Gang-Gewalt und Drogenhandel
Viele karibische Staaten haben mit hohen Kriminalitätsraten zu kämpfen. Betroffen sind vor allem arme Länder, deren Bevölkerung unter einem Mangel an Arbeit und ökonomischen Perspektiven leidet. Waffen, Geldwäsche, Eigentumsdelikte und auffallend hohe Mordraten bremsen langfristig die Entwicklung. Über allem hängt der transnationale Drogenhandel.
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Laut einem Bericht von „Le Monde Diplomatique“ ist die Gewalt in Lateinamerika und der Karibik am Explodieren. Die Mordrate von 25 per 100.000 Einwohner in der gesamten Region sei so hoch wie in einem Bürgerkriegsgebiet, so das Magazin. Einer der zahlreichen Gründe dafür ist der Handel mit Rauschgift. Die Karibik ist insofern betroffen, als sie durch ihre Nachbarschaft zu den Drogenhochburgen Zentral- und Mittelamerikas eine günstige Route für den Handel nach Europa und die USA bietet, wie der aktuelle Weltdrogenbericht bestätigt.
Der Weg des Rauschgifts
Kokain ist dabei das größte Problem. 2013 fanden rund 95 Tonnen aus den Anden-Regionen über die karibischen Routen ihren Weg in die USA - meist per Boot. Wie der Drogenschmuggel über die Karibik funktionieren kann, berichtete „The Economist“: Ausgehend von der südamerikanischen Nordküste starten Schnellboote mit der Ware an Bord. Die Fahrt von Venezuela nach Trinidad und Tobago dauert nur ein paar Minuten. Weitere Routen führen über die Dominikanische Republik, entlang der östlichen Karibik oder via Jamaica.

Reuters/Andrea De Silva
Verdächtige Gangmitglieder in Princes Town, Trinidad und Tobago
Auf den Inseln findet die Ware dann ihren Weg zu lokalen Mittelsmännern und Drogenkurieren. Um unter dem Radar der Fahnder zu bleiben, werden die Suchtmittel im oft dichten Seeverkehr von Boot zu Boot verschoben. Beliebt ist auch der Transport auf Kreuzfahrten oder Fähren - durch die große Menge an Reisenden, Gepäck und Inventar werden Kontrollen für die Drogenpolizei zur Herausforderung. Auch mit Containerschiffen wird geschmuggelt. Die Zielorte sind beispielsweise Puerto Rico, die USA oder es geht weiter nach Europa.
Kriminelle Netzwerke
International operierende Drogenproduzenten nutzen auf der karibischen Route die schwere Kontrollierbarkeit der Grenzen und Seegebiete und die Schwäche der lokalen Polizei. Dabei beziehen sie vor allem verarmte Bevölkerungsgruppen, die sich aus einem Mangel an sozioökonomischen Perspektiven der Kriminalität zuwenden, in ihre Aktivitäten mit ein. Es entsteht ein Teufelskreis: Armut, Arbeits- und Alternativlosigkeit machen Drogenhandel zum einträglichen Geschäft, ganze Gemeinschaften geraten zentral oder peripher in die Abhängigkeit der organisierten Kriminalität. Es entstehen Slums, Parallelgesellschaften und Gangs, aus Mangel an Alternativen steigt die soziale Akzeptanz von Kriminalität.
Neben den Drogen werden in einigen Regionen auch Geldwäsche und Menschenhandel zunehmend zum Problem, so das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Für Letzteren ist die Karibik sowohl Transitroute als auch Quelle. Menschen werden dabei zum Zweck der Prostitution, aber auch für Zwangsarbeit gehandelt.
Armut feuert Verbrechen an
Fatalerweise sorgt diese transnationale Kriminalität für einen stetigen Zustrom an Schusswaffen in das Land - ihre Verfügbarkeit lässt die Mordraten in die Höhe schnellen. Unter den 20 Ländern mit den weltweit höchsten Tötungsraten befinden sich acht karibische Staaten, Spitzenreiter sind die Amerikanischen Jungferninseln. Dort starben bei einer Bevölkerung von rund 100.000 Menschen im Jahr 2012 56 Personen durch die Hand einer anderen. Zum Vergleich: In Österreich waren es bei etwa 8,5 Millionen Bürgern 77 Personen. Laut einem UN-Report zur Kriminalitätsprävention mit Zahlen aus 2012 wurden zwei Drittel aller Morde in Lateinamerika und der Karibik mit Schusswaffen begangen.
