Bekenntnis zu Zusammenarbeit
„Nachbarn sollten zusammenarbeiten und nicht gegeneinander“ - das ist wohl die wichtigste Botschaft, die EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Montagfrüh nach dem EU-Sondergipfel zu verkünden hatte. Konkret sieht die neue Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage so aus: Die am Gipfel teilnehmenden EU-Länder, darunter Österreich, sowie mehrere Balkan-Staaten haben vereinbart, in Europa 100.000 neue Quartiere zu schaffen. Auch die Kommunikation soll verbessert werden.
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Juncker hatte das Treffen auf Bitte der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufen, da es „gelte, der dramatischen Situation Herr zu werden.“ Die meisten Flüchtlinge wollen nach Deutschland und dort bleiben. „Es kann nicht sein, dass im Jahr 2015 Menschen auf Feldern schlafen müssen“, daher würden in Griechenland - teils mit Hilfe des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) - und entlang der Westbalkan-Route je 50.000 Unterkünfte für die Flüchtlinge geschaffen.
Um „die Migrationsströme in den Griff“ zu bekommen, was den zweiten Hauptpunkt des Gipfels ausgemacht habe, forderte der EU-Kommissionspräsident die Registrierung der Flüchtlinge ein. Um die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Staaten zu verbessern, sollen alle „nationale Kontaktpersonen melden“, sagte Juncker. Die Politik des Durchwinkens der Flüchtlinge auf dem Balkan und nationale Alleingänge müssten ein Ende haben, sagte Juncker.
Slowenien bekommt 400 Grenzschutzbeamte
Als dritten und letzten Punkt nannte Juncker das verstärkte Grenzmanagement. So soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien sowie Albanien schützen. Innerhalb einer Woche sollen zudem 400 Exekutivbeamte aus anderen EU-Staaten Slowenien bei der Grenzsicherung helfen. Man wolle zudem nun jede Woche überprüfen, welche Fortschritte die EU-Staaten bei der Umsetzung ihrer Zusagen gemacht haben.
An dem Treffen nahmen die vom Flüchtlingsstrom auf der Balkan-Route am meisten betroffenen EU-Staaten sowie Serbien, Mazedonien und Albanien teil. Auch UNO-Flüchtlingshochkommissar Antonio Guterres war bei den Gesprächen in Brüssel. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) betonte nach dem Treffen, die Türkei sei weiterhin ein Schlüsselstaat zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Die getroffenen Maßnahmen würden nicht helfen, „wenn wir nicht auch mit der Türkei eine Vereinbarung schaffen, die EU-Außengrenzen zu schützen“. Die Verhandlungen mit Ankara liefen derzeit „auf vollen Touren“.
Faymann: Winterquartiere dringend nötig
Wenn man Menschen kontrollieren wolle und Menschen, die kein Asylrecht haben, zurückführen wolle, brauche man 50.000 Plätze in Griechenland. Zusätzlich müssten auf dem Weg nach Österreich, Deutschland und Schweden die Aufnahmekapazitäten im Winter erhöht werden. „Die 50.000 zu schaffen an Kapazitäten für den Winter zwischen Griechenland und Österreich ist natürlich zu wenig, wenn man die Zahlen der letzten Wochen sieht. Aber es ist mehr als doppelt so viel, wie heute vorhanden sind“, sagte der Bundeskanzler. Migranten, die kein Asylrecht hätten, müssten auch bereits 2.200 Kilometer früher, an der griechisch-türkischen Grenze erfasst werden.
Faymann sagte, er könne nicht garantieren, dass in der EU keine neuen Zäune gegen Flüchtlinge errichtet würden. Niemand könne aber garantieren, dass diese dann nicht trotzdem überwunden würden, wie zwischen den USA und Mexiko. Zur Stärkung von Frontex gebe es konkrete finanzielle und personelle Beschlüsse.
