„Nestwärme“ vs. Millionenpublikum
Zahlreiche gefeierte Jungautoren aus Österreich haben in den vergangenen Jahren den Sprung zu einem großen deutschen Verlagshaus gewagt. Was den Literaten im besten Fall zu nachhaltigem Erfolg verhilft, bereitet vielen kleinen heimischen Verlagshäusern Probleme. Sie haben zahlreiche Talente aufgebaut und gefördert, von den Früchten ihrer Arbeit sehen sie jedoch wenig.
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Dass sich die Autorenschaft neben Ruhm und Ehre auch Vorschusszahlungen, hohe Auflagen und gute Absatzzahlen wünscht, ist verständlich. Viele gefeierte Nachwuchsliteraten zieht es aus diesem Grund zu größeren deutschen Verlagshäusern, die einen viel größeren Buchmarkt bedienen. Das wiederum verspricht – in der Theorie – mehr Lohn im Verhältnis zu den zahllosen Stunden Schreibarbeit. Zudem zahlen die deutschen Verlage den Autoren oftmals wesentlich höhere Vorschüsse.
„Das liebe Geld“ ist nur eine Seite der Medaille
„Das liebe Geld“ habe bei seiner Entscheidung, vom österreichischen Residenz Verlag zum Münchner C.H. Beck Verlag zu wechseln, natürlich eine Rolle gespielt, erzählt der vielfach ausgezeichnete Autor und Übersetzer Michael Stavaric. Würde man die Zeit, die man an einem Roman arbeitet, verrechnen, sei das Feld allerdings „unter aller Sau“, sagt Stavaric.

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Autor und Übersetzer Michael Stavaric
Allerdings sei Geld natürlich nur eine Seite der Medaille. Viel wichtiger sei ihm „die Verbreitung der Botschaft“. Viele seiner Kollegen würden Stavarics Aussagen wohl zustimmen, kaum ein Autor schreibt nur des Geldes wegen.
Theoretisches Schlaraffenland
Für junge Autoren ist Deutschland, zumindest was die Kennzahlen des Buchmarktes betrifft, ein Schlaraffenland: Laut dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels sind 2014 insgesamt 87.134 Titel in Deutschland erschienen. Dabei muss angemerkt werden, dass diese Zahl die niedrigste seit zehn Jahren ist. In Österreich wurden dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels zufolge im selben Zeitraum rund 9.000 Bücher publiziert.
Die dafür verantwortliche heimische Verlagslandschaft besteht aus Einmannbetrieben wie dem Luftschacht Verlag bis hin zu mittelständischen Unternehmen wie Residenz und Deuticke. Wobei gerade die beiden Verlage Deuticke und Zsolnay in Wien eine Ausnahme bilden: Seit 2004 gehören sie zum Münchner Verlagshaus Hanser, wo auch Vertrieb, Marketing und Herstellung abgewickelt werden. Ein Garant für die Hausautoren, auch auf dem deutschen Buchmarkt präsent zu sein.
Auf der Suche nach dem Bestseller
Eines haben die großen wie die kleinen Verlage in In- und Ausland jedoch gemein: die Suche nach gut verkäuflichen Autoren. Entdeckt werden junge Talente bei Literaturveranstaltungen wie Poetry Slams, durch Empfehlungen und manchmal auch in den sich türmenden Bergen der unverlangt eingesandten Manuskripte.
Martina Schmidt, Programmleiterin bei Deuticke, erhält täglich drei bis fünf unverlangt eingereichte Manuskripte von Verlagssuchenden allein mit der Post, wie sie gegenüber ORF.at berichtet. Die vielen unliebsamen Einreichungen via E-Mail sind dabei nicht mitgezählt.
Abwanderung der Autoren für Verlage schmerzvoll
Das Problem von abwandernden Autoren kennt Schmidt nur zu gut, denn als Deuticke noch keinen großen Verlag als starken Partner auf deutschem Terrain vorweisen konnte, hat sie viele gute Autoren verloren. In ihrer Zeit als Lektorin wechselte manch eine ihrer literarischen Entdeckungen wie Daniel Kehlmann oder Radek Knapp nach Deutschland. Kehlmanns Weg führte ihn von Deuticke über Suhrkamp zum Rowohlt Verlag, während Knapp bei Piper in München eine neue Heimat fand.
