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Verstärkte Jagd auf Schlepper

Die Öffnung der Grenze für Tausende in Ungarn gestrandete Flüchtlinge hat die EU-Debatte über den Umgang mit den Flüchtlingen weiter verschärft. Die EU-Staaten streiten weiter über eine mögliche Verteilung der Flüchtlinge. Immer lauter wurden unterdessen Forderungen nach einem EU-Sondergipfel.

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Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini betonte nach dem Treffen der EU-Außenminister am Samstag, dass es außenpolitisch eine einheitliche Linie der EU-Staaten gebe. Die starken Differenzen gebe es im Zuständigkeitsbereich der Innenminister, eben bei der Quote. Die Dringlichkeit des Themas sei mittlerweile allen klar, betonte Mogherini. Informell war aus Ratskreisen allerdings das Gegenteil zu hören.

Keines der EU-Länder könne mehr die Illusion haben, nicht betroffen zu sein, denn in wenigen Monaten könnten zahlreiche Flüchtlinge in anderen Ländern ankommen. Mogherini hofft eigenen Angaben zufolge, dass diese Krise ähnliche Folgen haben wird wie frühere - nämlich dass sie zu einer stärkeren Integration führt und „uns dabei helfen wird, im Zusammenstehen reifer zu werden“.

Es gebe einen „breiten Konsens“, mit der zweiten Phase des Marineeinsatzes vor Libyen zu beginnen, so die EU-Außenbeauftragte weiter. Diese soll im Oktober starten. Dabei sollen Schiffe von Menschenhändlern auf hoher See aufgebracht und auch zerstört sowie Schlepper festgenommen werden. In libyschen Hoheitsgewässern würden die Marineeinheiten nicht eingesetzt, dazu wäre ein UNO-Mandat nötig.

Rom warnt vor Spaltung der EU-Länder

Der italienische Außenminister Paolo Gentiloni warnte davor, dass die Spaltung innerhalb der EU mit einigen osteuropäischen Ländern in puncto Flüchtlingsnotstand zum akuten Problem werden könnte. „In der EU gibt es weiterhin einzelne Länder, die denken, sie könnten das Flüchtlingsproblem bewältigen, indem sie die Verantwortung auf andere abladen“, so Gentiloni.

Der luxemburgische Außenminister, Jean Asselborn, sagte nach Beratungen mit seinen EU-Kollegen, er wolle nicht über „Quoten“ reden und ob diese freiwillig oder verpflichtend seien, aber es brauche in der gegenwärtigen Krise eine Lastenteilung. Zwar könne man schon sagen, dass man das Flüchtlingsproblem außerhalb der Grenzen Europas lösen müsse, entgegnete Asselborn der Argumentation vieler Außenminister. Doch gebe es in der EU Flüchtlinge, die unter die Genfer Konvention fallen. „Die können nicht alle in einem Land bleiben.“

EU beharrt auf Quoten

Die luxemburgische EU-Ratspräsidentschaft beharrte bei dem Treffen auf eine bessere Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Staaten. Der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, drängte dabei ebenso auf ein baldiges Treffen wie Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Die EU sollte bereits für Anfang Oktober einen Gipfel organisieren, so Steinmeier. Schon in der kommenden Woche wolle EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine Vorschläge zur Flüchtlingskrise vorstellen, wonach 120.000 Flüchtlinge auf die EU-Länder aufgteilt werden sollen - davon 3.640 Flüchtlinge aus Italien, Griechenland und Ungarn in Österreich.

Steinmeier sieht leichte Bewegung

Ungarn hatte am Freitagabend entschieden, die tagelang auf dem Bahnhof von Budapest festsitzenden Flüchtlinge mit Bussen an die österreichische Grenze zu bringen. Österreich und Deutschland erklärten sich daraufhin bereit, die Flüchtlinge einreisen zu lassen. Laut Steinmeier ist die Vereinbarung eine Ausnahme. „Die Hilfe in der gestrigen Notlage war verbunden mit der dringenden Mahnung dafür, daraus gerade keine Praxis für die nächsten Tage zu machen“, so Steinmeier.

