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„Wenige langweilige Momente“

Bei Buster Keaton (1895-1966) stimmt der alte Spruch, dass das Leben manchmal die Kunst imitiert: Wie in seinen Rollen sah er sich auch in der Realität mit ständig neuen Herausforderungen und Schicksalsschlägen konfrontiert, ertrug sie mit derselben stoischen Ruhe wie auf der Leinwand - und erkämpfte sich zum Schluss so etwas wie ein Happy End.

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„Ich wurde nicht in dem Glauben erzogen, dass das Leben einfach sein würde“, zog Keaton am Ende seines Lebens Bilanz. Tatsächlich war es von Anfang an vor allem eines: Arbeit. Schon als Dreijähriger trat er Abend für Abend an der Seite von Vater und Mutter in den US-Varietes der Jahrhundertwende auf. Das Konzept der Revuenummer war einfach und blieb über Jahre hinweg gleich: Keaton junior musste das widerspenstige Kind mimen, das von seinem Vater quer über die Bühne geprügelt und geworfen wurde.

Halsbrecherisch im wahrsten Sinn des Wortes

Die halsbrecherische Akrobatik, die bis heute bei Keatons Filmen für Staunen sorgt, war offenbar von Anfang an perfekt. Das bezeugen zum einen historische Zeitungsartikel, die den Act als „Pflichtprogramm“ empfehlen - und zum anderen verbürgte Verhaftungen seines Vaters sowie Klagen von Fürsorgebehörden. „Die drei Keatons“ reagierten auf ihre Weise und gaben ihren Sohn fortan als kleinwüchsigen Erwachsenen aus.

Zumindest laut seinen eigenen Aussagen waren die Sorgen um ihn unbegründet. Ohne Schaden spektakulär zu stürzen sei ein „Klacks“, meinte er einmal: Man müsse nur „schlaff“ landen und unbemerkt den Fall „mit einem Bein oder einer Hand bremsen“, für ihn sei das „zur zweiten Natur geworden“. Auch er zog sich allerdings bei seinen Stunts zahlreiche Verletzungen zu, angefangen bei einem jahrelang nicht bemerkten Halswirbelbruch. Und eine Nachahmung ist noch niemandem gelungen.

„Stone Face“

Nach dem Wehrdienst an der Front im Ersten Weltkrieg nahm Keaton seine Variete-Karriere wieder auf. Er war schon hoch bezahlter Solo-Unterhaltungskünstler, als er an das junge Medium Kino anstreifte - und sofort davon fasziniert war. Unter dem Kopfschütteln seiner Kollegen kaufte er sich aus einem Bühnenvertrag frei, bei dem er 250 Dollar (heute etwa 8.300 Euro) die Woche verdient hätte, und begann um 40 Dollar als Assistent des Komikers Roscoe „Fatty“ Arbuckle.

Arbuckle war einer der Stummfilmkomiker, auf die das Klischee des Genres passt - viele Tortenschlachten, viele Schlägereien, viel outriertes Spiel. Anfangs machte Keaton noch mit, in diesen wenigen Szenen kann man ihn auch noch auf der Leinwand lachen sehen. Innerhalb weniger Wochen schnitzte er jedoch mit untrüglichem Instinkt dafür, wie man mit dem neuen Medium umgehen muss, seinen eigenen Stil zurecht: „The Great Stone Face“ stahl Arbuckle mehr und mehr die Show.

Für einen Lacher das Leben riskieren

Als Arbuckle über einen Skandal wegen seines ausschweifenden Lebensstils stolperte, machte Produzent Joseph Schenk Keaton zum neuen Star. Der nahm die Gelegenheit nur zögerlich wahr - zum Unterschied von ganz Hollywood blieb er Arbuckle gegenüber loyal und unterstützte ihn, solange er nur konnte. Was er machte, machte er aber ganz: Ab dem Kurzfilm „The Saphead“ (1920) waren Keatons Filme allein Keatons Filme. Er entwickelte Story und Gags, führte Regie, dirigierte die Kameras und spielte die Hauptrolle.

Legendär ist dabei, dass er sich niemals von Stuntmen vertreten ließ, selbst bei der berühmten Szene nicht, als er in „Steamboat Bill, jr.“ (1928) eine 500 Kilo schwere Hausfassade auf sich niederkippen ließ - mit nur einem kleinen Dachfenster und einer Handbreit Platz darum herum, durch das er als Gag unbeschadet herausstieg. Dass er alle Szenen selbst spielte, wird ihm von Biografen als Todessehnsucht und Spleen ausgelegt. Er selbst sagte dazu nüchtern, Szenen mit Stuntmen bekämen irgendwie nie Lacher.

