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Amazon dominiert Innenstadt

Die US-Stadt Seattle ist stark geprägt vom weltweit größten Onlinehändler Amazon, der seine Zentrale statt am Stadtrand mitten in der Stadt hat. Obwohl Seattle von Amazons stetigem Wachstum auch stark profitiert, mehrt sich die Kritik an der Dominanz des Internetkonzerns.

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Amazon ist aus der Innenstadt Seattles, wo der US-Händler im Stadtteil South Lake Union seine Büros hat, nicht wegzudenken. Amazon-Chef Jeff Bezos begann zwar wie viele andere Gründer vor über 20 Jahren in einer Garage in einem Vorort Seattles, doch im Gegensatz etwa zu Microsoft, das in das 25 Kilometer entfernte Redmond zog, wollte Amazon in die Stadt.

Amazons Wachstum der vergangenen Jahre zeigt sich direkt in dem ehemals günstigen Stadtteil: Der Onlinehändler hatte 2014 rund acht Prozent der städtischen Büroflächen in Verwendung, 2016 und 2017 sollen noch weitere Gebäude dazugemietet werden, schreibt die „Seattle Times“.

Kräne

downtownseattle.com

Dutzende Kräne prägen das Stadtbild Seattles rund um Amazons neue Zentrale

Amazon soll dann zehn Mio. Quadratfuß, umgerechnet 929.030 Quadratmeter, Bürofläche zur Verfügung haben - das wäre die höchste Konzentration von Bürofläche in den USA bei einem einzigen Anbieter. Damit könnte Amazon auch seine Mitarbeiterzahl von derzeit rund 20.000 auf 50.000 deutlich aufstocken, rechnen US-Medien vor. Bereits jetzt ist der Onlinehändler der größte Arbeitgeber der Stadt.

Stadtlage als Anreiz für Mitarbeiter

Die Expansionspläne greifen zudem direkt in die Architektur und Stadtplanung Seattles ein. Der im Bau befindliche neue Amazon-Campus soll laut Plänen des Architekturbüros NBBJ integraler Bestandteil der Innenstadt von Seattle werden. Der Campus soll aber nicht nur für Amazon-Angestellte nutzbar sein, sondern die Umgebung für alle Bewohner Seattles attraktiver machen, so NBBJ in der Beschreibung des Projekts. So soll etwa der Park für die Öffentlichkeit zugänglich sein, Amazon baut zudem Infrastruktur wie Spuren für Radfahrer.

Rendering

NBBJ

Der neue Amazon-Campus ist geprägt von drei riesigen Kugeln

Die städtische Lage hat viele Vorteile für die Mitarbeiter, die Amazon so für sich gewinnen möchte. Bei Microsoft nutzt rund die Hälfte den firmeneigenen Pendlerbus - bei Amazon kommen mehr als die Hälfte der Angestellten mit Bus, Fahrrad oder zu Fuß. Viele Mitarbeiter hätten gar kein Auto, so Amazon gegenüber der „New York Times“ („NYT“). Auch sind viele Appartements zu Fuß erreichbar, was eher ungewöhnlich für die USA ist. Das Angebot an kulturellen und kulinarischen Vergnügungen ist in der Innenstadtlage ebenfalls deutlich besser.

Mieten um 37 Prozent gestiegen

Seattle profitiert sehr von Amazons Wirtschaftskraft und kommt dem Anbieter auf vielen Ebenen entgegen. Amazon zog und zieht zudem viele weitere Firmen an - darunter auch etliche aus dem IT-Bereich wie etwa Google und Facebook, die von der dort geballten Zahl an Programmierern profitieren möchten und Seattle als Wirtschaftsstandort weiter stärken. Seattle zählt mittlerweile zu einer der am schnellsten wachsenden Städte der USA, in den kommenden 20 Jahren sollen 120.000 neue Bewohner und 115.000 neue Jobs in der Stadt entstehen.

Häuser

Jeff Reifman

Die bisherigen Einfamilienhäuser werden immer öfter abgerissen und durch mehrstöckige Appartementgebäude ersetzt

Die Stadt steht damit allerdings auch vor zahlreichen Herausforderungen. Die Straßen sind überlastet, und Seattle muss unter anderem den öffentlichen Verkehr deutlich ausbauen. Und die Mieten sind zuletzt enorm gestiegen, laut Marktbeobachtern seit 2010 um 37 Prozent. Die durchschnittliche Miete liegt derzeit bei rund 2.300 US-Dollar - das ist bald das Doppelte des nationalen Durchschnitts. Lokale Händler leiden unter dem Druck von Amazons umfassendem Sortiment, die Bevölkerung wird laut Erhebungen zudem immer mehr von wohlhabenden Weißen dominiert.

Sexbusiness erlebt Hochblüte

Ein weiteres Problem sorgte erst vor Kurzem für Aufregung: Laut dem ehemaligen Microsoft-Mitarbeiter und Berater Jeff Reifman ist es immer schwieriger, Frauen in Seattle zu treffen, wenn Mann entsprechend auf der Suche ist. Auf 130 Männer kommen demnach 100 Frauen. Das Sexbusiness erlebe eine Hochblüte, heißt es in einem Beitrag im „Seattle Magazine“. Frauen berichten, dass die immer an Arbeit denkenden „Geeks“ nur bedingt geeignet für Dates seien. Drei Viertel der Amazon-Mitarbeiter sind laut einem „Politico“-Artikel männlich.

Kritiker warnen vor Boeing-Effekt

Mittlerweile mehren sich kritische Stimmen, die davor warnen, zu sehr auf nur einen großen Arbeitgeber zu setzen. Als Beispiel wird dabei oft der Flugzeugbauer Boeing zitiert, der nach dem Zweiten Weltkrieg und Anfang der 1970er Jahre aus wirtschaftlichen Gründen die Zahl seiner Mitarbeiter radikal reduziert und Seattle damit hohe Arbeitslosenzahlen beschert hatte.

Das Schicksal Detroits, das sich vom Niedergang der Automobilindustrie nicht mehr richtig erholte, blieb Seattle aufgrund der vielen hochqualifizierten Arbeiter zwar erspart - in den 1970er Jahren hatte die Stadt mit fast zwölf Prozent dennoch die höchste Arbeitslosenquote der USA nach der Depression.

Befürworter der Amazon-Strategie halten dem entgegen, dass es Amazon war, das nach dem Zusammenbruch der Bank Washington Mutual für den Umschwung gesorgt hatte. Mittlerweile nahm sich auch die Politik breiter des Themas an: Seattles Bürgermeister Ed Murray kündigte zuletzt eine eigene Koordinationsstelle für öffentliche Investitionen in Verkehr, Grünflächen und Wohnprojekte an. Erst vor wenigen Monaten gestand Murray ein, dass die Stadtverwaltung mit dem schnellen Wachstum der vergangenen Jahre nicht Schritt gehalten hat und einiges aufholen muss.

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