Orban fordert Klarstellung von Berlin
Ungarn will Tausenden im Land befindlichen Flüchtlingen unter Berufung auf das Dublin-Abkommen die Ausreise verweigern. Das sagte Regierungschef Viktor Orban Donnerstagabend auf einer Pressekonferenz in Brüssel. Von Deutschland verlangte der rechtskonservative Politiker eine Klarstellung. Auf dem Bahnhof in der Ortschaft Bicske, wo Hunderte Flüchtlinge festsitzen, droht die Situation unterdessen weiter zu eskalieren.
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Rund 500 Flüchtlinge hätten die von der Polizei angebotene Nahrung verweigert, berichteten Nachrichtenagenturen Donnerstagabend. Viele weigerten sich, die grünen Waggons zu verlassen. Von der Polizei verteilte Wasserflaschen seien demonstrativ vor den Beamten ausgeleert worden. Die Flüchtlinge waren von der Polizei an der Weiterreise nach Westen gehindert worden. Sie waren am frühen Nachmittag in Budapest in einen Zug Richtung Sopron an der österreichischen Grenze gestiegen, in der Hoffnung, von dort nach Österreich zu gelangen.
Unterwegs, in Bicske, 37 Kilometer westlich von Budapest, stoppte die Polizei den voll besetzten Zug und forderte die Reisenden auf, auszusteigen. 20 Busse standen für ihren Transport in das Flüchtlingslager von Bicske bereit, ebenfalls Dolmetscher. Ein Teil der Flüchtlinge sei in das Lager gebracht worden, viele würden derzeit weiter in dem Zug sitzen und darauf bestehen, nach Westen zu reisen, hieß es.
Flüchtlingen droht Abschiebung
Die Polizei erklärte ihr Vorgehen damit, dass sie nur die Personalien der Flüchtlinge habe kontrollieren wollen. Das sei wegen der chaotischen Zustände am Budapester Ostbahnhof nicht möglich gewesen. Deswegen habe man den Zug in Bicske aufgehalten.
Ernst Gelegs zur Situation in Budapest
ORF-Korrespondent Ernst Gelegs berichtet vom Ostbahnhof in Budapest, dass die Chance für eine Weiterreise der Flüchtlinge sehr gering ist.
Diejenigen Flüchtlinge, die sich jetzt in Bicske freiwillig kontrollieren lassen, würden in ein Aufnahmelager gebracht. Jene, die die Kontrolle verweigerten, würden abgeschoben, erklärte der Vizechef der ungarischen Einwanderungsbehörde, Attila Kiss. Laut ungarischen Regelungen werden Flüchtlinge in das Land abgeschoben, aus dem sie eingereist sind. In den meisten Fällen ist das derzeit Serbien.
Neues Lager an serbischer Grenze
Die ungarische Polizei eröffnet unterdessen eine neue Sammelstelle an der ungarisch-serbischen Grenze. Die Einrichtung in der Nähe der Grenzstadt Röszke kann 1.000 Flüchtlinge aufnehmen und liegt nahe dem „Hangar“, in dem die Registrierung der aus Serbien kommenden Migranten erfolgt.
An der Fertigstellung der neuen Sammelstelle, die für 38 Millionen Forint (rund 120.000 Euro) realisiert wurde, waren neben Bauarbeitern auch Strafgefangene beteiligt, die unter Aufsicht von Beamten des Strafvollzugs arbeiten. Das Gelände soll laut Medienberichten mit einem Zaun umgeben werden, der dem 175 Kilometer langen, 4,5 Meter hohen Grenzzaun an der ungarisch-serbischen Grenze ähneln soll.
