Themenüberblick

3.000 Flüchtlinge campieren in Calais

Großbritannien will sich angesichts der herrschenden Flüchtlingskrise offenbar noch stärker abschotten. London will Polizisten nach Frankreich schicken, um gemeinsam mit französischen Kollegen den Ärmelkanal-Tunnel zu schützen und den Kampf gegen Schleuser zu verstärken.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die Verfolgung „organisierter Krimineller“, die versuchten, Migranten illegal nach Nordfrankreich und durch den Ärmelkanal nach Großbritannien zu bringen, sei das Ziel der geplanten neuen Kommando- und Kontrollzentrum in der nordfranzösischen Hafenstadt Calais, hieß es am Donnerstag aus dem britischen Innenministerium.

Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve und seine britische Kollegin Theresa May haben dazu am Donnerstag eine Vereinbarung unterzeichnet. Das Kommandozentrum in Calais soll die Zusammenarbeit der Polizeibehörden beider Länder intensivieren und gleichberechtigt von einem britischen und einem französischen Chef geleitet werden.

Das Abkommen sieht auch stärkere Sicherheitsvorkehrungen am Hafen der Stadt und am Eurotunnel sowie einen verstärkten Kampf gegen Schlepperbanden vor. Genannt wurden hier etwa zusätzliche Frachtdurchsuchungen, Überwachungskameras, Flutlichtanlagen und Infrarottechnik.

„Starkes Signal“

Cazeneuve und May besuchten am Donnerstag auch das Eurotunnel-Gelände in Coquelles nahe Calais. „Nötig ist ein sehr starkes Signal hier in Calais, dass man nicht einfach so die Grenze überqueren kann“, sagte Cazeneuve. Schleuserbanden müssten wissen, „dass in Calais keine Grenzüberquerung möglich ist“.

Der Touquet-Vertrag von 2003

In Calais verhindern französische Polizisten, dass Migranten auf Lastwagen mit Ziel Großbritannien klettern. Eine Grundlage für diese Situation ist ein Vertrag aus dem Jahr 2003. Im nordfranzösischen Le Touquet vereinbarten Paris und London damals eine engere Zusammenarbeit im Kampf gegen Schlepper und illegale Einwanderung.

Zugleich soll mit dem nun getroffenen Abkommen auch die humanitäre Hilfe für die Migranten in Calais ausgebaut werden - „besonders für den Schutz der am stärksten gefährdeten Personen“. London sagte in diesem Zusammenhang in einer gemeinsamen Erklärung über zwei Jahre zehn Millionen Euro für die Betreuung von Flüchtlingen in Frankreich zu.

Stacheldraht und Spürhunde

Noch Ende Juli gab es mehr als 2.000 Versuche pro Nacht, durch den Eurotunnel nach Großbritannien zu flüchten. Diese Zahl ging aufgrund der verstärkten Sicherheitsvorkehrungen in den vergangenen Wochen zurück. Angaben von BBC zufolge versuchen derzeit rund 150 Flüchtlinge pro Nacht, von Calais an Bord von Güterzügen und Lastwagen nach Großbritannien zu reisen.

Allein London ließ sich die Stacheldrahtzäune, verstärkten Polizeikontrollen mit Spürhunden und andere Sicherungsmaßnahmen zehn Mio. Euro kosten, muss sich aber mit Frankreich dafür Kritik vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gefallen lassen. Demzufolge seien Zäune keine Lösung. Vielmehr machte der UNHCR Paris und London für die Krise mitverantwortlich.

Die nun getroffenen Maßnahmen wurden vom UNHCR nun ausdrücklich gelobt. „Ich begrüße es, dass beide Regierungen ein gemeinsames Herangehen an die komplexe Situation in Calais vereinbart haben“, erklärte UNO-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres am Donnerstag.

Cameron verteidigt Strategie

Schätzungen zufolge campieren nach wie vor rund 3.000 Flüchtlinge in Calais, in der Hoffnung, von dort nach Großbritannien zu gelangen. Sie leben unter miserablen Bedingungen in einem selbst errichteten Zeltlager. Hilfsgruppen erwarten, dass die Zahl der Bewohner dieses als „Neuer Dschungel“ bekannt gewordenen Lagers bis Ende des Monats auf 4.000 wächst.

Flüchtlingscamp "Jungle" bei Calais

Reuters/Regis Duvignau

Rund 3.000 Flüchtlinge campieren in einem improvisierten Lager in Calais

Erst am Wochenende rechtfertigte der britische Premier David Cameron seine Politik. Ein „Schwarm“ von Menschen komme auf der Suche nach einem besseren Leben über das Mittelmeer. Großbritannien habe immer großzügig Asyl gewährt, aber „wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen in unser Land eindringen“. Nach Angaben von Eurotunnel wurden von Jahresbeginn bis Ende Juli 27.000 Migranten abgefangen. Mindestens neun starben.

Calais will Entschädigung

Angesichts der vielen Flüchtlinge in der Stadt forderte die Bürgermeisterin von Calais, Natacha Bouchart, mit Blick auf die britisch-französische Vereinbarung eine Entschädigung in Höhe von 50 Millionen Euro von Frankreich und Großbritannien: „Es ist unerlässlich, von ihnen ab morgen finanzielle Entschädigungen zu fordern, um die wirtschaftlichen Nachteile abzumildern.“

Wenn Geld für Sicherheit und humanitäre Hilfe bereitgestellt werde, müsse auch Geld für die Wirtschaft übrig sein. Falls die Regierungen in Paris und London nicht auf ihre Forderung eingingen, sehe sie sich „in der Pflicht anzugreifen, Klage einzureichen gegen die Regierung, gegen die französisch-britischen Staatsbehörden, um Entschädigungsurteile herbeizuführen“, drohte die Kommunalpolitikerin.

Links: