„Genau analysieren“
Die rechtskonservative oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski könnte nach der polnischen Parlamentswahl eine Kehrtwende in Warschaus Flüchtlingspolitik vollziehen.
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Wenn seine Partei die nächste Regierung anführe, „sollten wir die Frage genau analysieren“, so der Vizepräsident des EU-Parlaments, Ryszard Czarnecki, im Interview mit ORF.at. Die derzeitige Regierung habe der Quote zwar zugestimmt, doch das müsse nicht so bleiben.
Konkret geht es um die Zustimmung Polens zu einer verpflichtenden Quote zur Aufteilung von 160.000 Flüchtlingen. Die von der rechtsliberalen Bürgerplattform geführte Regierung hatte sich bei der umstrittenen Abstimmung im Innenministerrat im September dafür ausgesprochen. Zahlreiche andere osteuropäische EU-Staaten hatten dagegengestimmt.
Indiz für Ernsthaftigkeit
Im Wahlkampf hatten PiS-Funktionäre zuletzt angekündigt, im Fall eines Wahlsieges den Beschluss rückgängig machen zu wollen. Dass auch der polnische Vizepräsident des EU-Parlaments diese Position vertritt, ist ein Indiz dafür, dass es sich dabei nicht bloß um eine Wahlkampfankündigung handelt. Eine Annullierung des Beschlusses ist höchst unwahrscheinlich. Würde PiS aber ernsthafte Anstrengungen für eine Aufhebung des Beschlusses unternehmen, würde das für heftige Irritationen unter den 28 Mitgliedsländern sorgen.
„Gemeinsame Position mit Nachbarn“
Czarnecki betonte, Polen müsse künftig versuchen, „mit unseren Nachbarländern eine gemeinsame Position in dieser Frage“ zu schaffen. Er verwies darauf, dass Tschechien und die Slowakei beim Innenministerrat im September gegen die verpflichtende Quote stimmten und sich der nördliche Nachbar Finnland der Stimme enthielt.
Ein klarer Sieg der rechtskonservativen PiS bei der Parlamentswahl am 25. Oktober gilt als sicher. Die derzeit regierende rechtsliberale Bürgerplattform dürfte Umfragen zufolge deutlich abgeschlagen auf Platz zwei landen. Unklar ist aber, welche Koalitionen die künftige Zusammensetzung des polnischen Parlaments ermöglicht.
„Sind offen für Migranten“
Czarnecki wies zudem den Vorwurf, Polen lasse es in der Frage der Flüchtlingsverteilung an Solidarität mangeln, zurück. Polen habe seit dem letzten Jahr 1,3 Millionen Visa für Ukrainer ausgestellt, betonte der stellvertretende EU-Vizeparlamentspräsident. „Sie sehen also: Wir sind offen für Migranten.“ Nicht zuletzt aus der PiS wurden in den vergangenen Wochen immer wieder Stimmen laut, die sich klar gegen die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen aussprachen, weil das nicht zur polnischen Kultur passe.
Außerdem forderte der PiS-Mandatar, dass in der Flüchtlingsfrage die wirtschaftliche Potenz der einzelnen Mitgliedsländer berücksichtigt werde. Polen gehöre zu den sechs ärmsten EU-Ländern - unter anderem neben Ungarn, wie Czarnecki betont.
Zentrales Wahlkampfthema
Die Flüchtlingskrise ist eines der beherrschenden Themen im polnischen Wahlkampf. Bei einer Wahlkampfveranstaltung letzte Woche hatte Kaczynski mit Aussagen über Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan für Aufsehen gesorgt: Er behauptete, diese würden die öffentliche Gesundheit gefährden, da sie gefährliche Krankheiten nach Europa brächten.
Als Beispiel nannte er Fälle von Cholera auf den griechischen Inseln und Shigellen-Ruhr in Österreich. Tatsächlich wurden in Wien drei Fälle der bakteriellen Darminfektion bei Flüchtlingsfamilien bekannt. Die Zahl sei aber bei über 100.000 durch die Stadt gereisten Flüchtlingen extrem gering, erklärte die Sektionsleiterin für öffentliche Gesundheit.
Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus Brüssel
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