Handelsabkommen und ihre Folgen
Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen Kanada, den USA und Mexiko war das erste Handelsabkommen unter Industrieländern mit Bestimmungen, die das Verhältnis von Staaten und Investoren regeln. Zum ersten Mal konnten Investoren von Industriestaaten die Regierung eines anderen Landes unabhängig von staatlichen Gerichten klagen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Das Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren (ISDS) gibt es seit Ende der 60er Jahre. Ursprünglich sollten mit diesem Instrument die Investitionen von Unternehmern aus wohlhabenden Ländern vor staatlicher Willkür in Entwicklungsländern geschützt werden.
„Mit jedem Jahrzehnt wurden die Bestimmungen zu ISDS jedoch verändert und ausgeweitet“, sagt Maude Barlow, Autorin, Aktivistin und Kritikerin von Freihandelsabkommen zu ORF.at. Ihr Hauptkritikpunkt: Was ursprünglich als Schutz für Investoren diente, würde immer häufiger ausgenutzt, um Umweltstandards zugunsten der Unternehmen zu deregulieren und Regierungsentscheidungen so zu unterbinden.
Was steckt hinter ISDS?
Das Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren bietet Investoren Schutz vor unfairer Behandlung und damit einhergehenden Gewinneinbußen im jeweils anderen Land oder Wirtschaftsraum. Eigene Gerichte setzen Investitionsschutzklauseln durch. Sie gehören nicht dem Justizsystem des Gastlandes an.
Viele Forderungen betreffen Umwelt
Die Ergebnisse dieser Entwicklung könne man vor allem am Beispiel Kanadas und des gemeinsamen Freihandelsabkommens mit den USA und Mexiko sehen. Von den 77 bekannten Forderungen von Investoren durch NAFTA richteten sich 35 gegen Kanada, 22 gegen Mexiko und 20 gegen die USA, schreibt Barlow in ihrem Papier zu ISDS. Und bei zwei Dritteln der Klagen gegen Kanada sei die Umwelt im Fokus gestanden, so Barlow.
Der US-Chemiekonzern Ethyl beispielsweise focht 1997 mit Hilfe des Streitschlichtungsverfahrens im Rahmen des NAFTA-Abkommens ein kanadisches Importverbot seines Brennstoffs, der den umstrittenen Zusatzstoff MMT enthält, an und gewann. Der Chemiegigant Dow Agro Sciences setzte 2008 mit seiner ISDS-Klage gegen die Regierung der kanadischen Provinz Quebec durch, dass die Region das umstrittene Unkrautbekämpfungsmittel 2,4-D als unbedenklich für die menschliche Gesundheit deklariere.
Weitere Fälle waren eine Klage gegen das Bauverbot eines massiven Steinbruchs in einem ökologisch sensiblen Gebiet und die Klage eines Abfallentsorgungsunternehmens gegen das Verbot, seinen Abfall, der den langlebigen Schadstoff PCB enthält, nach Kanada exportieren zu dürfen.
CETA-Chefverhandler: „Keine Einbußen durch ISDS“
Der kanadische Chefverhandler des noch nicht ratifizierten Freihandelsabkommens der EU mit Kanada (CETA), Steve Verheul, sieht die Situation weniger dramatisch. Auch CETA enthält ISDS-Regelungen. Bereits vor einem Jahr sagte Verheul im Zuge eines Treffens mit Mitgliedern der EU-Ausschüsse des österreichischen Nationalrates, dass er durch die Erfahrung mit ISDS bei NAFTA keine Einbußen für die Regierung verzeichnen könne.
„Wir haben keine Beschränkungen für Regierungen gesehen. Wir haben den vollständigen Schutz, wenn es um Themen wie Gesundheit, Kultur und soziale Dienstleistungen geht. All diese Dinge sind vom ISDS nicht betroffen“, so Verheul. Für Kanada sei ISDS schon immer Teil seiner Position, seiner wirtschaftlichen Linie gewesen, sagte der Chefverhandler.
Auch die EU beruhigt. Auf das Investitionsschutzabkommen angesprochen, sagte die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström im Frühjahr in Brüssel, schon beim kanadischen Abkommen CETA sei die Regel enthalten, dass die Staaten immer das Recht haben, Gesetze zu erlassen, die ihre Bürger schützen. „Dagegen kann auch kein Unternehmen vorgehen.“
Fortschritte bei CETA
Tatsächlich hat die EU beim CETA-Abkommen bereits viele Reformideen umgesetzt, die den von Kritikern wie Barlow genannten Missbrauch von ISDS durch Unternehmen für ihren eigenen Vorteil auf Kosten des Allgemeinwohls unterbinden sollen. Beispielsweise ist im Abkommen klargestellt, dass das Recht der EU und Kanadas auf die Regulierung und Verwirklichung von wichtigen Gemeinwohlzielen wie öffentliche Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Schutz der kulturellen Vielfalt gewahrt bleibt.
Schlüsselbegriffe wie „gerechte und billige Behandlung“ sowie „indirekte Enteignung“ – auf die sich Investoren bei ihren Klagen häufig beziehen – sind im CETA-Abkommen genau definiert, um eine unerwünschte Auslegung zu vermeiden. Das Abkommen sieht ebenso vor, dass sämtliche Dokumente, Entscheidungen und Anhörungen öffentlich gemacht werden. Interessenträger wie Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften sollen bei den Anhörungen Beiträge vorlegen können.
Die neue kanadische Regierung unter Premier Justin Trudeau soll Malmström nun weiter entgegengekommen sein, wie die deutsche Tageszeitung „taz“ berichtet. Bei CETA könnte es in der Frage der umstrittenen privaten Schiedsgerichte noch Nachbesserungen geben, bevor das EU-Parlament das Abkommen ratifiziert.
Weitere Reformen geplant
Der jüngste Reformvorschlag der EU-Kommission zum Streitschlichtungsverfahren zwischen Investoren und Staaten beim Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) geht noch weiter: Das bisherige ISDS-System soll durch ein „System der Investitionsgerichte“ abgelöst werden.
Der Staat würde die Richter der neuen Gerichte nach strengeren Kriterien hinsichtlich fachlicher Qualifikation und Unbestechlichkeit ernennen. Es gäbe keine ad hoc etablierten Schiedsgerichte mehr. Beim TTIP-Pakt der USA und der EU würden die Richter gemeinsam ausgewählt und in zwei Gerichte eingeteilt: Gericht in erster Instanz und ein Berufungsgericht. Langfristig will die EU-Kommission sogar einen permanenten internationalen Investitionsgerichtshof einführen.
„Privilegiertes Rechtssystem“
ISDS-Kritiker wie der kanadische Rechtswissenschaftler Gus van Harten sehen das Instrument als solches weiterhin problematisch. Zwar hätten sich die vorgeschlagenen Reformen der Europäischen Kommission „über im Wesentlichen unechte Reformen zu etwas potenziell Bedeutsamerem“ hinaus entwickelt, schreibt Van Harten. Der Investorenschutz an sich werde aber nicht angetastet. So biete auch das neue System ausländischen Unternehmen weiterhin ein privilegiertes Rechtssystem außerhalb von staatlichen Gerichten, so Van Hartens Kritik.
Ein Rechtssystem, dessen sich vor allem Investoren aus EU-Ländern schon jetzt häufig bedienen, sagt Malmström: „EU-Investoren sind die häufigsten Nutzer“ des Systems. Laut einer EU-Statistik haben allein die 28 EU-Mitgliedsstaaten zusammen rund 1.400 Vereinbarungen mit anderen Ländern, weltweit gebe es 3.400 davon.
Manuela Tomic, ORF.at
Links: