Regierungspartei vor Zerreißprobe
Die Wahl in Guatemala am Sonntag ist für die amtierende konservative Regierungspartei PP (Partido Patriota) eine Zerreißprobe. Nur vier Tage zuvor ist ihr Gründer und der Staatschef Guatemalas, Otto Perez, wegen eines Korruptionsskandals zurückgetreten. Er sitzt nun in U-Haft. Übergangspräsident Alejandro Maldonado sagte, die künftige Regierung müsse vor allem wieder eines: „Vertrauen aufbauen“.
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Perez soll eine entscheidende Rolle in der Affäre um das Korruptionsnetzwerk „La Linea“ gespielt haben. Gegen Schmiergelder sollen Importeuren Zollabgaben in Millionenhöhe zum Schaden des Staates erlassen worden sein. Auch die frühere Vizepräsidentin Roxana Baldetti sitzt wegen der Affäre in Untersuchungshaft, weitere Minister sind zurückgetreten, die konservative Partei zeigte Auflösungserscheinungen. Dem neuen PP-Kandidaten Mario Garcia werden daher wenige Chancen auf einen Wahlsieg eingeräumt. Perez hätte aus verfassungsrechtlichen Gründen aber ohnehin nicht mehr zur Wahl antreten dürfen.
„Der ehemals Zweite gewinnt“
Als aussichtsreichster Amtsanwärter gilt der Chef der Oppositionspartei Lider (Libertad Democratica Renovada), Manuel Baldizon. Er präsentierte sich mit seinem Wahlkampfmotto „Das Volk ist nun dran“ als Vertreter für die Probleme der breiten Bevölkerung und landete bei der letzten Präsidentschaftswahl 2011 auf dem zweiten Platz. In Guatemala gebe es ein ungeschriebenes Gesetz, sagte die Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Guatemala, Annette Schwarzbauer, gegenüber ORF.at, und das laute, „dass der bei den letzten Wahlen Zweitplatzierte Präsidentschaftskandidat die nächsten Wahlen gewinnt“.
APA/AP/Luis Soto
Ex-Präsident Otto Perez bei seiner Verhaftung
Die besten Chancen auf den zweiten Platz hinter Baldizon werden Sandra Torres, Kandidatin der sozialdemokratisch ausgerichteten Partei UNE (Unidad Nacional de la Esperanza) und Ex-Frau von Ex-Staatspräsident Alvaro Colom, eingeräumt. Als Überraschungskandidat tritt für die nationalistische Partei FCN der bekannte Komiker Jimmy Morales an. In letzten Umfragen lag Morales sogar in Führung. Auch Roberto Gonzalez von der Mitte-Partei CREO (Compromiso, Renovacion y Orden) und Lizardo Sosa von Todos versuchen die Proteststimmung für sich zu nutzen.
Vertrauen schwer erschüttert
Das Vertrauen der Wähler in das politische Establishment sei nach dem Auffliegen der Korruptionsaffäre schwer erschüttert, sagte Schwarzbauer. Die Parteien seien wenig vertrauenerweckend, und das bestehende politische System sei durchtränkt von Korruption und Vetternwirtschaft. Daher forderten einige Stimmen im Vorfeld, die Wahlen zu verschieben, um zuerst politische Reformen durchzuführen.
Diese wären nötig, erklärt die Leiterin des Auslandsbüros, vor allem bei der Transparenz der Parteienfinanzierung. Zuletzt legte die UNO-Kommission gegen Straffreiheit, CICIG, einen Bericht vor, wonach ein Großteil der Mittel der politischen Parteien aus der Korruption stammt. Allein das organisierte Verbrechen soll rund 25 Prozent der Parteienbudgets finanzieren. Politik, Wirtschaft und kriminelle Clans haben sich die größte Volkswirtschaft Mittelamerikas zur Beute gemacht.
Ex-Präsident ohne Rückhalt
Vor allem die hartnäckigen Ermittlungen der CICIG brachten den mafiösen Knoten des Korruptionsnetzwerks „La Linea“ schließlich zum Platzen. Mit dem eisernen Besen gingen die UNO-Beamten rund um den Kolumbianer Ivan Velazquez zuletzt durch die verkrusteten Strukturen des Landes und hoben eine ganze Reihe von kriminellen Netzwerken aus.
Angesichts der erdrückenden Beweise im Fall „La Linea“, darunter kompromittierende Telefonmitschnitte des Präsidenten, legte sich auch Generalstaatsanwältin Thelma Aldana, die eigentlich eine Vertraute Perez’ ist, ordentlich ins Zeug. „Niemals hätte ich mir vorstellen können, ein Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten zu leiten, aber die Beweise haben es unausweichlich gemacht“, sagte sie. Selbst der mächtige Unternehmerverband und die einflussreiche katholische Kirche wandten sich zuletzt vom Ex-Präsidenten ab.
Neben der grassierenden Korruption gebe es weitere problematische Praktiken im guatemaltekischen politischen System, so Schwarzbauer. Politiker wechselten während einer Legislaturperiode häufig die Fraktion. Der Wählerwille werde so nicht mehr im Kongress abgebildet. Auch die Vergabe von öffentlichen Aufträgen sei häufig mit den wirtschaftlichen Interessen von Politikern verquickt und folge nicht jenen der Bevölkerung und die Transparenz bei der Vergabe von Jobs im öffentlichen Dienst sei schwindend gering.
Großes Stadt-Land-Gefälle
In Guatemala bestehe ein großer Unterschied zwischen Stadt und Land, so Schwarzbauer: „Gerade auf dem Land unterhalten Parteien klientelistische Beziehungen und überzeugen die Wähler mit Geschenken wie Lebensmittelpaketen, Zement oder Fahrrädern.“ Das habe mit der Bevölkerung in den größeren Städten wenig gemein. Hier seien die Menschen in der Regel besser politisch informiert. „Was sich politisch und im Rahmen der Zivilgesellschaft in der Hauptstadt abspielt, ist noch lange nicht ebenso auf dem Land.“
APA/ORF.at
Laut dem CIA World Factbook ist Guatemala eines der Länder mit der höchsten Ungleichheit weltweit. Rund 50 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind mangelernährt. Mit 16 Millionen Einwohnern ist Guatemala das bevölkerungsreichste Land in Zentralamerika. Rund 750.000 Guatemalteken leben in den USA. Viele Migranten halten sich ohne gesicherten Status in den USA auf und sind wirtschaftlich wichtig für die Familien im Heimatland.
Zu den Präsidentschafts-, Parlaments- und Bürgermeisterwahlen sind 7,5 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen. Das Land ist von Jahrzehnten des Bürgerkriegs (1960 bis 1996) geprägt und hat eine der höchsten Raten von Gewaltkriminalität der Welt. Edgar Gutierrez von der Universität San Carlos wertet das entschlossene Vorgehen der Ermittler im Korruptionsskandal als positives Signal für die demokratische Zukunft des mittelamerikanischen Landes: „Das nimmt den Druck aus der Wahl. Die Leute gehen mit dem Gefühl des Triumphs, mit Selbstwertgefühl an die Urnen.“
Manuela Tomic, ORF.at
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