Volkspartei verliert zweistellig
Alle vier Landtagsparteien haben bei der Landtagswahl in Oberösterreich Grenzen überschritten: Die oberösterreichische ÖVP rutschte erstmals auf unter 40 Prozent ab, behielt aber Platz eins. Die FPÖ übersprang die 30-Prozent-Marke und überholte die SPÖ, die erstmals unter 20 Prozent fiel. Die Grünen kamen erstmals auf ein zweistelliges Ergebnis. NEOS scheiterte an der Vierprozenthürde.
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Die ÖVP von Landeshauptmann Josef Pühringer stürzte laut vorläufigem Endergebnis von 46,76 auf 36,37 Prozent ab. Die FPÖ von Manfred Haimbuchner kam auf 30,36 Prozent der Stimmen - rund doppelt so viele wie 2009 (15,29 Prozent). Die SPÖ unter Reinhold Entholzer sackte von 24,94 auf 18,37 Prozent ab und verlor Platz zwei. Die Grünen mit Spitzenkandidat Rudi Anschober legten leicht von 9,18 auf über 10,32 Prozent zu, NEOS mit Spitzenkandidatin Judith Raab verpasste mit 3,47 Prozent den Einzug in den Landtag. Die KPÖ kam auf 0,75 Prozent, die CPÖ auf 0,36 Prozent.
Keine schwarz-grüne Mehrheit mehr
In Mandaten kam die ÖVP auf 21 der 56 Mandate (minus sieben), die Grünen erreichten sechs Mandate (plus eins). Gemeinsam mit 27 Mandaten haben sie keine Mehrheit mehr im Landtag. Die oberösterreichische Landesregierung wird zwar nach dem Proporz gebildet, es sitzen dort damit auch Vertreter von SPÖ und FPÖ, ÖVP und Grüne haben dennoch ein Regierungsübereinkommen geschlossen, sich als Koalition gesehen und das Land zwölf Jahre lang regiert.

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Die FPÖ hält bei 18 Sitzen (plus neun), die SPÖ bei elf (minus drei). Rechnerisch mögliche Zweierkoalitionen sind Schwarz-Blau, Schwarz-Rot und Blau-Rot. Die Spitzenkandidaten ließen sich in ihren ersten Statements auf Koalitionsspekulationen nicht ein. Lediglich Anschober sprach sich für eine „Allianz der Menschlichkeit“ von ÖVP, SPÖ und Grünen gegen die FPÖ aus. Haimbuchner schloss eine blau-rote Koalition aus. Er habe immer gesagt, dass die stärkste Partei den Landeshauptmann stellen soll.
Pühringer schließt „nichts aus“
Pühringer hielt sich am Wahlabend noch bedeckt. Als Erster im Land werde er jetzt den Wählerauftrag wahrnehmen und in den kommenden Tagen mit allen Parteien erste Sondierungsgespräche über eine mögliche Zusammenarbeit in der bevorstehenden Legislaturperiode führen. „Ich schließe derzeit nichts aus und nichts ein“, sagte er. In konkrete Koalitionsverhandlungen werde er aber erst nach den Bürgermeisterstichwahlen am 11. Oktober treten.
Interview mit Josef Pühringer
Die Flüchtlingskrise werde von den Menschen als Unsicherheit empfunden. Wenn das politisch missbraucht werde, sei man mit einem Weg der Mitte relativ chancenlos, kommentierte Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP).
Gleichzeitig zeigte sich Pühringer aber auch erfreut, den ersten Platz gehalten zu haben. Ob er noch die volle Funktionsperiode im Amt bleiben werde, beantwortete er vorerst nicht. Entholzer bot sich der ÖVP als Partner an, betonte aber, dass „die ÖVP das Sagen hat“. Für den Politologen Peter Filzmaier ging die Landtagswahl in die Richtung eines Erdbebens. Die Regierungsbildung könnte durch das Proporzsystem in Oberösterreich schwierig werden, so der Experte - mehr dazu in ooe.ORF.at.
Parteien sehen in Flüchtlingsthema Ursache
Von personellen und persönlichen Konsequenzen war am Wahlabend noch keine Rede. Entholzer sagte, dass er weder ein „Sesselkleber“ sei noch „davonlaufen“ werde. Der Wahlausgang habe jedenfalls keine personellen Ursachen gehabt, sondern sei vom Asylthema dominiert gewesen. Darüber waren auch ÖVP und Grüne einig - mehr dazu in ooe.ORF.at.