Orban: Berlin soll Syrern Visa ausstellen
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat indes von Deutschland eine Klarstellung zum Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien verlangt. Es gebe „einen Konflikt zwischen Ungarn und Deutschland“ in der Frage, sagte Orban bei einem Besuch in Brüssel. Äußerungen aus Deutschland, dass Syrer auch in der Bundesrepublik Asyl beantragen könnten und nicht mehr in den Ankunftsländern in der EU, sei von den Flüchtlingen als „Einladung“ verstanden worden. „Diese Kommunikationsfehler und Äußerungen haben eine unmögliche Situation in Ungarn geschaffen.“
Das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration hatte in der vergangenen Woche erklärt, das sogenannte Dublin-Verfahren für Syrien-Flüchtlinge sei ausgesetzt. Laut Dublin müssen Flüchtlinge normalerweise in dem EU-Land einen Asylantrag stellen, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten. Nach der geänderten deutschen Praxis werden Syrer nun nicht mehr in diese Ankunftsländer zurückgeschickt, sondern können in Deutschland Asyl beantragen.
Er sei immer noch nicht sicher, was Deutschland wolle, sagte Orban. In der Folge der Ankündigung hätten sich aber syrische Flüchtlinge in Ungarn geweigert, registriert zu werden und in Aufnahmelager zu gehen. „Sie rufen den Namen Deutschland und von Kanzlerin Merkel und sagen, sie würden in Deutschland erwartet.“ Ungarn dürfe sie aber nach dem EU-Recht nicht weiterreisen lassen. „Wenn Deutschland sie wirklich eingeladen hat, sollte Deutschland Visa ausstellen“, sagte Orban. Dann könnten sie aus Ungarn ausreisen. Wenn die Bundesregierung die Syrer nicht aufnehmen wolle, müsse sie „das klarstellen“.
Zaun zu Kroatien vorstellbar
Zudem kündigte Orban den Bau eines weiteren Zauns an der Grenze zum EU-Mitglied Kroatien an, wenn Flüchtlinge versuchen sollten, in großen Scharen über diesen Weg ins Land zu kommen. Er wolle keine große Zahl Muslime in Ungarn haben, sagte er am Donnerstag in Brüssel. Orban betonte zugleich, er könne sich EU-Quoten für die Aufnahme von Flüchtlingen vorstellen. Allerdings habe er bisher keinen solchen Vorschlag erhalten.
Faymann bestellt Ungarns Botschafter ein
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hat für Freitag den ungarischen Botschafter ins Kanzleramt zitiert. Anlass sind diplomatische Spannungen wegen des Themas Flüchtlinge. „Die Genfer Menschenrechtskonvention ist von allen Staaten der EU zu respektieren“, sagte Faymann laut einer Aussendung des Kanzleramts am Donnerstag. „Asyl ist ein Menschenrecht, das in allen Staaten der Europäischen Union gilt“, so der Bundeskanzler, „genauso wie auch ein gemeinsamer Grenzschutz mit koordinierter Registrierung und eine faire Verteilung von flüchtenden Menschen auf alle Länder gelten sollte.“
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) trifft am Freitag angesichts der Flüchtlingskrise seinen ungarischen Amtskollegen Peter Szijjarto am Rande eines EU-Ministertreffens in Luxemburg zu einer Aussprache. Das sagte ein Sprecher am Donnerstag der APA. Auf die Frage nach der Botschaft, die Kurz Szijjarto überbringen wolle, erklärte der Sprecher: „Die Genfer Konvention gilt für alle.“
Keleti wird nicht mehr angefahren
Die Deutsche Bahn (DB), die Tschechischen Eisenbahnen (CD) und die private polnische Bahngesellschaft PKP Intercity haben unterdessen angekündigt, den Ostbahnhof in Budapest (Keleti) vorerst nicht mehr anzusteuern. Die DB teilte auf ihrer Website mit, dass die Eurocity-Züge, die normalerweise zwischen Budapest, Wien, Salzburg und München verkehren, derzeit am ungarischen Grenzort Hegyeshalom starten und enden.
Die CD teilten mit, dass die internationalen Eurocity-Zugsverbindungen von Berlin über Prag nach Budapest seit Donnerstagvormittag im ungarischen Grenzbahnhof Szob beginnen bzw. enden. In Szob müssten die Reisenden in Regionalzüge umsteigen. Auch die Verbindungen von Polen nach Ungarn endeten auf Bitte der ungarischen Bahn am Grenzbahnhof Szob, teilte die polnische PKP Intercity mit.
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