Über den Dingen und unter dem Tisch
Bühnenmagier, Theaterzauberer, Visionär: Der erst kürzlich mit dem Nestroy für sein Lebenswerk ausgezeichnete Achim Freyer wird als Gesamtkünstler gefeiert. Nach seiner Festwochen-Produktion „Luci mie traditrici“ ist nun heuer schon die zweite Produktion des 81-Jährigen in Wien zu sehen: „Don Giovanni“ in der Volksoper.
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Die Geschichte des Lüstlings, der schon über 1.000 Frauen verführt hat, ist bekannt - und vielfach erzählt und interpretiert worden. Doch Freyer erzählt in seiner Inszenierung nicht die Geschichte von Don Giovanni, dem verlebten Sexprotz, nicht die eines jungen Testosteronhengsts oder die eines prassenden Kapitalisten. Sein Verführer agiert eine Metaebene höher - als Querdenker, Freigeist und Störenfried der Angepassten. Er ist der Regelbrecher, der die Verbohrten provoziert und dafür von der Gesellschaft verfolgt und in die Hölle geschickt wird.

Volksoper Wien/Barbara Pálffy
Donna Elvira fällt immer wieder auf Don Giovanni herein
Clown unter Clowns
Don Giovanni ist da ein Clown, der von Clowns verfolgt wird, und das macht auch die Ästhetik deutlich. Fast wähnt man sich im Puppentheater, abstrahiert sind nicht nur Kostüme und die angedeuteten Spielorte im Bühnenbild, sondern auch Mimik und Gestik. In einer gezeichneten zweidimensionalen Welt treten die Darsteller wie Puppen auf, jede vollführt wenige ausgewählte Gesten. Donna Elvira toupiert sich die Haare, Don Giovanni spielt die Luftgeige, und Leporello muss sich im Dauerloop die Hose richten.
Die Welt ist großteils schwarz-weiß, mit wenigen Farbtupfern, immer wieder werden Kulissen geschoben, die Bühnenarbeiter sind Statisten, die auf- und abräumen, den Tisch (unter dem sich Don Giovanni gerne verkriecht) decken und Versatzstücke bringen. Mit Don Giovannis Ende wird die Bühne dunkler - die weißen Kartonwände sind schwarz geworden, und nur hier bricht Freyer die Szene auf - Blut spritzt per Projektion auf der Hinterbühne, während Don Giovanni vorne von der Meute zerrissen wird. Das lieto fine darf aber trotzdem nicht fehlen - und so lädt Freyer beim Schlussapplaus zu „Würstl a la Don Giovanni“ auf die Bühne.

Volksoper Wien/Barbara Pálffy
Zerlina lässt sich auf Händen tragen
Die deutsch-italienische Mischversion
Gezeigt wird die Prager Fassung der Oper, erweitert um die Wiener Arien für Elvira und Ottavio. Verfremdend kommt der ungewohnte Umgang mit der Sprache: Seit den 1950er Jahren ist man auch im deutschsprachigen Raum dazu übergegangen, die italienische Originalfassung zu zeigen. Freyer jedoch lässt seine Besetzung zwischen deutscher und italienischer Sprache hin- und herwechseln, teilweise mitten im Satz. Das ist keine leichte Aufgabe für die Solisten, die damit aber ausnahmslos genauso gut zurecht kommen wie mit der darstellerischen Aufgabe, die Freyer ihnen stellt.
Josef Wagner ist mit seiner angenehm geführten Stimme ein sehr solider Don Giovanni, der die Ironie über die Rampe zu bringen vermag. Mischa Schelomianski steht ihm als Leporello zur Seite und legt die gebotene Leichtigkeit der Rolle in seinen Bass, den größten Applaus holt sich aber Tenor Jörg Schneider als Don Ottavio ab.
Aber auch die Damen wissen zu überzeugen - Esther Lee (die kurzfristig für die erkrankte Caroline Melzer einsprang) ist eine ausgezeichnete Donna Elvira, Kristiane Kaiser besticht mit ungemein starker Bühnenpräsenz als Donna Anna. Andreas Mitschke ist ein starker Komtur, Anita Götz eine locker helle Zerlina, an deren Seite Ben Connor als Masetto zur tölpeligen Marionette wird.
Hinweis:
„Don Giovanni“ ist in der Volksoper am 20., 22., 24. und 27. November sowie am 1., 3., 9., 12. und 15. Dezember jeweils um 19.00 Uhr zu sehen.
Der niederländische Dirigent Jac van Steen leitet das Volksopern-Orchester sehr präzise, aber zurückgenommener als man „Don Giovanni“ normalerweise hört. Mit der musikalischen Darbietung schien auch das Premierenpublikum einvernehmlich zufrieden zu sein - anders war das bei der Inszenierung. Schon in der Pause der gut dreieinhalbstündigen Oper lichteten sich im Parkett die Reihen, einige Unzufriedene blieben dann doch bis zum Schluss - um Freyer mit Buhrufen ihr Missfallen zu bekunden. Es dominierte trotzdem der Jubel.
Sophia Felbermair, ORF.at
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