Würdigung für „mutigen Einsatz“
Der saudi-arabische Blogger Raif Badawi ist mit dem diesjährigen Sacharow-Preis des Europaparlaments ausgezeichnet worden. Wie am Donnerstag aus Parlamentskreisen in Straßburg verlautete, würdigte das Parlament damit den mutigen Einsatz des 31-Jährigen für Meinungsfreiheit und Toleranz.
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Badawi war wegen regierungskritischer Äußerungen und Beleidigung des Islam in seinem Blog 2012 inhaftiert worden. Ihm wird vorgeworfen, wiederholt die Religionspolizei für die harte Durchsetzung der in dem wahhabitischen Königreich vorherrschenden strengen Auslegung des Islam kritisiert zu haben. Später wurde er zu zehn Jahren Haft und tausend Stockhieben verurteilt. Im Jänner erhielt er die ersten 50 Hiebe. Der weitere Vollzug wurde aus gesundheitlichen Gründen ausgesetzt. Nach massiven internationalen Protesten gab es bisher keine offiziellen saudischen Meldungen über neue Schläge.

APA/EPA/Georg Hochmuth
Badawis Frau Ensaf Haidar kämpft für die Freilassung ihres Mannes
Schulz kritisiert Saudi-Arabien schwer
Mit dem Preis werde ein „außergewöhnlich mutiger und vorbildlicher Mann“ gewürdigt, betonte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) bei der Bekanntgabe am Donnerstag. Zugleich forderte er den saudi-arabischen König Salman auf, Badawi „unverzüglich, noch heute“ freizulassen. Badawi müsse die Gelegenheit erhalten, seine in Kanada lebende Familie wiederzusehen und zu der im Dezember in Straßburg geplanten Preisverleihung zu kommen, sagte Schulz unter tobendem Applaus der Abgeordneten. Die Beziehungen der EU zu ihren Partnern hingen auch von der Einhaltung der Menschenrechte ab. In Saudi-Arabien würden diese Rechte „mit Füßen getreten“.
Gegen den Blogger sei eine der „grausamsten Strafen“ verhängt worden, die einer „permanenten Folter“ gleichkomme, sagte Schulz weiter. Für viele sei er „ein Held geworden“, weil er sich in der digitalen Welt für die Grundrechte einsetze.
Auch Nemzow auf Liste
Der nach dem verstorbenen russischen Dissidenten und Physiker Andrej Sacharow benannte Preis wird vom Europaparlament seit 1988 an Persönlichkeiten oder Organisationen verliehen, die sich für Menschenrechte und Demokratie einsetzen. Für den diesjährigen Sacharow-Preis waren außerdem der im Februar ermordete russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow sowie die demokratische Opposition in Venezuela, vertreten durch die Gruppe Mesa de la Unidad Democratica, nominiert worden.
Vertreter der Menschenrechtsgruppe und eine Tochter Nemzows werden nach Angaben einer Parlamentssprecherin ebenfalls zu der Preisverleihung eingeladen. Diese ist am 16. Dezember in Straßburg geplant. Im vergangenen Jahr hatte der Gynäkologe Denis Mukwege aus dem Kongo den Preis bekommen. Er betreut seit Jahren ärztlich Frauen, die während des Bürgerkriegs in dem afrikanischen Land Opfer von Gruppenvergewaltigungen wurden.
Ehefrau: Martyrium beenden
Badawi könnte nach Angaben seiner Frau jedoch in den kommenden Tagen erneut Stockhiebe erhalten. Wie Ensaf Haidar am Mittwoch in Kanada mitteilte, soll Saudi-Arabien laut einer „informierten Quelle“ grünes Licht für ein weiteres Schlagen ihres Mannes gegeben haben. Haidar appellierte erneut an den saudi-arabischen König Salman, das „Martyrium“ ihres Mannes zu beenden und ihn zu begnadigen.