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V. l.: Josef Pühringer (ÖVP), Reinhold Entholzer (SPÖ), Manfred Haimbuchner (FPÖ), Rudi Anschober (Grüne) und Judith Raab (NEOS)
„Wir haben einen Preis bezahlt, den wir nicht verschuldet haben“, sagte Pühringer. Die Landtagswahl sei eine „Abstimmung über die Flüchtlingsfrage“ gewesen. „Es ist nie angenehm zu verlieren, aber es ist absehbar gewesen. Mit dem muss man leben“, sagte ÖVP-Bundesparteiobmann Reinhold Mitterlehner. Das Asylthema habe alles überlagert, die Vergleichbarkeit mit 2009 sei nicht möglich.
Faymann: „Hetzer profitieren“
SPÖ-Chef Bundeskanzler Werner Faymann zeigte sich über das Abschneiden der SPÖ „enttäuscht“. Das Flüchtlingsthema mit vielen Ängsten der Menschen habe die anderen Themen verdrängt - davon hätten jene profitiert, „die die Leute aufhetzen“. Man werde „die Linie aber auch in schweren Zeiten halten“ und damit „die Leute zurückholen“. Bei der Wien-Wahl in zwei Wochen komme es auf jede Stimme für Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) an.
Reaktion von Werner Faymann
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) war in einer ersten Reaktion enttäuscht. Das Flüchtlingsthema mit vielen Ängsten der Menschen habe die anderen Themen verdrängt.
Anschober sprach gar von einem Wahlsieg der Grünen mit einem menschlichen Kurs. „Die FPÖ ist einen Kurs der Hetze gefahren“, so Anschober, das dürfe nicht mit einer Koalition belohnt werden. Die grüne Bundessprecherin Eva Glawischnig plädierte trotz der großen Zugewinne der FPÖ für eine Regierungskoalition ohne FPÖ-Beteiligung. Die Grünen stünden für eine „Zusammenarbeit jenseits von Blau“ weiter zur Verfügung.
Analyse von Peter Filzmaier
99 Prozent der ÖVP-Wähler nannten laut Politologe Peter Filzmaier Josef Pühringer als Wahlmotiv. Das sei ein absoluter Spitzenwert, aber die Flüchtlingsthematik sei im Mittelpunkt gestanden.
Über das zentrale Wahlmotiv „Flüchtlinge“ waren sich am Sonntag nicht nur die Politiker, sondern auch die Meinungsforscher einig. Drei Viertel hätten die Flüchtlingspolitik sorgenvoll oder verärgert gesehen, sagte etwa der Wahlforscher Peter Filzmaier im ZIB2-Spezial-Interview.
Strache freut sich schon auf Wien
„Das Ergebnis nehme ich mit großer Demut an“, sagte Haimbuchner. Das Ergebnis zeige, dass es zu wenig ist, „dass alle Parteien auf die FPÖ hinhacken“. Er wolle nun auf Augenhöhe verhandeln, sagte er. „Ich werde mit allen reden.“ FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache sagte: „Wir waren von Anbeginn an immer optimistisch, aber dieser überwältigende Vertrauensbeweis der Wählerinnen und Wähler übertrifft sogar unsere eigenen Erwartungen.“

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Im Gegensatz zu ÖVP-Landeshauptmann Pühringer (l.) hatte FPÖ-Chef Haimbuchner Grund zu großer Freude
Auch die Politik der „Ausgrenzung“ habe damit eine klare Absage erhalten. Strache freute sich laut eigenen Worten schon auf die Wahl in Wien am 11. Oktober: „In Wien ist alles möglich.“ Die FPÖ könne stärkste Kraft werden.
Reaktion von Heinz-Christian Strache
Es sei ein überwältigender Zuspruch, der über allen optimistischen Erwartungen als Ergebnis vorliege. Es liege jetzt an Pühringer, das Wahlergebnis richtig zu interpretieren, so FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.
Ergebnis für Strolz „bitter“
„Natürlich ist es bitter, den Einzug so knapp zu verfehlen“, sagte NEOS-Parteichef Matthias Strolz. NEOS wachse zwar schnell, werde aber noch schneller wachsen müssen, so der Bundesobmann. Angesichts des Wahlerfolgs der FPÖ sagte Strolz, er halte das „Phänomen Rechtspopulismus“ für nicht stabil. Was die anstehende Wien-Wahl betrifft, sagte Strolz: „Es wird keinen Bürgermeister Strache geben, das gewährleistet NEOS.“
Die Ergebnisse sorgten für gemischte Reaktionen in den Bundesländern. Die Wiener SPÖ hofft auf eine „positive Überraschung“ bei der Wahl in Wien in zwei Wochen, für die ÖVP Steiermark hat Pühringer die „Rechnung für andere bezahlt“ - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Daten zur Wahl
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Stichwahlen in Linz und Wels
In zwei Wochen folgt noch eine zweite, kleine Wahlrunde: Jene Bürgermeisterkandidaten, die nicht auf Anhieb die absolute Mehrheit errangen, müssen am 11. Oktober in die Stichwahl - so auch die zwei größten Städte Linz und Wels. Denn zusätzlich zum Landtag wählten die Oberösterreicher am Sonntag auch Gemeinderat und Bürgermeister. In Linz konnte die SPÖ trotz Verlusten ihren ersten Platz halten, in Wels löste die FPÖ die SPÖ auf Platz eins ab - mehr dazu in ooe.ORF.at.
Wahlbeteiligung über 80 Prozent
Oberösterreich war bei den letzten Urnengängen das einzige Bundesland Österreichs, das noch eine Wahlbeteiligung von (knapp) mehr als 80 Prozent auswies. Auch heuer gaben 81,63 Prozent der rund 1,1 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab, 2009 waren es 80,35 Prozent.
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