Zwischen Nostalgie und Tourismusruinen
„Urlaub nach dem Fall“ heißt eine aktuelle Schau im Architekturzentrum Wien (AzW). Hinter dem sperrigen Untertitel - „Transformationen sozialistischer Ferienarchitektur an der kroatischen Adriaküste“ - verbergen sich kollektive Urlaubserinnerungen ganzer Generationen, aber auch Einblicke in die Entwicklungen und Machenschaften des kroatischen Tourismus seit den frühen 60er Jahren.
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Kroatien-Urlaub, das ist für viele mit der Erinnerung an unbeschwerte Kindheit, Pinienwälder, Steilküsten und typische Hotelbauten mit klaren, schmucklosen Formen verbunden. Wer heute wieder an diese Kindheitsorte zurückfährt, nicht selten mit den eigenen Kindern auf dem Rücksitz, dem bietet sich nahezu dasselbe Bild wie damals. Eine Erfahrung, die auch Michael Zinganel, der Kurator der Schau, machte.
Sommerfrische wie damals
Freilich, viele Hotels wurden im Krieg zerstört oder aufgelassen und stehen nun als verlassene Ruinen in der Landschaft. Sie sind ein wesentlicher Teil jenes unverkennbaren Urlaubsbildes, das wir bis heute von der kroatischen Adria mit nach Hause nehmen. Andere wurden durch moderne Bauten ersetzt. Aber im Grunde ist der gesamte Küstenabschnitt bis heute von allzu großen Baubooms und Modernisierungsschüben verschont geblieben. Warum?
„Es hat zwei Gründe“, erklärt Zinganel, „erstens war der Balkan-Krieg eine mehrjährige Zäsur in der touristischen Entwicklung, und zweitens, quasi daraus folgend, hat man in der Zwischenzeit das Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Landschaft entdeckt und daher viele Fehler, die anderswo in den 90er Jahren begangen wurden, gleich von vornherein vermieden.“

Daniele Ansidei 2011
Ruinen einst stolzer Architektur
Frühes Verständnis für Form und Ästhetik
Dieses Bewusstsein für die Landschaft war allerdings schon von Beginn an stark ausgeprägt in der – damals noch – jugoslawischen Tourismusarchitektur. Von Tito soll der Ausspruch „Die Landschaft ist unser Kapital“ stammen, ab den 60er Jahren wurden unterschiedliche Modelle und Typologien für Hotelbauten entwickelt, die sich möglichst gut in die Pinienwälder und schroffen Küsten einfügen sollten.
Den Plänen dafür ist ein eigener Bereich der Ausstellung gewidmet. „Irgendwann ist der kommunistische Verzicht auf Luxus doch dem Bedürfnis, große Bauwerke zu errichten, gewichen. Man hat Anfang der 60er Jahre mit großen, klotzigen Türmen in Form von hochgestellten Quadern begonnen“, so Zinganel, „dann hat man gesehen: Die stören schon ein bisserl.“
Bewusste Abgrenzung und eigene Entwicklung
Also begann man, stattdessen liegende Quader zu errichten und später mit den Kuben zu spielen. Große Gebäudekomplexe wurden als Ensembles vieler kleiner Quader gesehen, die versetzt über- und nebeneinander lagen. So entstanden dynamische Formen, die sich erstaunlich gut in die Pinienwälder und Steilküsten fügten. Die Entwicklung dauerte weniger als ein Jahrzehnt, danach war das Soll erfüllt, von weiteren Bauten wurde – anders als etwa an Spaniens Küsten – abgesehen.
Nicht nur deshalb stellt Kroatien bis heute einen Sonderfall in der Tourismusarchitektur dar. „Jugoslawien grenzte sich bewusst sowohl von Stalin als auch von Hitler ab und beschritt einen eigenen, radikal modernen Weg in der Kunst, Architektur und eben auch in der Tourismusarchitektur“, so Zinganels These. Der Tourismus als Wirtschaftszweig und Repräsentationsform erlangte mehr und mehr Gewicht.
Ausstellungshinweis
Die Ausstellung „Urlaub nach dem Fall“ ist im Architekturzentrum Wien im Wiener Museumsquartier noch bis 30. November zu sehen.