Sie sei erstaunt über die geplante Wiederaufnahme der Auspeitschungen, da der Fall Badawi noch vor dem Obersten Gerichtshof in Saudi-Arabien sei, so Haidar weiter. Zugleich rief sie den König auf, die Ausreise ihres Mannes nach Kanada zu erlauben, damit er sie und die gemeinsamen Kinder nach vier Jahren der Trennung wiedersehen könne.
Badawi: „Säkularismus ist die Lösung“
Badawi schilderte in einem im März erschienenen Buch seinen Gefängnisalltag. Im Vorwort zu dem Buch „1.000 Peitschenhiebe“ schildert der junge Familienvater, wie er seine 20 Quadratmeter große Zelle mit 30 Verbrechern teilt. Darunter finden sich Mörder, Diebe, Drogenhändler und Kinderschänder. Früher habe er aus Angst vor Verbrechern zu Hause immer alle Türen und Fenster verriegelt, „und jetzt lebe ich mitten unter ihnen“.
Mit Erstaunen habe er bei einigen Zellengenossen ein „zartes, grandioses menschliches Feingefühl“ entdeckt. Besonders habe ihn eine Schmiererei in einer der verdreckten Toiletten der Haftanstalt berührt. Zwischen Obszönitäten entdeckte er den Satz: „Der Säkularismus ist die Lösung.“ Das Vorwort zu dem Buch „1.000 Peitschenhiebe“ hatte Badawi seiner Frau laut dem Ullstein-Verlag in mehreren Telefongesprächen aus dem Gefängnis diktiert.
Aufsehen auch in Österreich
Der Fall Badawi sorgte auch in Österreich für Aufsehen sowie Solidaritäts- und Unterstützungsbekundungen hochrangiger Politiker bis hinauf zu Bundespräsident Heinz Fischer. Die Regierung fordert die Begnadigung und Freilassung. Die Grünen halten freitags - so auch diese Woche - eine Mahnwache für Badawi und „alle Gewissensgefangenen in Saudi-Arabien“ vor dem Wiener Abdullah-Dialogzentrum (KAICIID) ab.
Das Zentrum war neben einem Interview der damaligen Vizegeneralsekretärin und ehemaligen ÖVP-Justizministerin Claudia Bandion-Ortner zur Menschenrechtslage in Saudi-Arabien und wegen seines Schweigens zu dem Fall Badawi in die Kritik geraten. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hatte heuer zeitweilig mit dem Ausscheiden Österreichs gedroht, da sich das Zentrum nicht zur Auspeitschung Badawis äußern wollte.
„Es wird nicht jeden Freitag in Riad geköpft“
Ein spanischer Diplomat wurde beim KAICIID mittlerweile der Nachfolger von Bandion-Ortner. Alvaro Albacete Perea war seit 2014 diplomatischer Berater von Generalsekretär Faisal Abdel Rahman bin Muammar gewesen.
Bandion-Ortner musste im Jänner 2015 nach einer umstrittenen Bemerkung zu Hinrichtungen in Saudi-Arabien in einem „profil“-Interview - „es wird nicht jeden Freitag in Riad geköpft“ - ihren Posten räumen. Ihr Nachfolger Albacete soll sich nun speziell um die Beziehungen mit anderen internationalen Organisationen kümmern, hieß es vonseiten des sich mit dem interreligiösen Dialog beschäftigenden Zentrums.
Seit Gründung unter Beschuss
Das KAICIID wurde 2012 von Spanien, Österreich und Saudi-Arabien gegründet und wird von Riad mit jährlich 15 Millionen Euro finanziert. Der Vatikan hat Beobachterstatus. Wegen seiner engen Verbindung zum Königreich Saudi-Arabien, wo die Ausübung jeglicher Religion mit Ausnahme des sunnitischen Islam verboten ist und regelmäßig Hinrichtungen und schwere Körperstrafen auf Basis der Scharia angewandt werden, steht das Zentrum seit seiner Gründung unter Beschuss.
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