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Moskau rückt Türkei in Terrornähe

Der Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei belastet die internationalen Bemühungen um ein gemeinsames Vorgehen im syrischen Bürgerkrieg. Im Moment stehen die Zeichen zwischen Moskau und Ankara eher auf Konflikt denn auf Entspannung. Am Mittwoch drehte vor allem der russische Außenminister Sergej Lawrow an der verbalen Eskalationsschraube.

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„Wir haben ernsthafte Zweifel daran, dass dies unbeabsichtigt war“, sagte Lawrow über den Abschuss. Der Politiker, der für seine markigen Aussagen bekannt ist, sprach gar von einer „geplanten Provokation“ der Türkei. „Das war ganz offensichtlich ein Hinterhalt: Sie warteten, beobachteten und haben einen Vorwand gesucht“, sagte Lawrow nach einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu. Lawrow schloss damit an Aussagen von Präsident Wladimir Putin an. Putin hatte die Türkei bereits am Dienstag als „Helferselfer von Terroristen“ bezeichnet.

Russischer Außenminister Lawrow

APA/AFP/Maxim Shipenkov

Lawrow droht Ankara mit Konsequenzen

Lawrow hätte Cavusoglu am Mittwoch in Ankara besuchen sollen. Nach dem Abschuss des russischen Jets durch türkische F-16 sagte der russische Außenminister seinen Besuch wegen der „wachsenden terroristischen Gefahr“ in der Türkei aber noch am Dienstag ab. Am Mittwoch wurde er noch einmal deutlicher. „Wir reden derzeit davon, dass Terroristen das türkische Territorium nutzen, um dort Operationen in Syrien und anderen Ländern vorzubereiten. Das darf für niemanden ein Geheimnis sein“, sagte Lawrow laut dem staatlichen Nachrichtenportal Sputniknews.

Lawrow: Beziehungen „ernstlich“ überdenken

Laut Lawrow will Moskau nun seine Beziehungen zur Türkei „ernstlich“ überdenken. Es gebe keine Pläne für Besuche aus Ankara, und der Abschuss werde auch Auswirkungen auf die zuletzt in Wien geführten Friedensverhandlungen haben, so der Verteidigungsminister. Zuvor hatte bereits der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu einen gemeinsamen Anti-Terror-Kampf mit der Türkei infrage gestellt.

Moskau werde alle militärischen Kontakte mit Ankara vorerst einfrieren, sagte Schoigu. Der Verteidigungminister relativierte damit ein Angebot, das zuvor der russische Botschafter in Frankreich, Alexander Orlow, in den Raum gestellt hatte. Er schlug vor, Russland, die USA und auch andere Staaten wie die Türkei könnten zukünftig für ihre Luftschläge ein gemeinsames Militärkommando einrichten.

Russland schickt Raketenkreuzer

Momentan stehen die Zeichen vielmehr auf weitere Alleingänge Moskaus. Putin kündigte an, Russland werde seine Luftwaffenbasis in Syrien mit einem S-400-Raketensystem aufrüsten, das vom Boden aus gegen Flugzeuge eingesetzt werden kann. Zugleich will Moskau den in Syrien operierenden Bombern künftig Jäger zur Seite stellen.

Russlands Präsident Wladimir Putin

APA/AFP/Maxim Shipenkov

Putin kündigte an, die Bomber vom Boden und aus der Luft zu unterstützen

Darüber hinaus bringt Russland den Raketenkreuzer „Moskwa“ vor der syrischen Mittelmeer-Küste in Position. Er solle alle Ziele vernichten, die Russlands Luftwaffe in dem Bürgerkriegsland gefährden könnten, so der Generalstab in Moskau laut Sputniknews.

Wirtschaftssanktionen in den Raum gestellt

Russland lässt aber nicht nur militärisch die Muskeln spielen. Mit erstem Dezember werde ein Importverbot für türkisches Hühnerfleisch in Kraft treten, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax am Mittwoch. Mit einem Handelsvolumen von rund 15 Mio. Euro ist dieser Schritt zwar noch eher als Warnung zu verstehen, doch Moskau könnte noch einmal nachlegen.