Besitzlage: Rechtlich ungeklärt
Für die Architekten war diese neue Herausforderung zum einen die große Chance, sich einen Namen zu machen, zum anderen bedeutete sie absolute künstlerische Freiheit. Während heute jedem Hotelbau mindestens eine Markt- und Meinungsumfrage vorangeht, um die aktuellen Geschmäcker potenzieller Gäste in Erfahrung zu bringen, hatten die Architekten damals weitgehend freie Hand.
Viele dieser Gebäude muten deshalb nach wie vor sehr modern an. Dass etliche von ihnen allerdings heute dem Verfall geweiht sind, liegt nicht immer am Geld. Oft sind auch die ungeklärten Besitzverhältnisse Hemmschuh in der Entwicklung. „In Jugoslawien gehörte der Boden nicht dem Staat, sondern dem Volk, also allen“, erklärt Zinganel. „Nach 1989 wurden verschiedene Besitzansprüche geltend gemacht, vieles auch zwangsverstaatlicht, um es dann an Private zu verkaufen, manches ist noch immer rechtlich ungelöst.“ Und deshalb in absehbarer Zeit wohl dem Abriss geweiht.
Neuer Anlauf im Luxussegment
Andernorts haben große Ketten wie Valamar begonnen, in neue, anspruchsvolle Hotelarchitektur in der Vier- und Fünfsternkategorie zu investieren. Der eigentümliche Charme der 60er und 70er Jahre wurde dem ästhetischen Anspruch des 21. Jahrhunderts angenähert. Die Ausstellung zeigt mehrere Beispiele auf Fotos. „Die aus den 70ern überlieferten Formen wurden aufgegriffen, Vintage-Möbel in der Lobby retten den Charme herüber ins Heute. Statt Sichtbeton und rechter Winkel dominieren nun weiß getünchte Wände und Decken in geschwungenen, offenen Formen, die fließend ineinander übergehen“, so Zinganel.
Und apropos Investition: „In einem der aktuellen Top-Real-Estate-Projekte stecken allein 158 Millionen Euro Kredit der Hypo drin, und man fragt sich, ob denn jemand dran gedacht hat, sie zurückzuzahlen.“ Zum Vergleich: Vladimir Zagorec benötigte für seine ominösen Waffengeschäfte damals „nur“ 50 Millionen Euro von der Hypo.
Gute Geschäfte, einträchtige Verschwiegenheit
Die Hypo-Investitionen an der Adria sind dabei gar nicht das einzige zwielichtige Geschäft. Während des Embargos, das allen kriegsführenden Nationen auferlegt wurde, verstand man es in Kroatien, sowohl Waffenlieferungen „zur Verteidigung“, wie es hieß, als auch entsprechende Geldgeber für eigenwillige Deals im Tourismus zu gewinnen.
Besonders gerne sprangen Investoren und Banken aus Österreich auf. Man wurde handelseinig, ohne groß Aufhebens darum zu machen, und es scheint, als bestehe bis heute kein Bedarf, genauer nachzufragen oder gar aufzuklären, und auch die Ausstellung lässt sich auf keine tiefere Auseinandersetzung mit der Thematik ein.
Kompakte Schau auf kleinem Raum
Aber die kompakte und dabei trotzdem sehr dichte Schau, die bereits 2012 in Graz entstand und nun in Wien gastiert, ist ohnehin als subtile Demonstration angelegt und nicht als offensiver Fingerzeig. Fotos von leerstehenden Resortruinen stehen den Entwürfen neuer Designhotels gegenüber, Infos über politisch-ökonomische Hintergründe finden sich neben Beispielen für Sozialtourismus.
Entsprechend können Brüche und Entwicklungen anhand der Fotos, Videos und Tonaufnahmen selbst nachvollzogen und interpretiert werden. Für tiefere Einblicke bietet die Bibliothek nebenan einen eigenen Handapparat.
Noch kleiner als die Schau ist leider der dafür vorgesehene Ausstellungsraum im Architekturzentrum. Die sieben Stationen wirken dadurch relativ gedrängt, ein Durchschlendern ist schwer möglich, und es erfordert hohe Konzentration, um nicht versehentlich an einem der zahlreichen Objekte und damit thematisierten Aspekte vorbeizulaufen. Abhilfe können da vielleicht die Kuratorenführungen am 11. und am 28. November schaffen.
Judith Hoffmann, ORF.at
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