Der Weggang von eigenen Autoren sei eine schmerzvolle Erfahrung, erzählt die studierte Germanistin. Auch bedeutet das Abwandern von Talenten wie Kehlmann, in die man Zeit und Geld investiert hat, eine neu zu füllende Lücke für den verlassenen Verlag. Jeder neue Autor braucht circa drei Buchveröffentlichungen, bis er auf dem Markt etabliert ist. Diesen finanziell aufwendigen Weg gehen Autor und Verlag zusammen und leisten damit einen Beitrag für die gemeinsame Zukunft.
Sucht sich der literarische Hoffnungsträger zu einem Zeitpunkt einen neuen Verlag, an dem sich für den Entdeckerverlag das Investment noch nicht ausgezahlt hat, kann das monetäre Einbußen bedeuten. Verlässt ein Autor, der erfolgreich zu werden verspricht, den Verlag, beginnt die Arbeit von vorne: Ein Talent muss gesucht, gefunden und aufgebaut werden, denn das Verlagsprogramm muss gefüllt werden.
Erfolg als trügerische Verführung
Für die Autoren ist das Engagement bei einem großen deutschen Verlag durchaus mit Risiken behaftet. Während die halbjährlich neu vorgestellten heimischen Literaturprogramme mit nur wenigen Neuerscheinungen bestückt werden, ist die Liste der neuen Bücher in großen Verlagshäusern oft lang. Manch ein Autor, der im eben verlassenen kleinen Verlag noch in der ersten Reihe präsentiert wurde, findet sich im neuen plötzlich in der dritten wieder.
Für die Literaten ist es Abwägungssache: Ein großer Verlag im Hintergrund bringt Prestige, dafür ist man einer von vielen potenziellen Bestsellerautoren. Nicht zu unterschätzen ist auch die höhere Verkaufserwartung vonseiten des Verlags nach einem Wechsel. Während in einem österreichischen Verlag eine bestimmte Anzahl an verkauften Büchern bereits als positives Ergebnis bewertet wird, wird die gleiche Zahl verkaufter Exemplare in einem großen deutschen Verlagshaus oftmals als Flop angesehen.
Kleine Verlage schreiben Autorenbetreuung groß
Günther Eisenhuber, Lektor bei Jung und Jung in Salzburg, rät Autoren, die ein Angebot von einem deutschen Verlag haben, nachzudenken und „sich zu fragen, ob sie es je wieder so gut haben werden". Allein selig machend sei ein Wechsel zu einem Verlag mit großer Vertriebs- und Marketingmaschinerie nicht, denn gerade in kleineren österreichischen Verlagen wird Autorenbetreuung groß geschrieben.

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Jungstar Clemens Setz wanderte zum Suhrkamp Verlag ab
Eisenhuber hat für seinen früheren Arbeitgeber, den Residenz Verlag, Shootingstars wie Clemens Setz und Milena Michiko Flasar entdeckt. Nach den jeweils ersten zwei Texten wanderten die beiden vielversprechenden Talente nach Deutschland ab. Setz wechselte zum renommierten Suhrkamp Verlag, während Flasar zum nicht minder anerkannten Klaus Wagenbach Verlag ging und mit ihrem dort publizierten dritten Buch, „Ich nannte ihn Krawatte“, einen vielbesprochenen Verkaufserfolg erzielen konnte. Eisenhuber beschreibt seine Gefühle über den Weggang der Autoren mit Wut und Enttäuschung, Freude und Stolz. „Meistens auch in dieser Reihenfolge“, ergänzt er.
Nestwärme innerhalb der Landesgrenzen
Deuticke-Programmleiterin Schmidt ist zudem überzeugt, dass der österreichische Buchhandel und die Presse durchaus patriotisch seien und die Produktionen und Debüts der heimischen Verlage gut im Blick hätten. Hier sammelt der Standort Österreich neben der guten Autorenbetreuung in den einzelnen Verlagen Pluspunkte gegenüber Deutschland, wo ein aufstrebender neuer Autor oft nur mittels großen Marketingaufwands medial wahrgenommen wird.
„Es gibt kein Debüt aus Österreich, das sich die Buchhändler nicht hinlegen und die Presse nicht mal freundlich anschaut. Das soll man nicht unterschätzen, das passiert in Deutschland so nicht. Da gibt es in Österreich noch eine gewisse Nestwärme“, sagt Schmidt.
Ein Kommen und Gehen
Die Trennung von Autor und Verlag erfolgt meist einvernehmlich, denn von Verlagsseite habe es keinen Sinn, jemanden, der gehen will, zum Bleiben zu überreden, sind sich Schmidt und Eisenhuber einig. „Zum Problem für einen Verlag wird die Abwanderung erst, wenn man die Ausfälle in der Programmplanung nicht auffangen kann“, so Schmidt.
