Die frühen Tage des Bling-Bling
Der Aufstieg von N.W.A. zählt zu den aberwitzigsten Karrieren im Hip-Hop. Die Band hat nicht zuletzt vieles zur Kultivierung von Gangsta-Rap-Klischees im Mainstream beigetragen. Ein Biopic von Regisseur Gary Gray zeigt nun die Anfänge der Rapper im Los Angeles der mittleren Achtzigerjahre - und die fanden auf einem rauen Pflaster statt.
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Der Vorort Compton, 20 Kilometer südlich von Los Angeles, Mitte der Achtziger: Armut, Gangrivalität und Polizeigewalt bestimmen den Alltag der überwiegend schwarzen Bevölkerung. Gewalt führt zur Gegengewalt, die sich auch durch Hip-Hop äußern kann.

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DJ Yella (Neil Brown Jr.), Eazy-E (Jason Mitchell), Ice Cube (O’Shea Jackson Jr.), MC Ren (Aldis Hodge) und Dr. Dre (Corey Hawkins) im Konflikt mit der Polizei
Perspektive gibt es hier für Heranwachsende keine. Wer sich nicht in die Drogen flüchtet, sucht den Eskapismus in der Musik – oder am besten in beidem. Jobben? Drogendealen. Mit der Polizei kommt man hier als Schwarzer ohnehin auch regelmäßig Kontakt, wenn man nicht kriminell ist.
Authentisch und gefährlich
Die Freunde Eric, Andre, O’Shea, Lorenzo und Antoine formieren sich in Compton, das auch heute noch eine der höchsten Kriminalitätsraten der USA hat, zum Hip-Hop-Act. Sie nennen sich N.W.A. (Niggaz wit Attitude), und ihre Künstlernamen lauten Eazy E, Dr. Dre, Ice Cube, MC Ren und DJ Yella. Der gewitzte Musikmanager Jerry Heller erkennt das Potenzial der jungen Männer sehr rasch.
Denn N.W.A. rappen nicht nur über ihren Alltag in Compton zwischen Polizeirepression, Kleinkriminalität und den als selbstverständlich vorgelebten Rassismus – sie sehen auch aus wie Gangmitglieder. Und authentisch ging in der Popkultur immer schon am besten. Der Manager schwört insbesondere auf die Gefährlichkeit und den Geruch der Straße, den die jungen Männer mitbringen. „Unsere Kunst spiegelt unsere Realität wider”, sagt Ice Cube im Film.
Das FBI hört mit
Die Karriere der Gangsta-Rapper kommt nicht zuletzt aufgrund der gut vernetzten schwarzen Community ins Rollen. Mainstream-Medien ignorieren das musikalische Phänomen aus dem Vorort. Doch die Community hat ihre Helden und einen zeitgenössischen Ausdruck des Protests gefunden.

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„Unsere Kunst spiegelt unsere Realität wider“
Denn N.W.A. artikulieren mit viel Dringlichkeit und vor allem mit mächtigen Beats, was ohnehin allen auf den Lippen liegt: „Fuck tha police“ etwa. Und sie beschreiben das Lebensgefühl in ihrer Heimatstadt („Straight Outta Compton“) und jenes der Straße und der dortigen Verdienstmöglichkeiten („Gangsta, Gangsta“) in der dafür originären Sprache. So hat man das noch nie gehört - auch die Obrigkeit nicht: Das FBI verortete damals den Aufruf von Gewalt gegen die Polizei – ein Geschenk des Marketinghimmels. Natürlich wollte Amerikas Jugend damals wissen, wie Musik klingt, von der sich das FBI bedroht fühlt.
Erstaunliche Aktualität
Gray, der in den frühen 1990ern vor allem Musikvideos drehte, taucht mit „Straight Outta Compton“ in einen sozialen Brennpunkt der USA der mittleren Achtzigerjahre ein. Wenige Jahre später gingen genau von diesen Zentren schwarzen Lebens die Proteste gegen den Freispruch der Polizisten im Fall Rodney King aus, die im Jahr 1992 in Los Angeles zu Randalen mit Schäden in Milliardenhöhe führten. Die Bilder gingen um die Welt.

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N.W.A. auf dem Weg zum Erfolg
Doch besonders bemerkenswert ist die erstaunliche Aktualität der Kinobilder in „Straight Outta Compton“. Der durchaus brutal in Szene gesetzte Film lässt auch medial wenig Geschulte an aktuelle Bilder nach polizeilichen Übergriffen an Schwarzen in den USA denken. Wenig überraschend, dass der Film in den USA zum Kassenschlager wurde, der auch in der zweiten Woche seiner Spielzeit die Kinocharts anführt. Hier flimmert in einem musikhistorischen Film absurderweise ein aktuelles Problem über die Leinwand.
Das gute Bling-Bling-Leben
Für N.W.A. geht es steil nach oben, und wie es sich für eine Karriere im Musikgeschäft gehört, geht es auch wieder steil bergab: zu viel Geld, Drogen, Frauen, Manager und „Freunde”. Gray hat diese frühe Zeit des Gangsta-Rap bemerkenswert glaubwürdig in Szene gesetzt. Exzess, Gewalt und Party gibt es am laufenden Band. Easy E verstarb 1995 an Aids.
„Straight Outta Compton“ ist nicht nur Drama. Der Film inszeniert den sozialen Aufstieg und das damit verbundene gute Leben mit viel Bling-Bling in rasantem Tempo. Die außerordentlich lässige Musik tut ihr Übriges. Dr. Dre produzierte mit „Compton“ sein erstes Soloalbum seit 16 Jahren. Er ist genauso wie sein ehemaliger Kollege Ice Cube auch in die geschäftliche Seite des Films involviert - mehr dazu in Der unerwartete Soundtrack von Dr. Dre.
Mediale Entschuldigung
In den USA wurde bereits Kritik laut, dass Dr. Dre, der wegen mehrerer Vorfälle von Gewalt gegen Frauen aktenkundig ist, im Film etwas gar gut wegkommt und die gewalttätige Seite des Produzentengenies (2Pac Shakur, Snoop Dogg, Eminem, 50 Cent) mehr oder weniger unter den Tisch fällt. Dr. Dre entschuldigte sich vor Kurzem in einem Statement in der New York Times für diese Vorfälle von vor 25 Jahren.
Hinweis
„Straight Outta Compton“ ist ab Donnerstag im Kino zu sehen.
Ice Cube Jr. gibt den Papa
Doch insbesondere haben die Macher des Biopic tolle Arbeit beim Casting geleistet. Ice Cube wird von seinem Sohn O’Shea Jackson Jr. dargestellt. Nicht nur die N.W.A.-Mitglieder flimmern authentisch über die Leinwand: Auch die Darstellung von Charakterköpfen wie Snoop Dogg ist außerordentlich gelungen.
Dabei ist „Straight Outta Compton“ ein Biopic, das nicht nur Hip-Hop-Sozialisierte begeistern wird. Der Film gräbt weit unter die musikalische Oberfläche ins Gesellschaftliche. Und „Straight Outta Compton“ zeigt auch die Anfänge einer heute fest in der Alltagskultur verankerten Ästhetik sehr eindrücklich.
Johannes Luxner, ORF.at
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