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Premier legt Mandat zurück

Gut zwei Monate nach der Parlamentswahl in der Türkei sind die Koalitionsgespräche in der Türkei endgültig gescheitert. Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu gibt noch am Dienstagabend den Auftrag zur Regierungsbildung zurück an Präsident Recep Tayyip Erdogan.

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Zuletzt waren am Montag die Gespräche über eine Koalition zwischen der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP und der rechtsnationalistischen MHP gescheitert. Davutoglu sagte, die MHP sei weder zu einer Koalition noch zur Duldung einer AKP-Minderheitsregierung bereit.

„Nach den Gesprächen von gestern bleibt keine Option für die Partei,“ so ein Vertreter der AKP. Eine vorgezogene Neuwahl wird damit äußerst wahrscheinlich. Eigentlich hätte die AKP noch bis zum 23. August Zeit gehabt, sich mit den Oppositionsparteien auf eine Koalition zu einigen. Nun ist es wahrscheinlich, dass Präsident Erdogan die Übergangsregierung unter Führung der AKP auflösen und eine weiteres Übergangskabinett bilden lässt, das dann einen neuen Urnengang vorbereiten soll.

Kurdenpartei will sich beteiligen

An ihm müssten alle vier im Parlament vertretenen Parteien AKP, MHP, die sozialdemokratische CHP und die prokurdische HDP beteiligt sein. Die wichtigste türkische Mitte-links-Partei CHP hat angekündigt, ihre Beteiligung an einer möglichen neuen Übergangsregierung an die Teilnahme der prokurdischen HDP zu knüpfen.

„Wenn sich die HDP nicht am Übergangskabinett beteiligen will, werden wir das auch nicht tun“, sagt der CHP-Vizechef Engin Altay am Dienstag. Die prokurdische Oppositionspartei HDP erklärte daraufhin, sich im Fall von Neuwahlen an einer Übergangsregierung zu deren Vorbereitung beteiligen zu wollen.

CHP: Erdogan „größtes Hindernis“ für Koalition

Die Opposition vermutet, dass Erdogan seit der Wahlschlappe seiner AKP auf eine Neuwahl hinarbeitet, um seinen Machtanspruch in der Türkei doch noch ohne Einschränkungen durchzusetzen. „Hinter den Koalitionsspielchen wurde die letzte Gardine zugezogen“, war am Dienstag in der linken Tageszeitung „Bir Gün“ zu lesen.

CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu erklärte zuvor gegenüber der Zeitung „Hürriyet“, Erdogan sei „das größte Hindernis“ auf dem Weg zu einer Koalition. Erdogan selbst wurde von türkischen Medien mit der Aussage zitiert, dass die „türkische Nation“ die Gelegenheit haben sollte, den „Fehler“ der letzten Parlamentswahl zu „korrigieren“.

Opposition kann Mehrheit nicht nutzen

Die AKP hatte bei der Wahl im Juni ihre absolute Mehrheit verloren und ist auf einen Koalitionspartner angewiesen. Zwar hätte auch die Opposition aus CHP, ultrarechter MHP und prokurdischer HDP ausreichend Sitze, um eine Regierung zu stellen. Die MHP verweigert aber jede Zusammenarbeit mit der HDP. Die HDP hat eine Koalition mit der AKP ausgeschlossen. Beide Parteien liegen ohnehin wegen der zunehmenden Gewalt zwischen der Regierung und der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) über Kreuz.

Anschläge auf PKK sollen Erdogan Wähler bringen

Seit knapp einem Monat lässt Erdogan nun wieder Lager der PKK im Nordirak bombardieren, in der Türkei selbst verschärfen kurdische Extremisten ihre Angriffe auf die Sicherheitskräfte. Der 2013 ausgerufene Waffenstillstand liegt in Scherben und mit ihm die Stabilität, die er dem Land brachte. Allein in der Türkei leben zehn bis 15 Millionen Kurden, und die Führung in Ankara will einen Kurdenstaat verhindern.

Was den neu entfachten Kurdenkonflikt angeht, könnte Erdogan aus politischem Kalkül mit dem Feuer spielen, vermuten manche Experten. Sollte die Gewalt andauern, könnte das der AKP nationalistische Wähler zutreiben und nicht kurdische Wähler, die beim Urnengang im Juni der Kurdenpartei HDP ihre Stimme gaben, an die gewalttätige Seite des kurdischen Nationalismus erinnern. Sollte die AKP wieder die nötige Mehrheit gewinnen, will Erdogan die Umwandlung des Landes in eine Präsidialrepublik nach dem Vorbild Frankreichs oder der USA vorantreiben.

Riskante Taktik

Dennoch fährt die AKP eine riskante Taktik, denn laut aktuellen Umfrageergebnissen wird sie bei einer Neuwahl sogar Stimmen verlieren. Laut einer am Dienstag veröffentlichten Wahlumfrage des Meinungsforschers Murat Gezici würden 39,2 Prozent der Befragten der AKP ihre Stimme geben. Bei der Parlamentswahl am 7. Juni war die Regierungspartei noch auf knapp 41 Prozent gekommen. Zulegen würde hingegen die prokurdische HDP, sie käme bei einer Neuwahl derzeit auf 14,1 Prozent. Damit würde die HDP erneut klar die Zehnprozenthürde überspringen. Die prokurdische Partei hatte bei der Parlamentswahl 13 Prozent erreicht.

Unwägbarkeiten vertreiben Investoren

Vorerst sorgt der Machtpoker Erdogans und seiner AKP allerdings vor allem für die tiefste Unsicherheit in dem Land seit mehr als zehn Jahren: Die türkische Lira stürzte auf Rekordtiefstände, und die verschlechterte Sicherheitslage sowie die politischen Unwägbarkeiten schrecken zunehmend Investoren ab. Nach Einschätzung von Ökonomen dürfte das eine deutliche Delle im Wirtschaftswachstum der Türkei hinterlassen.

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