1. Oktober als Stichtag
Die Quartiersuche für Asylwerber soll einfacher werden. Das ist das Ziel des Verfassungsgesetzes, das dem Bund ein Durchgriffsrecht bei der Schaffung von Unterkünften für Flüchtlinge gibt. Das Gesetz wurde mit den Stimmen der Koalition sowie von Grünen und NEOS am Mittwoch beschlossen.
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Schon am Freitag soll der Bundesrat nachziehen, womit die Bestimmung mit 1. Oktober in Kraft treten kann. Laut dem Durchgriffsrecht kann der Bund künftig auf eigenen bzw. ihm zur Verfügung stehenden Grundstücken Quartiere für hilfs- und schutzbedürftige Fremde bereitstellen, ohne dass dafür eine gesonderte Widmung vorliegen muss. Voraussetzung dafür ist, dass das betroffene Bundesland seine Flüchtlingsquote nicht erfüllt und in einem Bezirk weniger Asylwerber untergebracht sind, als es dem im Gesetz verankerten Richtwert von 1,5 Prozent der Wohnbevölkerung entspricht.
Zahl der Flüchtlinge begrenzt
Infrage kommt sowohl die Adaptierung bestehender Gebäude als auch die Errichtung von Wohncontainern, wobei die Zahl der Flüchtlinge, die auf einem Gelände untergebracht werden dürfen, mit 450 begrenzt ist. Zu bevorzugen sind Grundstücke in Gemeinden, die keine oder nur wenige Flüchtlinge beherbergen, bzw. Grundstücke in größere Gemeinden ab 2.000 Einwohnern.
Die Ersatzquartiere müssen bestimmten Kriterien Genüge tun, etwa was Hygiene, Brandschutz und Umweltverträglichkeit betrifft. Den Bau- und Raumordnungsvorschriften der Länder muss grundsätzlich aber nicht Rechnung getragen werden. Die Entscheidung über die Nutzung eines Grundstücks trifft das Innenministerium, die Bezirksverwaltungsbehörde kann lediglich Auflagen erteilen, um die Einhaltung der geforderten Standards sicherzustellen. Während der Debatte wurden noch einzelne kleinere Änderungen eingebracht, um den Unmut vor allem des Gemeindebunds zu dämpfen. So wurde etwa vereinbart, Bürgermeister mindestens eine Woche vor der Unterbringung von Asylsuchenden zu informieren.
Verschärftes Vorgehen gegen Schlepper
Ebenfalls angenommen wurde ein Initiativantrag, der die Bekämpfung des Schlepperwesens effektiver machen soll. Hier geht es darum, Schlepper leichter in U-Haft nehmen zu können. Um das dafür notwendige Strafausmaß zu erreichen, reicht es künftig, wenn gewerbsmäßig drei Personen geschleppt werden. Bisher war der Wert bei zehn gelegen.
Strache verweist auf Orban
Wie bereits im Vorfeld zeigte sich auch in der Debatte zum Durchgriffsrecht, dass nur FPÖ und Team Stronach (TS) das Gesetz ablehnen. Grüne und NEOS schlossen sich der Koalition an, die argumentierte, dass nur so eine menschenwürdige und auf fairen Kriterien beruhende Unterbringung möglich sei.
Ganz anders sah das die FPÖ. Deren Klubchef Heinz-Christian Strache ärgerte sich darüber, dass die Regierung die Last „ihres Scheiterns, Unvermögens, Amtsmissbrauchs, ihrer Gesetzesbrüche“ nun auf Länder, Gemeinden und Bürger ablade. Die Regierung kontrolliere nicht, sie differenziere nicht und lasse alle Flüchtlinge ins Land. Dabei gebe es „kein Menschenrecht auf Wohlstandsflüchtlinge“.
„Ich sage Respekt für (Ungarns Premier Viktor, Anm.) Orban, der die eigene Bevölkerung vor illegaler Masseneinwanderung schützt“, so Strache. Ungarn halte als einziges Land die EU-Regeln ein, und das werde ihm mit „unglaublichen Beschimpfungen“ gedankt. Er schäme sich für Kanzler Werner Faymann (SPÖ), den das Vorgehen der ungarischen Behörden an den Holocaust erinnert hatte.
