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Sondersitzung in Bayern am Sonntag

Angesichts der zuletzt stark gestiegenen Zahl neu ankommender Flüchltinge kämpft München zunehmend mit erheblichen Engpässen. In der Nacht auf Sonntag konnten erstmals nicht mehr genügend Schlafplätze zur Verfügung gestellt werden. Es wird intensiv nach Lösungen gesucht. Indes findet die bisherige Grenzöffnungspolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) immer mehr Kritiker.

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Die „Welt am Sonntag“ berichtete von vertraulichen Telefonkonferenzen mehrerer deutscher Landesinnenminister, wonach die Länder von Merkels Vorstoß, den Flüchtlingen die Einreise zu ermöglichen, ohne jede Abstimmung „überrumpelt“ worden seien. Die Innenminister warnten vor Chaos bei der Unterbringung der Flüchtlinge und vor Sicherheitsrisiken.

Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt wiederum forderte Maßnahmen, um die Einreise von Flüchtlingen zu stoppen: „Die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht, dieses Signal muss unmissverständlich ausgesendet werden.“ Dazu gehöre Hilfe für diejenigen Länder, in die die Flüchtlinge in ihrer Not zuerst geflohen seien, sowie eine wirksame Kontrolle der deutschen Grenzen.

München: Notquartiere werden knapp

Mehr als 12.000 Flüchtlinge kamen allein am Samstag in München an. Die Kapazitäten sind nahezu ausgeschöpft.

„Die Länder sind völlig überrascht worden von der Einreiserlaubnis der Kanzlerin“, sagte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), Roger Lewentz (SPD). „Wir hätten Zeit für Vorbereitungen gebraucht. Und wir hätten vorher davon wissen müssen.“ Die Länder seien „in großer Not, weil sie bei der Unterbringung von Flüchtlingen am Limit sind“.

München „am Anschlag“

Dafür müssen sich die Länder allerdings Kritik von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gefallen lassen. Er finde es seitens der anderen Bundesländer nach zehn Tagen „absolut dreist, zu sagen, wir sind am Anschlag“. Wer so spreche, solle sich in München ansehen, was „am Anschlag“ bedeute. Denn insbesondere München ist an seinen Grenzen angelangt. Allein am Samstag kamen 12.200 Menschen in der bayrischen Landeshauptstadt an.

Flüchtlinge in der Bahnhofshalle in München

APA/dpa/Andreas Gebert

München sieht sich erstmals vom Andrang überfordert

In der Nacht auf Sonntag wurde nicht mehr für alle Schutzsuchenden ein Schlafplatz gefunden. Einige übernachteten mit Decken und Schlafsäcken auf dem Hauptbahnhof auf dem Boden. Bis Sonntagmittag trafen 1.400 weitere Flüchtlinge am Hauptbahnhof ein. Prognosen zu den Neuankünften kann die Polizei nicht geben. Ein rückläufiger Trend sei jedoch nicht zu erwarten. Nun wird nach Lösungen gesucht. In einer neuen Zeltstadt wurden bereits in der Nacht zum Sonntag weitere tausend Plätze als Notunterkunft geschaffen. Sonntagnachmittag berät das bayrische Kabinett in einer Sondersitzung über weitere Sofortmaßnahmen.

Regelzüge nur für Flüchtlinge

Die Deutsche Bahn reservierte indes einzelne Fernverbindungen von München in andere deutsche Städte. Reguläre Fahrgäste müssten entsprechend auf andere Züge ausweichen. Ab Montag sollen in einigen fahrplanmäßigen Zügen Kontingente für jeweils einige hundert Flüchtlinge reserviert werden, kündigte der oberbayrische Präsident Christoph Hillenbrand an. Zudem soll es zur Entlastung der Münchner Notunterkünfte zusätzliche Sonderzüge geben.

Um München zu unterstützen, soll nun in der Lüneburger Heide ein Drehkreuz für Flüchtlinge in Norddeutschland entstehen. Asylwerber sollen direkt per Bahn von Österreich nach Bad Fallingbostel gebracht werden, dort in Busse umsteigen und auf die norddeutschen Länder verteilt werden, wie das niedersächsische Innenministerium mitteilte.

„Einfach lächerlich“

Reiter kritisierte dennoch die mangelnde Unterstützung anderer Bundesländer. Außer nach Nordrhein-Westfalen seien am Samstag lediglich acht Busse mit insgesamt 400 Menschen in andere Bundesländer gestartet. „Das ist einfach lächerlich.“ München übernehme gerade eine nationale Aufgabe. Die Situation sei seit Tagen absehbar gewesen. Dennoch habe sich nichts getan.

Münchens Bürgermeister Dieter Reiter und Oberbayern-Präsident Christoph Hillenbrand

APA/EPA/Sven Hoppe

Oberbürgermeister Reiter (l.) mit dem oberbayrischen Regierungspräsidenten Hillenbrand auf dem Münchner Hauptbahnhof

Er sei „bitter enttäuscht, dass es nun auf eine Situation zuläuft, in der wir sagen müssen: Wir haben für ankommende Flüchtlinge keinen Platz mehr“. In seinen Appell, München nicht alleinzulassen, schloss er auch Kanzlerin Merkel mit ein. Allein in den vergangenen Tagen habe München 60.000 Flüchtlinge versorgt, sagte Reiter, der mit Hillenbrand in der Nacht auf Sonntag selbst auf dem Münchner Hauptbahnhof war.

Am Sonntag wurde intensiv an einer weiteren Verteilung der Flüchtlinge aus München gearbeitet. Die deutsche Bundeswehr wird rund 1.000 zusätzliche Plätze in einer Kaserne in Mittelfranken zur Verfügung stellen. Ein Sonderzug mit 500 Flüchtlingen ist bereits nach Dortmund abgefahren. In Berlin werden ebenfalls 600 Schutzsuchende erwartet. Aus Nordrhein-Westfalen ist am Sonntag nun ähnliches wie aus München zu hören. Innerhalb einer Woche sind dort rund 10.000 Flüchtlinge aus Bayern angekommen. Die Belastungsgrenze sei bald erreicht, hieß es vonseiten des NRW-Innenministeriums. Man schaffe täglich neue Kapazitäten: „Wir wissen jedoch nicht, wie lange wir das noch durchhalten.“

Merkel verteidigt Entscheidung

Merkel war schon am Freitag mit Kritik von CSU-Chef Horst Seehofer konfrontiert worden. Seehofer hatte mit Blick auf Ungarn gesagt: „Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen.“ Merkel verteidigte ihre Entscheidung. Es sei eine Notlage gewesen. Deutschland werde seiner Verantwortung gerecht, wenn es um die Hilfe von Schutzbedürftigen gehe.

Merkel sprach von einer „unglaublichen Anstrengung“ und dankte den Bundesländern, den Behördenmitarbeitern und Ehrenamtlichen. Sie machte aber ebenfalls deutlich, dass wirtschaftliche Not in Deutschland nicht als Asylgrund gesehen werde. Wer nicht schutzbedürftig sei, „der kann keine Bleibeperspektive bei uns haben“. Sie appellierte auch insbesondere an Griechenland, für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen zu sorgen.

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