Einen großen Anteil am Kriminalitätsproblem haben lokal organisierte Straßengangs. Vor allem junge, arbeitslose und sozial benachteiligte Männer geraten durch sie in einen Sumpf aus lokalem Drogenhandel und -anbau, Eigentumsdelikten, Gewalt- und Racheverbrechen. Besonders bei Machtverschiebungen und Territorialkonflikten zwischen den Gruppierungen kommt es dabei immer wieder zu Gewaltausbrüchen, die auch Unschuldige treffen.
Verbrechen und Strafe
Was diese Umtriebe überhaupt ermöglicht, ist die Schwäche der Staatsgewalt. Die Polizei will mit eiserner Faust reagieren, ist aber in vielen Ländern zu schlecht strukturiert, um dem Verbrechen ernsthaft entgegentreten zu können. Laut einem US-Report von 2014 sind die Aufklärungsraten mangelhaft, das Justizsystem ebenso. Landen Kriminelle nach langen Wartezeiten auf ihren Prozess endlich im Gefängnis, tun die desolaten Zustände dort ihr Übriges. Statt Resozialisierung passiert Rekrutierung. Als letztes Mittel bleiben den Staaten nur mehr Hardlinergesetze wie die Todesstrafe.
Dabei sehen Experten die Lösung der Probleme weniger in drakonischen Strafen als in gründlichen strukturellen Reformen. Sie fordern gebetsmühlenartig Initiativen gegen die Jugendarbeitslosigkeit, für mehr Bildung, Familienförderung und ökonomische Perspektiven. Das ist zumindest theoretisch auch schon bei der Politik angekommen: „Ich höre mich vielleicht an wie eine kaputte Platte, aber ich werde nicht müde zu sagen, dass wir das Problem der Jugendarbeitslosigkeit lösen müssen“, so Perry Christie, Premierminister der Bahamas. „Wenn wir dieses Grundproblem ignorieren, tun wir es zu unserer eigenen Gefahr.“
Und der Tourismus?
Laut dem „World Travel and Tourism Council“ ist die Karibik die am meisten von Touristen abhängige Region der Welt. Damit hat er Einfluss auf alle sozioökonomischen Bewegungen, so auch auf die Kriminalität. Das lässt sich auch in der Proportionalität der Delikte ablesen: Während es in touristisch schlecht erschlossenen Gebieten mit vielen Einheimischen und Städten eher zu Gewaltverbrechen gibt, kommt es in Ferienhochburgen vorrangig zu Raub, Taschendiebstahl, Einbrüchen und Co.
Was sich einfach erklären lässt: Erstens „macht Gelegenheit Diebe“, zweitens ist die Polizei in touristisch dominierten Gebieten überpräsent. Polizeidienststellen sind strategisch platziert, Ferienanlagen haben gut funktionierende Sicherheitssysteme und schützen sich auch durch private Securityfirmen.
Urlauber: Sicher mit Vorsicht
Deswegen stuft das österreichische Außenministerium die Sicherheit für Reisende auf den meisten karibischen Inseln auch als gut ein. Gewarnt wird trotzdem, beispielsweise vor Spaziergängen in der Nacht, Aufenthalten in besonders gefährlichen Stadtvierteln und der Mitnahme hoher Bargeldsummen. Vor einer Reise wird empfohlen, sich über die lokalen Gegebenheiten zu informieren, währenddessen soll man gesunde Wachsamkeit walten lassen.
Oft sind Verbrechen auch auf bestimmte Gegenden und Stadtviertel begrenzt, mit denen Touristen in der Regel kaum in Berührung kommen sollten. Generell ist zu beachten, dass Kriminalität in der Karibik ist ein zutiefst regionales Problem ist. Die Situation variiert sehr stark, sowohl im Ländervergleich als auch innerhalb der Staaten - oft sind auch nur einzelne Stadtviertel betroffen. Verknüpft ist die Situation dabei stets mit den sozioökonomischen Verhältnissen: je besser die Zustände, desto weniger Kriminalität.
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