Schritte für Merkel noch nicht ausreichend
Merkel sagte laut Nachrichtenagentur AFP, die vereinbarten Maßnahmen würden die Gesamtprobleme „noch nicht“ lösen, sie seien aber „ein Beitrag für einen vernünftigen Umgang“ mit der Krise. Weitere Schritte müssten folgen. Es sei wichtig, zu einem geordneten und gesteuerten Management zu kommen. Gesprochen worden sei auch über die Notwendigkeit, mit Ländern wie Bangladesch, Pakistan und Afghanistan eine Rückführung von nicht asylberechtigten Flüchtlingen zu erreichen. Auf dem Sondertreffen sei vor allem ein Beitrag dazu gelungen, die Lage der Flüchtlinge auf der Route zu verbessern, sagte die Kanzlerin.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn appellierte an die Europäer, sich ihrer Werte zu besinnen und das Flüchtlingsproblem gemeinsam zu lösen. „Wir haben das zu schaffen. Wir müssen das schaffen“, sagte er am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Zugleich warnte er: „Wenn politisch der Wille nur besteht, Zäune zu bauen oder Mauern zu bauen, dann ist Europa, das Europa, das wir kennen, auf einer Schleife, wo es dann in kurzer Zeit in sich zusammenbricht. Das müssen wir verhindern.“
Serbien bereit, 3.000 Flüchtlinge aufzunehmen
Aus Serbien hieß es am Montag, man werde alles tun, um eine humane Behandlung von Flüchtlingen sicherzustellen, sei aber nicht bereit, zu einer Pufferzone zu werden. Das erklärte der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic laut Belgrader Medienberichten. „Sollte Kroatien bereit sein, 2.000 Menschen aufzunehmen, so sind wir bereit, 3.000 Flüchtlinge aufzunehmen“, erklärte Vucic demnach. Die zentrale Frage sei allerdings, was mit all jenen Flüchtlingen geschehen solle, die nicht in diesen Staaten bleiben wollten. „Das ist die Schlüsselfrage für unsere Länder“, so der serbische Premier. Der mazedonische Präsident Gjorge Ivanov erklärte unterdessen nach Medienberichten vom Montag in Skopje, dass sein Land 2.000 Flüchtlinge aufnehmen könnte.
Ungebrochener Zustrom in Slowenien
Unterdessen reißt der Flüchtlingszustrom nach Slowenien nicht ab. Nachdem am Sonntag mehr als 9.800 Flüchtlinge in das Land gekommen waren, haben sich die Ankünfte aus Kroatien in der Nacht auf Montag fortgesetzt. Von Mitternacht weg bis in den frühen Vormittag haben mehr als 4.000 Menschen den kleinen Grenzort Rigonce im Südosten des Landes, der Haupteintrittspunkt nach Slowenien ist, erreicht. Die Aufnahmezentren in der Grenzgemeinde Brezice, von wo die Flüchtlinge in die Unterkünfte ins Innere des Landes gebracht werden, waren in der Früh bereits überfüllt gewesen.
„Sie behandeln uns wie Hunde“
„Die humanitäre Situation ist sehr schwierig. Aber wir tun alles, was wir können“, sagte Simona Potocar, Sprecherin des kirchlichen Hilfswerks Adra Slovenija. Mehrere Flüchtlinge klagten über das Verhalten der Einsatzkräfte von Polizei und Armee. „Sie behandeln uns wie Hunde, haben uns auch getreten“, sagte ein 17-jähriger Marokkaner der dpa. Soldaten verwehrten Journalisten den Zugang zu einem weiteren Flüchtlingslager. Dort habe es in der Früh Proteste von Flüchtlingen gegeben, sagte ein Soldat zur Begründung.
Route Albanien-Italien rückt in Fokus
Unterdessen gehen Experten in Brüssel und Rom davon aus, dass via Albanien viele Flüchtlinge nach Italien einreisen könnten. Sollten die Grenzen am Balkan geschlossen werden, so könnten sich die Flüchtlingsrouten vom südlichen Mittelmeer auf Albanien verlagern, sagen Experten der Internationalen Organisation für Migration (IOM).
Zwei Jahrzehnte, nachdem Tausende Albaner an Bord von Flüchtlingsschiffen die 80 Kilometer lange Strecke über die Adria überquert haben, könnte Albanien für Italien zu einer neuen Front in der Auswanderungskrise werden. „Da die ungarische Grenze geschlossen ist und wegen der zunehmenden Schwierigkeiten auch in Kroatien und Serbien rechnen wir damit, dass die Flüchtlinge neue Wege suchen werden, um nach Nordeuropa zu gelangen. Möglich ist, dass die Seestrecke zwischen Albanien und Italien zur neuen Migrantenroute im Winter avancieren könnte“, betonte IOM-Sprecher Leonard Doyle.
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