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„Haben keine Zeit zu verlieren“

Der Plan ist einer der drei zentralen Punkte, auf die sich die Staats- und Regierungschef der elf Teilnehmerstaaten beim Flüchtlingsgipfel in Brüssel geeinigt haben: 50.000 neue Aufnahmeplätze für Flüchtlinge in Griechenland, 50.000 entlang der Westbalkan-Route. Doch noch scheint es an der Umsetzung zu hapern - trotz des nahenden Winters und einer ungebrochen hohen Zahl an Flüchtlingen.

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Die EU-Kommission sah sich jedenfalls drei Tage nach Ende des Gipfels dazu genötigt, erneut eine möglichst rasche Schaffung von Plätzen entlang der Westbalkan-Route zu verlangen. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, nicht einen Tag, nicht einmal eine Stunde, wenn wir eine humanitäre Tragödie auf dem Westbalkan vermeiden wollen“, sagte Kommissionssprecher Margaritis Schinas am Donnerstag. Es sei „keine Zeit für Verzögerungen, keine Zeit für Bürokratie. Jetzt ist es Zeit zum Handeln.“

In einer Videokonferenz wollen die elf Staaten am Donnerstagnachmittag „konkrete Maßnahmen“ zur raschen Umsetzung des in Brüssel beschlossenen 17-Punkte-Plans besprechen. Der Ton der Unterredung könnte durchaus rauer ausfallen. Denn bei dem Treffen in Brüssel war auch vereinbart worden, dass das unangekündigte Weiterleiten von Flüchtlingen entlang der Route beendet werde. Trotzdem kommen weiterhin Tausende Flüchtlinge an der bayrisch-österreichischen Grenze an.

Notquartiere „proppenvoll“

Mittlerweile sind laut der deutschen Bundespolizei die Notquartiere für Flüchtlinge in Niederbayern „proppenvoll“. Erst gegen 3.00 Uhr waren die letzten wartenden Flüchtlinge von den Grenzorten in die Unterkünfte gebracht worden. Bis Donnerstagmittag seien etwa 1.200 Menschen an den Grenzübergängen Passau und Wegscheid angekommen, so die deutsche Bundespolizei. Insgesamt hätten die österreichischen Behörden etwa 50 Busse mit bis zu 3.000 Flüchtlingen für den Raum Passau angekündigt.

ZIB-Bericht von der Grenze

Tausende Flüchtlinge gehen jeden Tag zu Fuß von Östereich nach Deutschland. Die ZIB berichtet von der Lage an der bayrisch-österreichischen Grenze.

„Ich hoffe nur, dass die Busse nicht so spät wie sonst kommen, weil inzwischen Sprühregen eingesetzt hat und die Wetterverhältnisse schlechter werden“, so Polizeisprecher Thomas Schweikl. Zuletzt waren nach Angaben der deutschen Behörden meist mehr Busse als vorangemeldet von österreichischer Seite zur Grenze gefahren.

Der Druck an den deutschen Grenzen veranlasste am Mittwoch den deutschen Innenminister Thomas de Maiziere zu Kritik an Österreich. Wie der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer kritisierte er Österreich für dessen „Verhalten“ scharf. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner argumentierte wiederum damit, selbst an der slowenischen Grenze unter Druck zu geraten.

Busse und Sonderzüge

Donnerstagvormittag befanden sich rund 3.000 Flüchtlinge am Grenzübergang Spielfeld in der Steiermark. Ihr Weitertransport in 60 bereitgestellten Bussen war laut Polizeisprecher Wolfgang Braunsar im Laufen. Zusätzlich zu den Bussen fuhren noch drei Sonderzüge vom Grazer Hauptbahnhof, in denen 1.500 Flüchtlinge die Weiterfahrt ermöglicht werden soll. Die Einsatzkräfte hofften zudem, dass die Menschen auch in Regelzügen in weitere Quartiere gebracht werden können - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Flüchtlinge übernachten bei null Grad im Freien

Die Nacht auf Donnerstag verbrachten viele Flüchtlinge bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im Freien.

