Themenüberblick

Buberlpartie mit böser Herzdame

Quentin Tarantinos „The Hateful Eight“ ist ein Kammerspiel - und es wäre ein Wunder, würde der Stoff nicht schon bald im Theater zu sehen sein. Eine Andrew-Lloyd-Webber-Version ist indes nicht zu befürchten. Acht Menschen sperrt Tarantino in die Wildwestversion einer Almhütte ein. Tarantino-Momente sind garantiert, sprich das Blut tränkt die Leinwand.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Wer Filme auf Computern schaut, hat unten eine Zeitleiste mitlaufen, an der man sieht, wie lange es noch dauert bis zum Ende. „The Hateful Eight“ hat ordentlich Überlänge. Und es gab schon spannendere Filme, man würde im Kino schon hin und wieder gerne wissen, wie lange es noch durchzuhalten gilt. Statt einer Timeline gibt es Daisy Demargue (Jennifer Jason Leigh). Den Fortgang des Films kann man an ihrem Gesicht ablesen. Am Anfang hat sie nur ein blaues Auge. Dann Blut um den Mund herum. Spätestens zur Hälfte ist ihr gesamter Kopf blutgetränkt. Und wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!

Daisy wird hier übel mitgespielt. Aber sie ist selbst keine Gute, hat sie doch bereits blutrünstige Morde begangen. Ihr Bruder ist der Boss einer berüchtigten Bande. Mordend und brandschatzend zogen er und seine Jungs durch die Gegend, als der Kopfgeldjäger John „The Hangman“ Ruth (Kurt Russell) auftauchte und den Daisy hoppnahm. So viel zur Vorgeschichte. Daisy und dem Hangman schließen sich auf dem Weg zum Richter ein weiterer Kopfgeldjäger (Samuel L. Jackson) und ein ehemaliger Bürgerkriegsrebell (Walton Goggins) an. Und wegen eines Schneesturms landen sie in einer Hütte, wo bereits ein paar Männer Unterschlupf gefunden haben.

Filmszene aus "Hateful 8"

Universum Film GmbH

Der Henker (Tim Roth), der Kopfgeldjäger (Kurt Russell) und die Gangsterbraut (Jennifer Jason Leigh) in Minnies Kurzwarenladen

Wimmelbild mit unguten Typen

Ein Henker (Tim Roth), ein Cowboy (Michael Madsen), ein alter General, der im Bürgerkrieg gedient hatte (Bruce Dern), ein Mexikaner (Demian Bichir), dazu die vier Neuankömmlinge: die von Hass zerfressenen acht. Keine netten Typen, zwischen denen sich da ein behutsam inszeniertes Psychodrama entspannt. Behutsam im Sinne von: Trotz aller Gewalt, die sich dort abspielt, hält jeder seine Karten bedeckt. Es ist ein vorsichtiges Herantasten von einem zum anderen. Will jemand Daisy Demargue aus den Fängen des Kopfgeldjägers befreien? Und falls ja: Wer?

Die vielleicht wichtigste Hauptrolle spielt dabei die Hütte, Minnies Kurzwarenladen, der kein Kurzwarenladen im engeren Sinn ist, sondern eher eine Art Greißler für einsame Trapper. Der Ofen mit dem Eintopf, die Zuckerlgläser: Die breite Leinwand (der Film wurde in 70 mm gedreht) wird zum Wimmelbild für Erwachsene. Aber dass etwas hier nicht stimmt, sieht man auch schon an der Hütte, deren Tür kaputt ist und jedes Mal aufs Neue zugenagelt werden muss, wenn jemand sich durch das Unwetter zum Plumpsklo traut.

Große Tarantino-Momente

Tarantinos Filme werden in Szenen, Momenten oder sogar nur einzelnen Bildern erinnert. Das Ohrabschneiden in „Reservoir Dogs“. Der Tanz, der Heroinschuss und „Bring out the Gimp“ in „Pulp Fiction“. Uma Thurman im Schwertkampf gegen Lucy Liu, während sanft der Schnee fällt („Kill Bill“). Jamie Foxx als ehemaliger Sklave Django, der im blitzblauen Anzug die Schergen des Herrenhauses metzelt („Django Unchained“). Solche Szenen gibt es auch in „The Hateful Eight“.

Filmszene aus "Hateful 8"

Universum Film GmbH

Samuel L. Jackson als eleganter Kopfgeldjäger, der gerne den Überblick bewahrt, an seiner Seite Walton Goggins als Bürgerkriegsrebell

Dazu kommt wie stets bei Tarantino eine Ansammlung an schauspielerischen Ausnahmetalenten. Und als besondere Draufgabe: die Filmmusik von Ennio Morricone. Mit ihm kaufte Tarantino Reminiszenzen an die große Zeit des Italowesterns ein, „Für eine Handvoll Dollar“, „Zwei glorreiche Halunken“ und „Spiel mir das Lied vom Tod“. Morricone heimste für seinen Tarantino-Soundtrack eine Oscar-Nominierung ein.

Panoptikum zum Staunen

Seit „Reservoir Dogs“ (1992) machen einzelne Versatzstücke jene Magie aus, der sich seine Fans nicht entziehen können: die ikonischen Bilder, einzelne „Kultszenen“, eine Handvoll Dialoge (oft in mäandernde Exkurse ausartend) und Einzelzitate für die Ewigkeit, Querverweise auf alles, was im popkulturellen Universum als cool gilt, dazu die handverlesenen Schauspieler, meist Wiedergänger im Tarantino-Universum, gemeinsam mit ausufernder Gewalt und der Filmmusik. Tarantinos Filme sind ein Panoptikum, bei dem sich Staunen, Ekel, Genuss und die Freude des Wiedererkennens die Waage halten.

Aus all diesen Gründen ist Tarantino sein verdienter Platz an der Seite der ganz Großen in der Filmgeschichte sicher. In seiner Generation gelten er und Jim Jarmusch als die Größten, dazu vielleicht noch die Coen-Brüder, Lars von Trier, Kathryn Bigelow und Tim Burton. All das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Tarantino stets mehr um die Details geht als darum, dramaturgisch ausgeklügelt eine fortlaufende Geschichte zu erzählen.

Das führt zurück zu „The Hateful Eight“: Bei einem Kammerspiel mit nur einem wirklichen Schauplatz, so schön der auch sein mag, können zweieinhalb Stunden im Kino ganz schön lang werden. Als Bewertung für den Film müsste man abgeben: „Nur für Fans.“ Aber zu denen zählt schließlich fast jeder.

Simon Hadler, ORF.at

Link: