Demonstrative Distanz zu Nachbarland
Der wegen seines harten Kurses in der Flüchtlingspolitik heftig kritisierte ungarische Ministerpräsident Viktor Orban reist am Freitag zu Gesprächen nach Österreich. Die Atmosphäre ist gereizt: Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) überließen entgegen dem üblichen Prozedere sogar die Ankündigung der Gespräche allein Orban.
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Ungarn ist eines der Transitländer für Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Westeuropa. Der rechtskonservative Orban fährt eine harte Linie in der Flüchtlings- und Asylpolitik. Er versucht sein Land mit einem Grenzzaun und strengen Gesetzen gegen Flüchtlinge abzuschotten. Ohne Vorankündigung begannen ungarische Sicherheitskräfte am Donnerstag, auch an der Grenze zu Slowenien einen Zaun zu errichten. Die Grenze zu Serbien ist bereits abgeriegelt, auch an den Grenzen zu Kroatien und Rumänien will Ungarn Zäune bauen.
Auch Außenminister reist an
Die Beziehungen zwischen Wien und Budapest sind wegen der Asylkrise gespannt. Faymann hatte scharfe Kritik am Umgang der ungarischen Behörden mit den Flüchtlingen geübt, der „an die dunkelste Zeit unseres Kontinents“ erinnere. Die ungarische Regierung reagierte empört, auch beim EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise gab es in der Nacht auf Donnerstag laut EU-Ratspräsident Donald Tusk „grundlegende und energetische“ Wortgefechte zwischen Faymann und Orban.
Orban reist laut Angaben der ungarischen Regierung in Begleitung seines Außenministers Peter Szijjarto und seines Kanzleiministers Janos Lazar nach Österreich. Das Bundeskanzleramt bekräftigte am Donnerstagabend, dass kein gemeinsamer Pressetermin Faymanns mit Orban geplant sei. Der ungarische Premier plant offenbar, am Freitag ohne österreichische Gesprächspartner in der ungarischen Botschaft in Wien vor die Presse treten.
Treffen mit Strache angekündigt, dann dementiert
Verwirrung herrschte im Hinblick auf ein angekündigtes Treffen Orbans mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Am Donnerstagnachmittag kündigte die ungarische Regierung dieses selbst an, später bestätigte das auch ein Sprecher Straches. Am Abend sandte die ungarische Regierung jedoch die Stellungnahme aus: „Wir dementieren hiermit, dass er (Orban, Anm.) mit dem Parteivorsitzenden der FPÖ, Heinz-Christian Strache, ein Gespräch führen werde.“
Marschbefehl für Armee mit „Fangnetzen“
Der abermals unangekündigte Alleingang des Hochziehens von Grenzzäunen zu Slowenien am Donnerstag dürfte die Gespräche in Wien noch einmal belastet haben. Für die Grenzzaunpolitik machte die ungarische Regierung per Verordnung Donnerstagabend zudem weitere 35 Milliarden Forint (etwa 110 Mio. Euro) locker. Bereits im Laufe des Sommers hatte der Staat für diese Zwecke rund 30 Milliarden Forint bereitgestellt. Demnächst sollen auch Tausende Soldaten zur Verstärkung des Grenzschutzes abkommandiert werden.
Die Armee werde mindestens 4.300 Soldaten zur Verstärkung des Grenzschutzes einsetzen, sagte Generalstabschef Tibor Benkö am Abend im ungarischen Fernsehen. Einem neuen Gesetz zufolge darf die Armee im Krisenfall beim Grenzschutz Polizeiaufgaben übernehmen, darunter Menschen und Autos kontrollieren sowie Tränengas, Gummigeschoße und Fangnetze einsetzen. Der Krisenfall ist derzeit in sechs Bezirken an den südlichen und südwestlichen Grenzen in Kraft.
Zaun um Zaun
Lazar bezeichnete den Zaun an der Grenze zu Slowenien als „unvermeidlich“. Bei Tornyiszentmiklos an der slowenischen Grenze begannen Polizisten und Soldaten zunächst, eine provisorische Sperre zu errichten, die aus drei übereinandergezogenen Rollen von messerscharfem NATO-Draht besteht. Wie lang dieser Zaun werden soll, ist unklar. Die gesamte ungarisch-slowenische Grenze ist 102 Kilometer lang.
Nachdem Ungarn die 175 Kilometer lange serbische Grenze durch einen Zaun abgeriegelt hat, kommen viele Flüchtlinge über den Umweg Kroatien nach Ungarn. Ungarns Regierung befürchtet offensichtlich, dass auch Slowenien und Rumänien als Umweg für die Flüchtlinge infrage kommen könnten. Die Massenfluchtbewegung über Ungarn in andere EU-Länder hält unterdessen an: Am Donnerstag trafen im Burgenland um die 7.500 Flüchtlinge ein.
4.500 Flüchtlinge zwischen Mitternacht und Morgen
Für Freitag rechnet die burgenländische Polizei erneut mit Tausenden Flüchtlingen. Seit Mitternacht kamen am ungarisch-österreichischen Grenzübergang Nickelsdorf rund 4.500 Menschen an, die laufend weitertransportiert werden. In der Früh befanden sich nach Schätzungen der Polizei 3.700 in Nickelsdorf. Rund 350 bis 400 Flüchtlinge befanden sich in der Nova-Rock-Halle. In Heiligenkreuz war die Lage unterdessen ruhig, an die 40 Personen trafen im südburgenländischen Grenzort ein.
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