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„Leipzig hat mich getragen“

Der deutsche Dirigent Kurt Masur ist tot. Masur sei am Samstag im Alter von 88 Jahren gestorben, teilten die New Yorker Philharmoniker mit. Der deutsche Dirigent, von 1991 bis 2002 Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker, galt als einer der größten Orchesterchefs der Gegenwart.

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Mit „tiefer Trauer“ gebe er im Namen der Familie Masur und der New Yorker Philharmoniker den Tod des Stardirigenten bekannt, schrieb der Leiter des berühmten Orchesters, Matthew VanBesien. In seiner Zeit bei dem Orchester habe Masur ein Vermächtnis gesetzt, das bis heute fortbestehe, so VanBesien. Masur starb in einem Krankenhaus in Greenwich im US-Bundesstaat Connecticut.

New York, London, Paris und Leipzig

Zu den Wirkungsstätten des fünffachen Vaters gehörten außerdem London, Paris und vor allem Leipzig. Von 1970 bis 1996 war Masur Kapellmeister des legendären Leipziger Gewandhausorchesters. Masur prägte den besonderen Klang des Orchesters, absolvierte mit dem Ensemble 900 Tourneekonzerte, zu DDR-Zeiten auch im „kapitalistischen Ausland“. „Leipzig hat mich getragen, als ich Student war. Leipzig hat mich getragen, als ich Operndirektor war. Leipzig hat mich getragen, als ich Gewandhauskapellmeister war“, sagte er einmal.

Vom Organisten zum Dirigenten

Der in Schlesien geborene Masur begann schon mit fünf Jahren, sich selbst das Klavierspiel beizubringen. Eigentlich wollte er Organist werden. Doch als 16-Jähriger erfuhr er beim Arzt, dass seine Finger wegen einer genetischen Sehnenverkürzung im Laufe der Zeit verkrüppeln würden. Er sattelte aufs Dirigieren um.

Masur studierte an der Musikhochschule Leipzig, bekam dann Kapellmeisterjobs in Halle, Erfurt und an der Leipziger Oper, war Chefdirigent bei Walter Felsenstein an der Komischen Oper Berlin und Chefdirigent bei den Dresdner Philharmonikern. Bis zu seinem Tod war Masur Ehrendirigent in Leipzig.

Schlüsselrolle in der Wende

Im August 1970 trat der Ingenieurssohn in die Fußstapfen von Felix Mendelssohn Bartholdy - als Kapellmeister des Leipziger Gewandhauses. Als 63-Jähriger wechselte der mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnete Musiker kurzzeitig das Genre. Der damalige Gewandhauskapellmeister sprach den „Aufruf der Leipziger 6“, in dem zum Gewaltverzicht bei der Montagsdemonstration in Leipzig aufgerufen wurden.

Kurt Masur, 1989

AP/ADN

Masur im Oktober 1989 bei einer öffentlichen Diskussion in Leipzig

Rund 70.000 Menschen hatten sich in der Messestadt versammelt, um unter dem Ruf „Wir sind das Volk“ gegen die Verhältnisse in der DDR zu protestieren. Über den Leipziger Stadtfunk, rund 200 Lautsprecheranlagen in der Stadt, rief Masur zur Besonnenheit auf.

„Tiefer Glaube an die Musik“

Noch als über 80-Jähriger tourte der international gefragte Dirigent neun Monate im Jahr um die Welt. Auch nach einem Sturz in den Zwischenraum vor der ersten Zuschauerreihe in Paris im Frühjahr 2012, bei dem er sich das Schulterblatt gebrochen hatte, kehrte er an das Pult zurück. Anfang 2013 brach er sich Masur in Tel Aviv bei einem erneuten Sturz die Hüfte und musste operiert werden. Zuvor, im Herbst 2012, gab er bekannt, dass er an Parkinson leide.

„Was wir lebhaft in Erinnerung behalten, ist Masurs tiefer Glaube an die Musik als Ausdruck von Menschlichkeit“, schrieb VanBesien von den New Yorker Philharmonikern. Er erinnerte auch an Masurs „bewegende“ musikalische Arbeit nach den Terroranschlägen vom 11. September in New York. Masurs elfjähriges Wirken in New York sei eine der längsten Schaffenszeiten in der Geschichte der Philharmonie gewesen.

Politik erinnert an Beitrag zu friedlicher Revolution

Nach Mitteilung der New Yorker Philharmoniker soll die Beisetzung Masurs im privaten Kreis stattfinden. Zudem werde es später eine öffentliche Gedenkveranstaltung geben, hieß es. Der deutsche Präsident Joachim Gauck würdigte Masur in einem Kondolenzschreiben als „einen großen Dirigenten und einen großartigen Menschen“. Für die Musikwelt und das Publikum sei Masur ein Glücksfall gewesen.

„Wir trauern um einen brillanten Musiker, einen großen Humanisten und einen engagierten Kosmopoliten“, so Gauck, der Masur auch für seine Rolle während der Wendezeit würdigte. „Die Verdienste von Kurt Masur um die klassische Musik und sein Beitrag zur friedlichen Revolution werden nicht in Vergessenheit geraten“, schrieb der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel via Kurznachrichtendienst Twitter.

Auch der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert bezog sich in einer Würdigung darauf. „Mit Kurt Masur verliert Deutschland nicht nur einen international herausragenden Künstler, sondern auch eine Persönlichkeit, die ohne politisches Amt und Mandat mit beispielhaftem staatsbürgerlichem Engagement in einer besonders sensiblen Phase der friedlichen Revolution einen bedeutenden Beitrag zur deutschen Einheit geleistet hat“, schrieb der CDU-Politiker. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) twitterte: „Großer Verlust für unsere Kultur und unser Land.“

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