Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Ob mit Bankomat- oder Kreditkarte, Smartphone oder Armbanduhr: Bargeldloses Bezahlen wird in Zukunft einen regelrechten Boom erleben, prophezeien Experten. Für sie sind Münzen und Geldscheine ein Relikt der Vergangenheit. Neben der Gefahr, Geldfälschern aufzusitzen, argumentieren sie vor allem mit dem Faktor Zeit.
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Denn Zeit ist schließlich Geld. Das merkt man besonders an der Supermarktkassa: Bis der jeweilige Betrag bezahlt worden ist, sind im Durchschnitt 30 Sekunden vergangen. Es dauert, bis der Kunde seine Banknoten und Münzen abgezählt und schließlich sein Wechselgeld von der Kassakraft ausgehändigt bekommen hat. Das nutzt etwa der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger für seine Argumentation.
„Bei den heutigen technischen Möglichkeiten sind Münzen und Geldscheine tatsächlich ein Anachronismus“, hielt er vor einiger Zeit gegenüber dem „Spiegel“ fest. Er plädiert für nicht weniger als die Abschaffung des Bargelds, erschwere es den Zahlungsverkehr doch „ungemein“. Dabei nimmt es fast genauso viel Zeit in Anspruch, besagten Supermarkteinkauf mit dem Eintippen des PIN-Codes der Bankomatkarte zu begleichen wie mit Münzen und Scheinen.
Diebe könnten Karte verwenden
Die Argumentation, man gewinne durch bargeldloses Zahlen wertvolle Lebenszeit, greift also nur, wenn man auf andere Mittel zurückgreift, etwa Near Field Communication (NFC). Seit 2013 bieten die meisten österreichischen Banken die Möglichkeit, mittels dieser Technologie Beträge bis zu 25 Euro zu bezahlen. Dabei müssen die Konsumenten ihre Bankomatkarte lediglich an ein Kassenterminal halten und keinen PIN-Code mehr eingeben.
Das ist zwar ungemein praktisch, birgt aber Risiken: Denn nicht nur Kartenbesitzer, sondern auch potenzielle Diebe können mit der Karte kontaktlos zahlen. Dem entgegengehalten wird seitens der Banken ein Limit von 100 Euro - nach viermal Zahlen via NFC wird also wieder der PIN-Code verlangt.
Zahlen mit Smartphone und Armbanduhr
Die Technologie ist freilich nicht auf Plastikkarten beschränkt, sondern kann auch mittels anderer Geräte genutzt werden. Der Uhrenkonzern Swatch bringt in China seine erste Uhr für das kontaktlose Zahlen vom Handgelenk aus auf den Markt - Kostenpunkt: 600 Yuan (rund 83 Euro). Und erst kürzlich hat die Bank Austria eine App vorgestellt, mit der nicht nur die übliche Summe von 25 Euro bezahlt werden kann: Ab 2016 sind auch Geldbehebungen am Bankomaten möglich.
Und hier kommt wieder Bargeld ins Spiel. Zwar findet sich laut Statistik Austria in 90 Prozent der österreichischen Haushalte zumindest eine Bankomatkarte. Aber einer aktuellen Umfrage des Onlinemarkt- und -meinungsforschungsinstituts Marketagent.com zufolge hält die Mehrheit selbstfahrende Autos, Drohnen und implantierte Chips im Jahre 2040 für durchaus plausibel.
Fast eine halbe Million Euro Falschgeld
Neben dem Beamen von einem Ort zum anderen scheint jedoch für über drei Viertel der Befragten eine bargeldlose Gesellschaft selbst für 2040 noch zu utopisch. Hinzu kommen reichlich pragmatische Überlegungen zugunsten von Bargeld: Zwar können Scheine und Münzen gefälscht werden. Und tatsächlich sind zu 18 Milliarden im Umlauf befindlichen Euro-Banknoten allein 2015 fast 500.000 Blüten gekommen.
Allerdings müsste man statistisch gesehen mit 36.000 Banknoten in Berührung kommen, bevor man auf eine Fälschung stößt. Der Verlust durch einen falschen Fünfziger beliefe sich auf folgerichtig 50 Euro, ein gehacktes Onlinekonto hingegen könnte Schaden in ungeahnter Höhe verursachen.
Das Ende der Ein- und Zwei-Cent-Münzen
Dennoch fürchten manche aus ganz anderen Gründen das Ende des Bargelds: Irland schafft peu a peu die Ein- und Zwei-Cent-Münzen ab, Wechselgeld muss seit Oktober auf Fünf-Cent-Beträge auf- oder abgerundet werden - in anderen Ländern der Euro-Zone, wie Belgien, Finnland und den Niederlanden, gilt diese Regelung schon länger.
Gegenüber der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ bezeichnet Paul Monzel von der REWE-Gruppe dieses Vorgehen allerdings als Unsinn. Ob ein Becher Joghurt in Deutschland 39 oder 40 Cent koste, mache sehr wohl einen Unterschied: „Die Neun am Ende eines Preises ist für den Handel wichtig.“ Und aus psychologischen Gründen auch für die Konsumenten, die wohl noch länger für Warteschlangen bei Supermarktkassen sorgen werden, wenn sie nach Münzen und Scheinen suchen.
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