Die Hilfe sei vielmehr „Erinnerung daran, dass die Verpflichtungen auch für Ungarn aus dem Dubliner Abkommen nicht etwa aufgehoben sind.“ Steinmeier sah ebenfalls leichte Bewegung in der Flüchtlingsdebatte, wenn auch Quoten weiterhin abgelehnt würden. Es scheint aber eine Bereitschaft zu geben, sich stärker an einer „europäischen Gesamtverantwortung“ zu beteiligen.

Kurz sieht Gefahr für Schengen

Außenminister Kurz sieht durch die Flüchtlingskrise auch das Schengen-System in Gefahr. Dieses lebe davon, dass es Grenzsicherheit an den Außengrenzen gebe und dafür innerhalb der Europäischen Union volle Bewegungsfreiheit und offene Grenzen. „Derzeit haben wir keine Grenzsicherheit. So ehrlich muss man sein“, so Kurz weiter. Er hoffe, dass die EU die Probleme schnell in den Griff bekomme, „bevor wir die Idee eines Europas ohne Grenzen gefährden“. Zugleich betonte Kurz, dass die am Freitagabend getroffene Vereinbarung mit Ungarn und Deutschland auch vorsehe, dass das sogenannte Dublin-System „weiter gilt“.

Kurz zog ein zumindest teilweise positives Resümee der Sitzung der EU-Außenminister. „Es gibt bei vielen Gott sei Dank endlich das Bewusstsein, dass das eine der größten Krisen ist, die Europa bis jetzt erlebt hat.“ Auch sei ein Bewusstsein vorhanden, dass kein einzelnes Land die Krise lösen könne. Die EU-Außenminister hätten sich darauf geeinigt, mehr humanitäre Hilfe in den Herkunftsländern zu leisten, um Fluchtgründe zu beseitigen. Konkret soll etwa die Situation in Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien, Syrien und der Türkei verbessert werden.

Erneut Kritik von Ungarn

Von ungarischer Seite kam am Samstag erneut Kritik an der EU: Die Lage in Ungarn sei „erstens Folge einer gescheiterten Migrationspolitik der Europäischen Union und zweitens einer Reihe von unverantwortlichen Erklärungen durch europäische Politiker“, sagte Außenminister Peter Szijjarto. In der Hoffnung auf eine Weiterreise nach Deutschland seien die in Ungarn ankommenden Flüchtlinge „immer aggressiver geworden“ und hätten sich geweigert, in Aufnahmelager zu gehen, um sich nach den EU-Vorgaben registrieren zu lassen.

Der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak warnte vor einer „Sogwirkung“, wenn Europa die Regeln zu Grenzsicherung und Asyl über Bord werfe. Denn Europas Vorgehen werde dann von den Flüchtlingen „als Einladung“ verstanden. Er sei nicht gegen Quoten zur Flüchtlingsverteilung, aber „wir müssen aufpassen. Das ist keine willkürliche bürokratische Entscheidung.“ Auch sei angesichts des anhaltenden Flüchtlingsstroms nicht klar, um welche Zahlen es gehe.

Slowakei: „Müssen ehrlich sein“

Der slowakische Außenminister sieht in den jüngsten Ereignissen an der ungarisch-österreichischen Grenze zudem ein Argument gegen Quoten. „Man kann die Leute nicht dazu zwingen, in dem Land zu bleiben, in dem sie nicht sein wollen. Wenn man das tut, verstößt man gegen europäische Regeln. Wenn man es nicht tut, werden sie in ihr europäisches Zielland weiterziehen. Wir müssen ehrlich sein.“

Litauen warnte vor dem Ende des freien Reiseverkehrs im Schengen-Raum, der Grenzüberschreitungen zwischen den meisten europäischen Staaten ohne Pass ermöglicht. Anstatt über Quoten zu diskutieren, müsse die EU bei dem Problem „an die Wurzeln gehen“, um die Lage in den Griff zu bekommen, sagte Minister Linas Linkevicius. „Die Zeit spielt gegen uns, wir müssen uns beeilen.“

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