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Powerplay der Industrie

Dass Beziehungen und Netzwerke entscheidend für Erfolg sind, trifft auf kaum einen Ort der Welt mehr zu als auf das EU-Viertel in Brüssel. In dem mit Politikern, Diplomaten, Beamten und Journalisten ohnehin gespickten Ort drängen sich daher so viele Lobbyisten wie kaum sonst wo.

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Rund um den Schuman-Platz, wo sich EU-Kommission und -Rat befinden, im Zentrum des EU-Viertels gibt es unzählige Büros von Lobbyisten, manche großzügig, manche eher versteckt und klein - wobei Größe und Eleganz einer Repräsentanz in Brüssel nicht unbedingt etwas über den Einfluss der Lobbyorganisation aussagen.

Lobbying-Hotspots in Brüssel

Grafik: Omniscale/OSM/ORF.at

Und in den letzten Jahren hat sich, mit dem Zuwachs an Kompetenz durch den Lissabon-Vertrag, vor allem rund um das EU-Parlament - in der Rue Montoyer, an der Place Luxembourg und entlang des hinter dem Parlament gelegenen Parc Leopold - ein zweiter Lobby-Hotspot entwickelt.

„Tief verwurzelte Kultur“

Die NGO Corporate Europe Observatory (mit der sinnigen Abkürzung CEO) schätzt die Zahl der Lobbyisten auf 15.000 bis 20.000. Doch nur einige tausend davon haben sich ins - freiwillige - Transparenzregister eingetragen. CEO und alle NGOs, die sich für mehr Transparenz einsetzen, betonen, dass sie nicht gegen Interessenvertretung und Lobbying sind - sie kämpfen vielmehr gegen das starke Ungleichgewicht zugunsten von Industrie und Wirtschaft.

Diese hätten ein viel besseren Zugang zu den Behörden und seien in den zahlreichen Beratungsgremien mit einem Anteil von bis zu 80 Prozent vertreten. Besonders stark fällt das in den Abteilungen Binnenmarkt, Handel und Klima ins Gewicht. Auch die Beamten in diesen Behörden selbst kämen den Lobbyisten hier besonders entgegen, weil sie es als ihre Aufgabe sähen, die Wirtschaft zu stützen. Olivier Hoedeman von CEO spricht hier wörtlich von einer „tief verwurzelten Kultur“ in der EU-Kommission.

Türschilder auf einem Bürogebäude in Brüssel

ORF.at/Guido Tiefenthaler

In der Rue Montoyer Nr. 51 - in unmittelbarer Nähe des EU-Parlaments - residieren der Tabakkonzern Philip Morris, Microsoft und das global agierende PR-Unternehmen Hill+Knowlton Strategies

Österreicher als Cheflobbyist

In den Bürogebäuden finden sich neben den Interessenvertretungen von Gewerkschaften, NGOs und Regionen vor allem zahllose Wirtschaftsverbände und die Lobbybüros von Konzernen: Es ist ein Who’s who der Wirtschaftswelt, das sich hier auf wenigen Straßenzügen zusammendrängt: vom Tabakriesen Philip Morris bis zum Pro-Atom-Verband Foratom, von der US-Investmentbank Goldman Sachs bis hin zum mächtigen, einflussreichen Wirtschaftsdachverband BusinessEurope - in dem mit Markus Beyrer, vormals Generalsekretär der Industriellenvereinigung, ein Österreicher als Generaldirektor führend tätig ist.

Silicon Valley reloaded

Besonders starken Zulauf erlebt Brüssel in den letzten Jahren von IT-Unternehmen: Microsoft ist schon lange präsent, doch längst haben sich auch Google, Facebook, Uber und Co. in Brüssel niedergelassen, versuchen, mit hippen Veranstaltungen wie Hackathons ihr Image in der Öffentlichkeit zu verbessern - aber vor allem kämpfen sie darum, dass ihre Vorrangstellung auf dem Markt nicht von der Kommission eingeschränkt wird. Gegen Google etwa läuft ja ein Prüfverfahren. Außerdem versuchen die IT-Lobbyisten, das seit Jahren andauernde Tauziehen etwa um die Vorratsdatenspeicherung und die Digitalstrategie der EU möglichst zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Glasscheibe mit Immobilienanzeige

ORF.at/Guido Tiefenthaler

Die Gebäude an der Place Meeus in der Nähe des EU-Parlaments werden gerade für Lobbyunternehmen auf Hochglanz gebracht

Und zu all dem kommen dann noch zahllose Anwaltskanzleien, die ihrerseits Lobbyarbeit für viele Unternehmen und Konzerne machen. Sie nehmen sich dabei noch mehr Freiheiten heraus als Konzerne selbst, versuchen also, die EU-Gesetzgebung noch mehr hinter verschlossenen Türen und abseits öffentlicher Überprüfbarkeit zu beeinflussen als „normale“ Lobbyisten. Daneben gibt es auch noch Thinktanks, die oftmals ebenfalls eine klare Stoßrichtung haben und keineswegs unabhängige Expertise liefern.

Im Schatten der Beratungsgruppen

Mit den Tausenden Lobbygruppen der Wirtschaftsseite können NGOs und Arbeitnehmervertreter schlichtweg nicht mithalten. Neben informellen Kontakten - nicht umsonst gibt es in Brüssel täglich Dutzende Empfänge und Abendveranstaltungen - spielt sich Lobbying bei der Kommission vor allem in den Advisory Groups (Beratungsgruppen) ab.

EU-Gebäude in Brüssel

ORF.at/Guido Tiefenthaler

In diesem EU-Gebäude findet das Gros der Sitzungen der Beratungsgruppen statt

Davon gibt es mehr als 800 - und sie dienen dazu, bei der Ausarbeitung von Gesetzesinitiativen Expertenwissen einzuholen. Doch NGOs wie Transparency International (TI), CEO und Lobbycontrol werfen der Kommission vor, nicht genug auf eine ausgewogene Zusammensetzung der Gruppen zu achten. Oft säßen fast ausschließlich Vertreter der Industrie in solchen Gruppen - und die würden nicht Expertise liefern, sondern für ihre Interessen lobbyieren.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte vor seiner Wahl durch das EU-Parlament versprochen, für mehr Transparenz zu sorgen. Es hat sich auch etwas getan - doch nicht genug, beklagen die NGOs. Die EU-Kommission sieht das freilich anders.

Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus Brüssel

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