Tausende demonstrieren für Weiterreise
Tausende Flüchtlinge warten in Budapest auf die Weiterreise Richtung Westen. Schon in den vergangenen Tagen war von chaotischen Zuständen auf dem wichtigen Budapester Ostbahnhof (Keleti) die Rede. Am Dienstag spitzte sich die Situation zu. Die ungarische Polizei sperrte den Bahnhof vorübergehend für zwei Stunden und räumte ihn dann. Hunderte wurden nach draußen geführt.
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Die Räumung des Bahnhofs sei erfolgt, während rund 500 Flüchtlinge versuchten, in einen Zug nach Wien zu gelangen, berichtete die Agentur AFP. Einige Flüchtlinge begannen zu schreien, als sie nach draußen gedrängt wurden, leisteten aber keinen Widerstand. Auch nach der Öffnung würde den Flüchtlingen weiterhin der Zutritt zum Gebäude verwehrt, berichtete die ungarische Nachrichtenagentur MTI. Die Polizei kontrolliert die Eingänge zum Bahnhof.
Ungarn verteidigt Räumung
Der Zugsverkehr wurde wieder aufgenommen. Nach Angaben der staatlichen ungarischen Bahngesellschaft MAV fuhren zunächst nur Inlandszüge. Inzwischen fuhr auch ein Zug Richtung München wieder ab. Augenzeugen zufolge befanden sich aber keine Flüchtlinge darin. Vor dem Bahnhof demonstrierten Tausende Flüchtlinge für ihre Weiterreise nach Deutschland.
Aus Protest gegen ihre Verbannung aus dem Bahnhofsgebäude wollen Tausende Migranten nun in den Hungerstreik treten. Nach Angaben der Hilfsorganisation Migration Aid halten sich über 1.500 Flüchtlinge derzeit in der „Transitzone“ außerhalb des Bahnhofs Keleti auf. Andere Quellen sprechen von bis zu 4.000 Menschen. Einige Flüchtlinge kritisierten, dass sie Hunderte Euro für Tickets bezahlten und dann das Gebäude verlassen mussten. Für drei Tickets hätten sie insgesamt 370 Euro bezahlt, sagte ein 47-jähriger Syrer: „Dann sagten sie (die Polizei, Anm.), der Bahnhof ist gesperrt.“

Reuters/Laszlo Balogh
Die Polizei räumte vorübergehend den Budapester Keleti-Bahnhof
Regierungssprecher Zoltan Kovacs begründete die Räumung des Bahnhofs mit der Umsetzung von EU-Recht. Dieses verlange, dass sich jeder Bürger aus einem Drittstaat nur mit einem gültigen Pass und einem Schengen-Visum frei in der EU bewegen könne, so Kovacs gegenüber Reuters.
Tausende Flüchtlinge erreichten Wiener Westbahnhof
Allein im August waren 50.000 Flüchtlinge in Ungarn eingetroffen - mehr als 2.000 pro Tag. Sie stammten vorwiegend aus Kriegsgebieten wie Syrien, dem Irak und Afghanistan. Am Montag ließen die Behörden Tausende Flüchtlinge, die seit Tagen in Budapest in provisorischen Lagern auf die Weiterfahrt gewartet hatten, unkontrolliert in Züge nach Österreich und Deutschland steigen. Bis Dienstagmittag kamen vier Züge aus Ungarn in Wien an. Einige hundert Menschen verließen nach Angaben von Freiwilligen den Westbahnhof. Bis Dienstagfrüh kamen bereits zwischen 3.000 und 3.500 Migranten auf dem Wiener Westbahnhof an.
Züge weniger überfüllt
Die ÖBB geleiteten die Flüchtlinge zu provisorischen Betreuungsstationen, die mit freiwilligen Helfern besetzt waren. Die meisten wollen nach Deutschland weiterreisen. Tausende sind bereits in Bayern angekommen.

Reuters/Laszlo Balogh
Tausende hoffen auf eine Weiterreise Richtung Österreich und Deutschland
Anders als am Montag waren die Züge nicht völlig überfüllt. Die Züge seien zwar sehr voll gewesen und mit Verspätung eingetroffen, aber nicht überfüllt, weshalb die ÖBB die Garnituren an der Grenze auch übernommen hätten, so ÖBB-Sprecher Michael Braun. Am Montag gab es an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn lange Wartezeiten, weil die Passagiere aus den überfüllten Zügen in andere Regionalzüge und eingeschobene Garnituren umsteigen mussten.