TS: „Dann brauchen wir nix zu verteilen“
Ziemlich ähnlich sah die Kritik von TS-Klubobmann Robert Lugar aus. Die Regierung habe sämtliche Gesetze außer Kraft gesetzt und wider jede Vernunft jeden ins Land gelassen und damit auch gegen EU-Regeln verstoßen. Klüger wäre es, Schutzzonen an Ort und Stelle zu schaffen. „Dann brauchen wir nix zu verteilen.“ Was jetzt geschehe, sei, Flüchtlinge aufs ganze Land zu verteilen, ohne zu wissen, ob sie überhaupt bleiben könnten.
Glawischnig: „Zelte sind nicht beheizbar“
Mit ihrer Kritik blieben die beiden Parteien alleine. Sowohl die Grünen, die die Verfassungsmehrheit sichern, als auch NEOS hielten der Koalition die Stange. Grünen-Klubobfrau Eva Glawischnig stellte klar, dass dieses Gesetz eines zum Ziel habe, nämlich Unterkünfte für Schutzsuchende zu schaffen. Warum das nötig sei? „Weil es einfach kalt wird und Zelte nicht beheizbar sind.“ Direkt ins Visier nahm sie die FPÖ wegen deren Unterstützung für Ungarns Asylpolitik. Seien die Freiheitlichen tatsächlich dafür, auf Kinder, Frauen, Schwangere (mit Gummipatronen) zu schießen, wie das Orban genehmigt habe?
NEOS hinterfragt FPÖ
NEOS-Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak wunderte sich, warum die FPÖ immer nur dann vermeintliche Verfassungsprobleme namhaft mache, wenn es gegen Flüchtlinge gehe. Angesichts der Zustände in der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen sei ihr diese Idee nicht gekommen. Dass es das Durchgriffsrecht braucht, steht für Scherak fest, da es ohne verbindliche Vorgaben die gleichen Unterbringungsprobleme gäbe wie bis jetzt.
Koalition: Sondersituation
Auch für SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder handelt es sich um eine notwendige Maßnahme. Wie es nun auch auf EU-Ebene zwischen den Staaten versucht werde, gehe es hierbei innerhalb des Landes um eine faire Aufteilung. Zudem wirke das Gesetz nur als Ultima Ratio, wenn sich Länder bzw. Gemeinden nicht an Vorgaben halten: „Wenn die Bundesländer die Quote halten, ist man im Leo.“
ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl verwies darauf, dass man mit einer Sondersituation konfrontiert sei, wie man sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gekannt habe. Dafür habe man eine Lösung gefunden, die sicherstelle, dass jeder in Grundversorgung eine Unterkunft bekomme. Das sei keine Entscheidung für die Zukunft. Denn wer am Ende des Verfahrens kein Asyl erhalte, werde das Land zu verlassen haben.
Gemeindebund strikt dagegen
Das Druchgriffsrecht war im Vorfeld heftig umstritten. Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer (ÖVP) warnte noch am Dienstag in einem Appell an alle Abgeordneten „eindringlich“ davor, den Gesetzesvorschlag in der vorliegenden Form zu beschließen. „Das wäre eine Zwangsmaßnahme im Verfassungsrang, die der Sache nicht dient und die viele Probleme aufwirft“, so der Gemeindebund-Chef in einer Aussendung. Dabei stört Mödlhammer nicht, dass der Bund eigene oder angemietete Liegenschaften nutzen wird können, sondern ein anderer Passus.
Im Gesetz sei nämlich vorgesehen, dass jede Gemeinde 1,5 Prozent der Bevölkerungszahl an Quartieren zwingend zur Verfügung zu stellen habe. Das würde bedeuten, dass Kommunen, die über keine eigenen Gebäude verfügen oder keine privaten Unterkünfte mobilisieren können, auf eigene Kosten Quartiere errichten müssten. Darüber hinaus werfe eine solche Vorgangsweise jede Menge neue Fragen auf. „Wer bezahlt das? Was passiert, wenn die Errichtung neuer Quartiere in einer Gemeinde schlichtweg nicht möglich ist? Was soll mit derartigen Gebäuden oder Containerdörfern in einigen Jahren passieren?“ Er würde sich wünschen, dass man solche Fragen zuerst beantworte, bevor man die Verfassung ändere.
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