Premier Dimitri Medwedew stellte am Mittwoch einen Stopp russisch-türkischer Projekte in Aussicht - und schwang erneut die Terrorismuskeule. „Wir reden derzeit davon, dass Terroristen das türkische Territorium nutzen, um dort Operationen in Syrien und anderen Ländern vorzubereiten. Das darf für niemanden ein Geheimnis sein“, so Medwedew laut dem TV-Sender Russia Today.

Protestierende vor der türkischen Botschaft in Moskau

APA/EPA/Sergei Ilnitzky

Demonstranten protestieren vor der türkischen Botschaft in Moskau

Dieser Meinung waren wohl auch jene Demonstranten, die sich am Mittwoch vor der türkischen Botschaft in Moskau versammelten. Laut der russischen Nachrichtenagentur TASS kamen rund 900 Menschen zusammen. Einige von ihnen hätten das Gebäude mit Steinen, Eiern und Farbbeuteln beworfen. Mindestens 15 Fenster seine zu Bruch gegangen. Auf Plakaten war unter anderem „Erdogan Mörder“ zu lesen.

Erdogan setzt auf Beruhigung

In Anbetracht dessen gab sich die türkische Seite am Mittwoch beinahe versöhnlich. „Wir denken definitiv nicht an so etwas wie eine Eskalation dieses Zwischenfalls“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in Istanbul. Laut Erdogan stellte sich erst nach dem Abschuss des Kampfjets heraus, dass es sich um ein russisches Flugzeug handelte.

Einen Seitenhieb auf Russland konnte sich Erdogan aber nicht verkneifen. „Wir verteidigen nur unsere eigene Sicherheit und das Recht unserer Brüder in Syrien“, sagte Erdogan. Er ließ erneut durchblicken, was er von den Luftangriffen der Russen in der von der turkmenischen Minderheit besiedelten syrischen Grenzregion zur Türkei halte. „Es wird behauptet, sie würden dort gegen Daesch (Terrormiliz Islamischer Staat, IS, Anm.) vorgehen.“ Dort sei der IS aber gar nicht vertreten.

In türkischem Luftraum oder nicht?

Tatsächlich wird die syrische Region an der Grenze zur Türkei vor allem von Turkmenen bewohnt, gegenüber denen sich die Türkei als Schutzmacht versteht. Turkmenische Rebellen kämpfen gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad und sind damit auch Ziel russischer Luftschläge. Moskau betrachtet die Rebellen in Syrien generell als Dschihadisten und Terroristen.

Die russischen Flugzeuge kommen bei ihren Angriffen dabei der türkischen Grenze sehr nahe. Ob der abgeschossene Su-24-Bomber am Dienstag aber tatsächlich in den türkischen Luftraum eingedrungen war, ist noch immer ebenso unklar wie die Frage, wo der Jet abgeschossen wurde. Die Türkei ist von einer Luftraumverletzung überzeugt, während Moskau eine solche bisher bestritt.

Karte zum Abschussort des Jets

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Aus US-Regierungskreisen verlautete nun, das russische Flugzeug sei wohl kurzzeitig über türkischem Territorium gewesen, aber nicht dort getroffen worden. Abgeschossen wurde der Jet vielmehr im syrischen Luftraum, sagte ein nicht namentlich genannter Behördenvertreter der Nachrichtenagentur Reuters.

Russischer Pilot bestreitet Warnungen

Die USA unterstützten jedoch die Darstellung der Türkei, wonach die russischen Piloten zehnmal innerhalb von fünf Minuten über ihr Eindringen in den türkischen Luftraum gewarnt worden seien. Der überlebende Pilot der abgeschlossenen russischen Maschine widersprach dem in russischen Staatsmedien: Es habe vor dem Abschuss keine optische oder Funkwarnung der Türkei gegeben. Man habe auch zu keinem Zeitpunkt türkischen Luftraum überquert, sagte der Pilot am Mittwoch. Laut Putin war der Pilot bei einem zwölfstündigen Rettungseinsatz in Syrien gerettet worden. Der zweite Pilote, der das Flugzeug vor dem Absturz ebenfalls mit dem Schleudersitz verlassen konnte, dürfte hingegen ums Leben gekommen sein.

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