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Strafmündigkeit soll herabgesetzt werden

Die tödliche Gruppenvergewaltigung einer Studentin in der indischen Hauptstadt Neu Delhi zieht - zumindest auf dem Papier - eine weitere Gesetzesverschärfung nach sich. Am Dienstag passierte eine Gesetzesvorlage eine weitere parlamentarische Hürde, die es erlauben soll, 16-jährige Straftäter bei besonders abscheulichen Verbrechen nach dem Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen.

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Das indische Oberhaus, Rajya Sabha genannt, folgte damit einem Beschluss des Unterhauses, Lok Sabha. Um in Kraft treten zu können, muss das Gesetz noch von Indiens Präsident Pranab Mukherjee unterzeichnet werden. Die Zustimmung des jeweils zuständigen Jugendgerichts vorausgesetzt können dann auch 16- bis 18-Jährige für Straftaten, die über einen Strafrahmen von sieben Jahren Haft hinausgehen, vor Gericht wie Erwachsene behandelt werden. Inkludiert sind Mord, Vergewaltigung, Kidnapping und Säureangriffe.

Wegen solcher Verbrechen verurteilte Minderjährige sollen ihre Strafe bis zu ihrem 21. Geburtstag in einem Jugendstrafheim absitzen und anschließend in ein reguläres Gefängnis verlegt werden. Parallel dazu soll ein Resozialisierungsplan ausgearbeitet werden. Die Ministerin für Frauen- und Kinderrechte, Maneka Gandhi, sagte, ein „ausgewogeneres und feinfühligeres Gesetz“ sei nicht möglich gewesen.

Vergewaltiger von Studentin auf freiem Fuß

Am 16. Dezember 2012 war die 23-jährige Studentin Jyoti Singh vor den Augen ihres Freundes von einer Gruppe Männer in einem öffentlichen Bus in Neu Delhi vergewaltigt und mit einer Eisenstange so schwer misshandelt worden, dass sie knapp zwei Wochen später an ihren Verletzungen starb. In dem Fall wurden insgesamt sechs Männer angeklagt. Einer von ihnen starb in Haft - offenbar nahm er sich das Leben. Vier weitere wurden zum Tode verurteilt, legten aber Berufung ein. Der sechste, damals 16-jährige Angeklagte wurde nach Jugendstrafrecht verurteilt und ist seit Sonntag ein freier Mann.

Das oberste Gericht in Indien hatte eine Petition gegen die Freilassung abgelehnt. Es gebe keine rechtliche Grundlage, um den heute 20-Jährigen weiter in Haft zu lassen, sagte Swati Maliwal von der Frauenrechtsgruppe, die den Antrag eingereicht hatte, zu den Begründungen des Gerichts. „Wir hatten eine einstweilige Verfügung gefordert“, sagte sie, „aber das oberste Gericht hat unser Gesuch abgelehnt.“

Vater des Opfers: „Justiz gescheitert“

Ein Anwalt der Frauenkommission von Neu Delhi sagte, das Gericht sei zur Ablehnung der Petition gezwungen gewesen, weil es keine „klare rechtliche Zwangsmaßnahme“ gebe. Der zur Tatzeit noch Minderjährige könne daher nicht länger in Haft gehalten werden. Der Vater des Opfers, Badrinath Singh, sagte zu dem Urteil, es gebe „keine Worte, um unsere Enttäuschung zu beschreiben“. Er könne all die Gesetze nicht nachvollziehen. Er wisse nur, dass die Justiz „gescheitert“ sei. „Das Verbrechen hat gewonnen, wir haben verloren“, sagte Singhs Mutter Asha, die erstmals den Namen ihrer Tochter öffentlich machte.

Demonstrierende Frauen mit Kerzen

AP/Rafiq Maqbool

Inderinnen gedenken der getöteten Jyoti Singh und protestieren gegen die Freilassung eines der Täter

„Wir haben nicht die Gerechtigkeit bekommen, die uns zugesichert wurde. Letztlich wird ein Krimineller frei herumlaufen“, so Asha Singh. Nachdem die Freilassung am Sonntag bekanntgeworden war, hatten sich spontan mehrere hundert Menschen im Zentrum der indischen Hauptstadt zu einer Protestkundgebung versammelt. Am Dienstag verfolgten Singhs Eltern die Parlamentsdebatte zur Herabsetzung der Strafmündigkeit von Vergewaltigern im Oberhaus von der Besuchergalerie aus.

Schärfere Gesetze als in vielen anderen Ländern

Singhs Fall hatte eine landesweite Debatte über Gewalt gegen Frauen ausgelöst und zu einer Reihe von Verschärfungen der Gesetzgebung geführt: So wurde etwa die Definition von Vergewaltigung erweitert. Nun fallen Penetration in jeglicher Form, sexuelle Übergriffe, Voyeurismus und Stalking unter die neuen Gesetze. Es wurden Schnellgerichte eingerichtet, die sich ausschließlich mit Sexualdelikten beschäftigen. Außerdem gibt es mittlerweile spezielle Notrufnummern für Frauen.

Dennoch gibt es weiterhin immer wieder schwere sexuelle Übergriffe auf Frauen. 2014 wurden nach offiziellen Angaben mehr als 36.700 Vergewaltigungen gezählt, davon mehr als 2.000 in Neu Delhi. Experten gehen aber davon aus, dass die Zahlen nur die Spitze des Eisbergs darstellen und die Dunkelziffer weitaus höher ist.

„Das Stöhnen des Opfers hören“

Erst am Montag wurden sieben Männer wegen der Vergewaltigung und Ermordung einer psychisch kranken Nepalesin zum Tode verurteilt. Sie hatten die 28-Jährige nach Überzeugung des Gerichts im Februar gequält und dann in einem Feld in Rohtak in der Nähe der Hauptstadt Neu Delhi liegen gelassen. Ein weiterer mutmaßlicher Täter sei während der Tat noch nicht volljährig gewesen und müsse sich vor einem Jugendgericht verantworten, einer der Festgenommenen sei erhängt aufgefunden worden, sagte ein Polizeisprecher.

Richterin Seema Singhal sagte laut der indischen Zeitung „Hindustan Times“: „Ich bin nicht nur eine Justizbeamtin, sondern auch ein menschliches Wesen, das das Stöhnen des Opfers hören kann.“ Sie hoffe, dass sie durch das Urteil eine Botschaft an die Gesellschaft sende, in der Frauen nach wie vor Gewalt ausgesetzt seien. Es sei an der Zeit, etwas zu tun. Gegen das Urteil können noch Rechtsmittel eingelegt werden. Zahlreiche indische Medien verglichen den Fall mit der Vergewaltigung von Singh vor drei Jahren.

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