Weiterhin für Aufregung sorgte auch am Donnerstag die Ankündigung der Bundesregierung, in Spielfeld „bauliche Maßnahmen“ zu setzen. Ob es sich dabei wie von Mikl-Leitner in den Mund genommen um einen „Zaun“ oder „nur“ um eine „technische Sicherung“ handle, darauf wollte sich die Regierung bis Donnerstag nicht festlegen. Für Kritik sorgten die Pläne dennoch bereits, zuletzt von Amnesty International und den Evangelischen Kirchen - mehr dazu in religion.ORF.at.

Flüchtlingszahlen unvermindert hoch

Zaun oder nicht Zaun - wohl kaum jemand rechnet damit, dass die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in den kommenden Tagen zurückgeht. Dafür sprechen sowohl die Zahlen und Beobachtungen vom Balkan als auch die Situation vor der griechischen Mittelmeer-Insel Lesbos. Innerhalb der vergangenen zwei Wochen erreichten mehr als 100.000 Flüchtlinge über die Balkan-Route Slowenien. Am Donnerstag kamen bereits mehr als 5.300 Menschen mit Zügen aus Kroatien an, am Mittwoch waren es fast 10.000 gewesen, wie die aktuellen Zahlen der Polizei zeigen.

An der türkischen Ägäis-Küste in Aivacik warten nach wie vor Tausende Menschen auf eine Überfahrt in Richtung der griechischen Mittelmeer-Insel Lesbos. Allein seit Monatsbeginn ließen sich 100.000 Menschen in völlig überfüllten Booten nach Europa bringen - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Dutzende Tote vor Lesbos befürchtet

Wie gefährlich die Überfahrt werden kann, zeigte sich erneut am Mittwochabend. Bei einem Bootsunfall vor Lesbos ertranken womöglich Dutzende Menschen. Fünf Kinder, zwei Männer und eine Frau seien tot geborgen worden, teilte die Küstenwache am Donnerstag mit. Mindestens 34 Personen würden noch vermisst.

In einer dramatischen Rettungsaktion war es Küstenwache und Fischern aber gelungen, 242 Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Der für die Küstenwache zuständige Minister Theodoros Dritsas zeigte sich nach dem neuen Unglück erschüttert. Die Rettungsaktionen der Küstenwache seien „zu einer Herzensangstaktion“ geworden, sagte er am späten Abend. Europa müsse diese Menschen aufnehmen und die „nationalen Egoismen“ beiseitelassen.

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Dramatischer Einsatz vor Lesbos

Der Einsatz vor Lesbos habe die ganze Nacht angedauert, berichtete das öffentlich-rechtliche Radio ERT. Viele der geretteten Kinder und Frauen mussten wegen Unterkühlung behandelt werden.

Die Küstenwache teilte am Donnerstag mit, in den vergangenen 24 Stunden seien mehr als 900 Menschen aus der Ägäis gerettet worden. In Piräus kamen in der Früh an Bord von drei Fähren knapp 5.000 Flüchtlinge von den Ägäis-Inseln an.

Bis zu 39 Tote bei Bootsunglück vor Spanien

Im westlichen Mittelmeer zwischen Marokko und Spanien kamen unterdessen bei einem Schiffsunglück im Mittelmeer bis zu 39 Flüchtlinge ums Leben, 15 weitere konnten gerettet werden. Wie die spanischen Rettungsdienste am Donnerstag mitteilten, wurde das Schiff, das bei Alhucemas in Marokko aufgebrochen war, gegen Mittag von einem Flugzeug der europäischen Grenzschutzagentur Frontex entdeckt.

13 Männer und zwei Frauen, die sich an Treibgut klammerten, wurden gerettet. Die Überlebenden des Schiffsunglücks berichteten, dass weitere 39 Flüchtlinge an Bord gewesen seien. Die Sucharbeiten wurden fortgesetzt.

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