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Hauptstadt der Lobbyisten

Mit September fährt das Brüsseler EU-Viertel wieder hoch - im August befindet sich der riesige Verwaltungsapparat mitsamt seinen politischen Lenkern traditionell im Stand-by-Modus. Zugleich finden im September auch besonders viele personelle Wechsel statt - ob bei den Mitarbeitern von EU-Kommission, EU-Parlament und Rat, den Botschaften oder den Medien.

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Sie alle brauchen vor allem eines, um überhaupt ihrer Arbeit nachgehen zu können: eine Akkreditierung bei den EU-Institutionen. Akkreditierungen gibt es viele, jeden Tag werden Tausende für Beamte aus Mitgliedsländern, die zu einer Sitzung nach Brüssel fliegen, ausgestellt - und für Besucher des EU-Parlaments. Auch die längerfristigen Akkreditierungen bei den drei großen Brüsseler EU-Institutionen gehen in die Tausende.

Die größte Gruppe sind hier wohl die Tausenden Lobbyisten jeder Couleur - dazu kommen noch mehr als 1.500 akkreditierte Journalisten und die vielen Diplomaten, die in Brüssel Dienst tun.

Grafik zeigt das Who’s who des Transparenzregisters

Grafik: ORF.at; Quelle: Europäische Union, 1995-2015

Nummer ziehen

Besonderes Gedränge herrscht jedenfalls in diesen Tagen. Viele kommen jetzt neu nach Brüssel: vom neuen Berater des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, Rainer Münz, bis hin zu den im EU-Sprech „Stagiaires“ genannten Tausenden Praktikanten. Eben diese, alle neuen Beamten der EU-Kommission, egal welchen Ranges, und Journalisten treffen einander dabei in einem Warteraum wieder, der die Aura einer überfüllten Spitalsambulanz ausstrahlt: Es heißt eine Nummer ziehen und warten - vor dem Akkreditierungsbüro.

Alle Diplomaten der Ständigen Vertretungen der Mitgliedsstaaten sind wiederum beim Rat akkreditiert, wodurch sie dauerhaften Zugang zu den EU-Gebäuden haben. Ausgenommen einige Diplomaten der EFTA-Länder sind keine Diplomaten beim Rat akkreditiert. Auch die Diplomaten müssen bei der Ratsbehörde vorstellig werden und sich dort ihren Ausweis abholen. Wie viele Diplomaten akkreditiert sind, konnte man beim Rat auf Nachfrage nicht sagen. Aber Frankreichs Vertretung zählt etwa 150 Personen.

5.700 Lobbyisten akkreditiert

Lobbyisten müssen sich ihrerseits ihre Akkreditierung beim EU-Parlament holen. Allein für Lobbyisten gibt es aktuell laut Auskunft des EU-Parlaments 5.700 Akkreditierungen - doch nur ein Teil von ihnen ist überhaupt akkreditiert. Denn bei Weitem nicht alle Lobbyorganisationen haben sich bisher ins Transparenzregister eingetragen. Seit Einführung des Transparenzregisters dürfen aber nur noch jene Interessenvertreter und Lobbyisten ins Parlament, die sich in dieses freiwilligen Register eintragen.

Mehr als 8.200 Organisationen finden sich derzeit im Transparenzregister. Doch die Angaben - etwa zu den jährlichen Ausgaben - sind teils ganz offensichtlich falsch, wie Anti-Lobby-Organisationen immer wieder kritisieren. Der Haken: Es gibt keine Pflicht, sich zu registrieren - und die Angaben stammen von den Organisationen selbst und werden nicht von unabhängiger Seite überprüft.

Vor allem Unternehmen und Kanzleien

Die mit Abstand größte Gruppe - mehr als die Hälfte - machen dabei In-House-Lobbyisten (Firmen, die für ihre eigenen Interessen werben), Gewerbe-, Wirtschafts- und Berufsverbände aus. Dazu kommen mehr als 900 Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen. Diese decken vor allem die Wirtschaftsseite ab.

Die zweitgrößte Gruppe sind allerdings bereits Nichtregierungsorganisationen - mehr als 2.100 sind es derzeit. Die rund 570 Denkfabriken sind ebenfalls ein wichtiger Player im weiten Brüsseler Feld der Interessenvertretung. Vergleichsweise schwach vertreten sind da regionale und kommunale Behörden und öffentliche Unternehmen (380) und Kirchen (35).

Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus Brüssel

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