Steiler Aufstieg, tiefer Fall

Keatons steile Karriere führte ihn in die Topriege der Stummfilmstars. Nach wenigen Jahren war es aber schon wieder vorbei: Immer ausgefeilter und damit auch immer teurer waren seine Filme geworden, vor allem aber zu modern. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, bei der ewiggültigen Actionkomödie „The General“ (1927), war er damaligem Publikum und Kritikern endgültig zu weit voraus. Dass er sich selbst als Komödianten in ein Dramaszenario stellte, hinterließ nur Ratlosigkeit.

Buster Keaton in dem Film "The General", 1927

picturedesk.com/UNITED ARTISTS/Mary Evans

Buster Keaton in „The General“

Dazu kamen private Krisen: In der bis zu diesem Zeitpunkt teuersten und schmutzigsten Hollywood-Scheidung nahm seine erste Frau dem privat ebenso arglosen wie naiven Keaton alles einschließlich des Zugangs zu seinen Kindern. Er begann zu trinken und gab seine künstlerische Freiheit schließlich in einem Vertrag mit dem Filmstudio MGM auf, das mit ihm nichts anzufangen wusste. Er wurde wahllos in Nebenrollen besetzt und als Gagschreiber etwa für die Marx-Brothers beschäftigt.

Dank dritter Ehe Teufelskreislauf entronnen

Immer tiefer geriet Keaton in den folgenden Jahren in den Teufelskreislauf aus Frust, Alkohol und dem Karriere-Out, mit der volltrunken geschlossenen Blitzhochzeit mit seiner Krankenschwester aus einer psychiatrischen Anstalt als traurigem Höhepunkt. Filmisch war er in Vergessenheit geraten. Der Wendepunkt kam mit der dritten, bis zu seinem Tod glücklichen Ehe: Die frühere MGM-Tänzerin Eleanor Norris holte Keaton aus seinem Sumpf aus Depressionen und Sucht und schuf mit ihm eine Karrierenische, in der er wieder er selbst sein konnte.

Ab Mitte der 1940er Jahre war Keaton wieder aktiv, in Liveauftritten, TV-Sketches und Nebenrollen in Filmen, die zum Teil auch schon den Charakter von Ehrungen hatten - etwa in Billy Wilders „Sunset Boulevard“, wo Keaton in einer morbiden Pokerrunde abgehalfterter Filmstars in wenigen Augenblicken zeigt, dass man ihn auch anders als im komödiantischen Umfeld einsetzen hätte können. Er absolvierte (fast) jede ihm angebotene Arbeit professionell, ohne Widerspruch und ohne Allüren.

Erbe beinahe für immer verloren

Auch seine Bescheidenheit trug dazu bei, dass seine Filme beinahe für immer verloren gegangen wären. Sie kugelten halb zerfallen in Schnipseln als „unbrauchbares“ Erbe der Stummfilmzeit in verschiedenen Lagern herum, bis sie der US-Filmsammler Raymond Rohauer entdeckte, konservierte, rekonstruierte und schließlich der Öffentlichkeit zugänglich machte. Langsam begann in den folgenden Jahren zumindest eine gewisse Anzahl von Menschen zu erkennen, was sie an Keaton gehabt hatte und damals noch hatte.

Kein böses Wort über „die paar schlechten Jahre“

Dank der kleinen Wiederentdeckung konnte Keaton seinen Lebensabend mit Eleanor in Würde ohne materielle Sorgen genießen. In diese Zeit fallen etwa die Zusammenarbeit mit Schriftsteller Samuel Beckett („Film“, 1965) und die schöne Keaton-Würdigung durch das kanadische öffentlich-rechtliche TV („The Railrodder“, 1965). Schon 1960 hatte er den Ehren-Oscar bekommen, 1965 wurde er in Venedig mit der längsten „Standing Ovation“ in der Geschichte des Filmfestivals gewürdigt.

Der Applaus in Venedig war eine von zwei Gelegenheiten, bei denen man Keaton in aller Öffentlichkeit weinen sah. Die andere war das Begräbnis seines früheren Kollegen Stan Laurel ein Jahr vor Keatons eigenem Tod im Jahr 1966. Kurz davor hatte er sein eigenes Leben mit den Worten zusammengefasst, es habe eigentlich „wenige langweilige und nicht zu viele traurige und verzagte Momente“ gehabt. Um sich über „die paar schlechten Jahre“ zu beschweren, hätte man laut Keaton „ein in der Wolle gefärbter Nörgler“ sein müssen.

Lukas Zimmer, ORF.at

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