Die Brücke in die Freiheit
Die Glienicker Brücke hat einst Westberlin mit Potsdam verbunden. Bis zum Ende des Kalten Krieges war sie Schauplatz mehrerer Gefangenenaustausche - darunter auch jener, den Steven Spielberg in „Bridge of Spies“ nun auf die Leinwand bringt. Hinter der Fassade eines Spionagethrillers verbirgt sich ein Lehrstück, das in seiner Botschaft kaum aktueller sein könnte.
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1957, der Kalte Krieg befindet sich - laut Texttafel - auf seinem Höhepunkt: Amerikaner und Sowjets schicken Spione quer über den Globus, um im atomaren Wettrüsten den Feind im Auge zu behalten. Rudolf Abel (Mark Rylance) hält sich zu diesem Zeitpunkt gerade in einer kleinen Wohnung in Brooklyn auf. Während er an einem Selbstporträt malt, wird er gleich dreimal von der Kamera eingefangen: als er selbst, als Reflexion im Spiegel und als sein Selbstbildnis.

2015 Twentieth Century Fox
James Donovan (Tom Hanks, r.) und sein Mandant, der sowjetische Spion Rudolf Abel (Mark Rylance)
Es ist eine wortlose Einführung in die Welt der 50er Jahre, eine Welt, in der Beobachtung an der Tagesordnung zu stehen scheint, eine Welt, in der Freiheit schnell zu Ende gehen kann. Abel ist ein sowjetischer Spion und Ziel der amerikanischen Behörden. Als diese vor seiner Türe stehen, ergibt er sich ohne Widerstand - allerdings nicht, ohne davor eine geheime Botschaft, die sich gerade eben noch in einer Münze versteckt hat, unbemerkt zu vernichten.
Fairer Prozess als US-Grundpfeiler
Weniger wortkarg wird James Donovan (Tom Hanks) vorgestellt: ein kompromissloser Anwalt, der Teil der Nürnberger Prozesse war und sich mittlerweile mit Versicherungsfällen auseinandersetzt. Im informellen Gespräch mit der Gegenpartei geht es um die Frage, ob fünf zur selben Zeit Geschädigte als fünf Einzelfälle behandelt werden sollen. Ein klarer Fall für Donovan, der als stets gelassen porträtiert wird. Seine Qualität liegt in seiner unumstößlichen Beständigkeit.
Natürlich kreuzen sich die Wege der beiden Charaktere. Abel wird der Prozess in den Vereinigten Staaten gemacht, ihm soll eine faire Gerichtsverhandlung zustehen - eine Geste in Richtung der Sowjetunion, dass selbst den größten Feinden die gleichen Rechte wie den eigenen Bürgern eingeräumt werden. Donovan soll den vermeintlichen Spion verteidigen, sehr zum Unmut seiner eigenen Familie, die sich um ihren Ruf und nicht zuletzt ihre Sicherheit sorgt.
Spione und Terroristen
Doch Spielberg verzichtet in der Folge darauf, die USA pauschal als „die Guten“ zu inszenieren. Abels Prozess verläuft alles andere als fair, die Einwände seines Anwalts werden meist mit einem saloppen „Ja, aber“ quittiert, an der Verurteilung bestehen von Anfang an keine Zweifel.

2015 Twentieth Century Fox
Nicht ohne Hindernisse: Anwalt Donovan bei der Einreise nach Ostberlin
Vor laufender Kamera wird am Herzstück der Amerikaner, ihrer Verfassung, gesägt - dort ist das Recht auf einen gerechten Prozess verankert. Es ist ein Seitenhieb auf den „Krieg gegen den Terror“, der in den USA nach den Anschlägen am 11. September 2001 die Bürgerrechte einschränkte - vor allem jener Bürger, die diesen Schutz besonders benötigen würden.
Spielberg setzt über die gesamte Länge des Films immer wieder Anknüpfungspunkte zur Gegenwart, die weniger als subtile Referenzen als als deutliche Warnungen transportiert werden und an die Wahrung der Grundpfeiler des „American Dream“ appellieren.
Mauerbau als einschneidendes Ereignis
Donovan und Abel verlieren den Prozess, dem Spion bleibt aber die Todesstrafe erspart. Stattdessen soll er im Bedarfsfall gegen einen amerikanischen Agenten „getauscht“ werden. Dazu kommt es umgehend (in Wirklichkeit verbrachte Abel vier Jahre im Gefängnis), und Donovan soll den Austausch für Francis Powers (Austin Stowell) in die Wege leiten. In Ostberlin muss er nicht nur mit einem Vertreter der UdSSR feilschen, sondern auch die Befindlichkeiten der DDR beachten - und dabei auch noch einen Studenten (Will Rogers) retten, der der US-Regierung vollkommen egal ist.
Spielberg lässt für seinen Film die Mauer wieder aufbauen. In einer einzigen, mehrere Minuten dauernden Sequenz zeigt er die Verzweiflung der Menschen, die plötzlich getrennt werden - nach der Festnahme von Abel zu Beginn ist es die visuell einprägsamste Szene. Damit knüpft der Regisseur an seine früheren Erfolge mit historischen Stoffen an. Es ist nicht „Schindlers Liste“, aber „Bridge of Spies“ vermittelt die Drastik dieses Augenblicks, ohne sich dabei von geschichtlicher Genauigkeit einschränken zu lassen.
Familie steht über Gut und Böse
Dass Spielbergs Film dabei über weite Strecken unterhalten kann, ist dem Drehbuch geschuldet, das ursprünglich aus der Feder von Matt Charman stammt, aber die Handschrift der Coen-Brüder Ethan und Joel trägt, die dessen Story an den richtigen Stellen optimierten. Trockener Witz - der allen voran vom sonst primär auf der Bühne tätigen Rylance als Abel transportiert wird - lockert den knapp zweieinhalbstündigen Film auf, ohne dabei den Ernst der Lage zu verkennen.
„Bridge of Spies“ bleibt über die gesamte Länge zweigeteilt: Spielberg wird nicht müde, sowohl Ost als auch West in ihrem teils brutalen Pragmatismus darzustellen. Für viele Szenen gibt es ein entsprechendes Gegenstück, das eine andere Facette sichtbar machen soll. In der dadurch entstehen Schwarz-Weiß-Zeichnung sticht nur einer hervor: Hanks als integrer Familienmensch, der bis zuletzt für die Freiheit als ultimativen amerikanischen Wert kämpft. Es bleiben keine Zweifel, wer der „wirklich Gute“ ist.
Florian Bock, ORF.at
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