Zu jener Zeit, als Setz und Flasar abwanderten, schloss der Residenz Verlag Verträge mit Angelika Reitzer, Kurt Palm und Max Blaeulich. "Letztlich sind die einen, die gehen, wie die anderen, die kommen, auch Beispiele dafür, dass man erfolgreich und gut arbeitet“, sagt Eisenhuber über seine Zeit beim Residenz Verlag, für den er bis 2013 tätig war.
Interessant ist bei den drei genannten Autoren ein Blick auf ihren vorherigen Verlagsstandort. Alle drei wechselten nämlich von einem kleineren zu einem größeren österreichischen Verlag. Das zeigt, dass es sich bei der Verlagsrochade um ein Problem handelt, das nicht nur Österreich und Deutschland betrifft, sondern es macht klar, dass die Wechsel auch innerhalb der Landesgrenzen kein unbekanntes Phänomen darstellen.
Neu ist nicht gleich besser
„Wenn jemand in Österreich einige Bücher mit ganz gutem Erfolg veröffentlicht hat und glaubt, dass es mit einem deutschen Verlag automatisch besser wird, dann stimmt das so nicht. Da gibt es auch Gegenbeispiele“, sagt Schmidt. Einige Autoren schätzen die persönliche Autorenbetreuung der österreichischen Verlage und kehren nach einem Wechsel nach Deutschland wieder nach Österreich zurück.
So veröffentlichte die Klagenfurter Autorin Lydia Mischkulnig ihren ersten Roman beim Grazer Verlag Droschl, den zweiten bei Haymon in Innsbruck und zwei weitere bei der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart. Mittlerweile ist sie Stammautorin bei Haymon. Auch die in Wien lebende serbische Schriftstellerin Barbi Markovic hat dem Suhrkamp Verlag den Rücken gekehrt und wird im Frühjahr im Residenz Verlag ein neues Buch vorlegen.
Spezialfall Glattauer
Auch Bestsellerautor Daniel Glattauer ist – trotz des Welterfolgs seiner Bücher – seinem Wiener Verlagsteam treu geblieben. Entdeckt wurden die literarischen Fähigkeiten des ehemaligen Journalisten von Schmidt, die ihn zu Deuticke holte.

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Bestsellerautor Daniel Glattauer ist seinem Verlag treu geblieben
„Glattauer, der immer Angebote von anderen großen Verlagen hatte und hat, hat immer gesagt, er fühet sich hier wohl und gut betreut. Ihm ist die familiäre Stimmung im Team wichtig“, erzählt sie.
Das Stück vom Kuchen
Stavaric wurde nach der Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Preis von mehreren Verlagen angesprochen und erzählt, dass er die Angebote mit seinem damaligen Lektor besprochen habe. „Mit Literatur lässt sich kaum Geld verdienen – die Ausnahmen sind schnell aufgezählt. Die meisten Verlage müssen sich gute Literatur leisten können bzw. sich mit kleinen Gewinnen zufrieden geben“, so der Schriftsteller.
Denn der Verdienst an einer Buchveröffentlichung bringt dem Textproduzenten, gesehen an der Verteilung des gesamten „Kuchens“, meist am wenigsten Geld ein. So verdient der Staat durch die steuerlichen Abgaben von zehn Prozent oft mehr als der Autor, wenn dessen Tantiemen unter dieser Grenze liegen.
Verhandlungsgeschick gefragt
Wie groß die Unterschiede nach einem Verlagswechsel für den Einzelnen sind, ist von vielerlei Faktoren und dem Verhandlungsgeschick des Autors oder seines Literaturagenten abhängig. Zahlen und Fakten zu aufgelegten Büchern, Vorschusszahlungen und vereinbarte Tantiemen zwischen Autor und Verlag sind ein gut gehütetes Geheimnis.
Während Verlage wie Suhrkamp die verlegten Autoren durch ihr Prestige in Literaturkreisen „adeln“, ist der Verlagsname für die meisten Leser unbedeutend. Schmidt dazu: „Es gibt Studien, die belegen, dass der Buchkäufer keine Unterschiede zwischen den Verlagen macht und auch nicht weiß, bei welchem Verlag ein eben gekauftes oder gelesenes Buch erschienen ist.“
Carola Leitner, ORF.at
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