„Lückenlose Kontrollen nicht durchführbar“
Kritik daran, dass Österreich die EU-Vorschriften wie Ungarn und Griechenland zu wenig beachte und ebenfalls nicht kontrolliere, wies Polizeisprecher Roman Hahslinger Montagabend zurück. Es werde kontrolliert. Hahslinger betonte aber, dass „lückenlose Kontrollen derzeit nicht durchführbar“ seien. Denn es sei nicht möglich, „den Bahnhof abzusperren“. Am Dienstag hieß es nach Angaben der Wiener Polizei, dass die in Zügen aus Budapest ankommenden Flüchtlinge nicht kontrolliert würden. Aufgrund von Personalmangel sei eine Kontrolle auch künftig nicht vorgesehen, berichtete Reuters.
Ernst Gelegs über die Situation in Budapest
ORF-Korrespondent Ernst Gelegs sieht kaum Chancen für die am Bahnhof festsitzenden Flüchtlinge, am Dienstag weiterzureisen.
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wies am Dienstag den Vorwurf zurück, dass Österreich nicht kontrollieren und Asylwerber nach Deutschland weiterschicken würde. Man verlasse sich dabei auch darauf, dass schon die ungarischen Behörden die Kontrollen durchführten, so Hahslinger. Das dürfte derzeit allerdings nicht der Fall sein. „Es ist sehr einfach. Du kannst ohne Papiere von Ungarn nach Österreich reisen“, sagte etwa ein in Wien angekommener syrischer Flüchtling aus Damaskus im Ö1-Morgenjournal.
Faymann kritisiert Ungarn
Für das Aussetzen der Kontrollen muss sich Ungarn Kritik gefallen lassen. Nach der Dublin-Verordnung ist derjenige Staat für ein Asylverfahren zuständig, in dem der Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten hat. Für Flüchtlinge, die über die Westbalkan-Route aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten fliehen, ist Ungarn das erste Schengen-Land, das sie erreichen. Kanzler Werner Faymann (SPÖ) übte im ORF-„Sommergespräch“ heftige Kritik an seinen ungarischen Amtskollegen. „"Dass die in Budapest einfach einsteigen (...), und man schaut, dass die zum Nachbarn fahren - das ist doch keine Politik.“
Die EU-Kommission teilte mit, sie beobachte die Lage. Ungarn stehe in der Pflicht, EU-Recht anzuwenden und Flüchtlinge bei ihrer Ankunft zu registrieren. Wenn Ungarn Schwierigkeiten habe, seine Außengrenzen zu überwachen, könne die Regierung in Budapest dafür Hilfe beantragen.
Bayern will Flüchtlinge nicht zurückschicken
Ungarn warf seinerseits Deutschland vor, die Fluchtbewegung erst durch ein „nachgiebiges Verhalten“ ausgelöst und die Dublin-Regeln selbst gebrochen zu haben. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sieht aber keine Verantwortung Deutschlands für die Tausenden Flüchtlinge aus Ungarn. Sie wies die Aufforderungen aus Ungarn und Österreich zurück, dass Deutschland seine Rechtslage bei Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien klären müsse: „Was die Frage der ankommenden syrischen Flüchtlinge anbelangt, so sehe ich ehrlich gesagt keine Mitverantwortung Deutschlands.“
Es sei lediglich darauf hingewiesen worden, dass die, die in Deutschland ankämen, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auch den Status als Bürgerkriegsflüchtlinge bekommen würden. „Das dürfte angesichts der Situation in Syrien keine Überraschung sein und müsste eigentlich in jedem europäischen Land ähnlich sein“, sagte Merkel. „Deutschland hat Dublin nicht ausgesetzt“, bekräftigte auch ein Sprecher des deutschen Innenministeriums.
Krisentreffen am Donnerstag
Dennoch will Deutschland die aus Ungarn und Österreich ankommenden Flüchtlinge nicht zurückschicken. Die Neuankömmlinge würden in Bayern registriert und in die Aufnahmeeinrichtungen gebracht, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Das sei „selbstverständlich“. Man sei aber bemüht, rasch von Ungarn zu erfahren, wie es in den nächsten Tagen weitergehen solle.
Für ein Krisentreffen gibt es nun einen Termin. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kündigte an, dass er am Donnerstag mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz beraten werde. Die EU-Kommission bestätigte ein Treffen Junckers mit Orban.
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