ich diesen Umstand bei einem gemeinsamen Abendessen.
ORF.at: Zum Abschluss: Verraten Sie, was Ihre Zukunftsvorhaben sind? Gibt es noch Traumprojekte, die Sie besonders reizen und unbedingt realisieren wollen?
Bolcom: Im Alter von 77 Jahren bin ich dabei, mein Gesamtwerk zu ordnen. Zurzeit komponiere ich mein zwölftes Streichquartett, mein erstes schrieb ich mit elf. Nach 66 vielbeschäftigten Jahren kommt vielleicht die Zeit, langsam ans Aufhören zu denken - freilich im Sinne Giacomo Rossinis, der zuletzt noch seine „Alterssünden“ schrieb.
Das Gespräch führte Armin Sattler, ORF.at
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