Erneut Dutzende Menschen angekommen
Auf der griechischen Insel Kos hat die Polizei 1.000 Menschen in der Nacht auf Mittwoch in einem Fußballstadion festgehalten. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtete von zahlreichen medizinischen Notfällen. Eine Sprecherin der Organisation beschrieb die Situation als „außer Kontrolle“ und kritisierte das unkoordinierte Vorgehen der griechischen Behörden.
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Außer der Polizei sei niemand zugegen gewesen, beschrieb Ärzte-ohne-Grenzen-Sprecherin Julia Kourafa die Situation gegenüber dem britischen „Guardian“. Als die Polizei eine „Schallbombe“ - eine lärmende, nicht tödliche Waffe - zur Beruhigung der aufgeheizten Lage eingesetzt habe, habe man sich zurückgezogen. Es sei das erste Mal gewesen, „dass wir so etwas in Griechenland erlebt haben“, so Kourafa. Unter den in dem Stadion eingepferchten Menschen seien Mütter mit Kindern und ältere Personen gewesen. „Sie wurden dort eingesperrt, nach Stunden in der Sonne.“

Reuters/Alkis Konstantinidis
Tausende Flüchtlinge warten auf Kos auf ihre Registrierung
Die Flüchtlinge stammen aus zahlreichen, auf der Insel verteilten inoffiziellen Lagern. Laut Polizei wurden sie ins Stadion gebracht, um sie schneller registrieren zu können. Allerdings seien nur drei Polizisten da gewesen, um die Anliegen der Migranten zu bearbeiten, kritisierte Kourafa. Das habe zu Spannungen unter den Flüchtlingen und zwischen den Menschen und den Sicherheitskräften geführt.
NGO: EU muss „umgehend“ handeln
Angesichts der prekären Lage - zeitweise gab es nicht genügend Nahrungsmittel zur Versorgung der Menschen - hat die Hilfsorganisation am Mittwoch die EU und die griechischen Behörden in die Pflicht genommen. Sowohl die örtlichen Behörden als auch die EU müssten „umgehend“ handeln, die Aufnahmebedingungen für die Schutzsuchenden müssten „dringend“ verbessert werden, kritisierte Brice de le Vingne, Leiter der für Kos verantwortlichen Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen: „Bisher hatten wir einen Zustand staatlicher Untätigkeit, jetzt wendet die Polizei zunehmend Zwangsmaßnahmen gegen diese verletzlichen Menschen an.“

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Wegen fehlender Unterkünfte müssen viele Asylwerber im Freien schlafen
Dienstagfrüh hätten sich sogar rund 2.000 Personen in dem Stadion befunden, darunter viele Familien mit Babys und Kleinkindern. „Sie warteten bei 32 Grad in der prallen Sonne auf eine Möglichkeit, der Polizei ihre Namen zu übermitteln, um sich registrieren zu lassen. Die Polizei war angesichts der Menschenmenge überfordert“, so Ärzte ohne Grenzen. Journalisten und Helfer hatten berichtet, dass Polizisten auch Schlagstöcke einsetzten.
Die Behörden auf Kos hätten deutlich erklärt, dass sie nicht die Absicht haben, die Situation für die mehrheitlich aus Syrien und Afghanistan stammenden Flüchtlinge zu verbessern, „weil sie denken, das würde einen ‚Pull-Faktor‘ darstellen. Aber Menschen, die vor Krieg fliehen, werden weiterhin kommen - unabhängig davon, ob die Behörden versuchen, sie aufzuhalten, oder nicht“, betonte De le Vingne.
Weitere Flüchtlinge wagen Überfahrt
Unterdessen erreichten Dutzende Männer, Frauen und Kinder Mittwochfrüh die griechische Insel. Sie hätten die etwa drei Stunden dauernde Überfahrt von der Türkei aus in Schlauchbooten bewältigt, berichtete die Nachrichtenagentur AP. Nach ihrer Ankunft seien die Flüchtlinge zu einem Marsch in die vier Kilometer entfernte Inselhauptstadt aufgebrochen.
Allein im Juli waren mehr als 7.000 Flüchtlinge auf Kos angekommen, doppelt so viele wie im Juni. Wegen fehlender Erstaufnahmeeinrichtungen hatten die meisten von ihnen Zelte in den öffentlichen Parks und auf den Plätzen in der Stadt Kos aufgeschlagen. Insgesamt waren heuer bereits 125.000 Menschen auf der Ägais-Insel gelandet, im gesamten Jahr 2014 waren es knapp 30.000 gewesen.
Unterbringung auf Fähre
Die griechische Regierung hat indes bekanntgegeben, eine Fähre als Notunterkunft für Flüchtlinge zur Verfügung stellen zu wollen. „Wir haben beschlossen, sofort ein Schiff nach Kos zu schicken“, hieß es in einer Erklärung des griechischen Staatsministers Alekos Flambouraris am Mittwoch. An Bord der Fähre sollten etwa 2.000 bis 2.500 Menschen aufgenommen und versorgt werden.
Die Migranten sollen dort auch registriert werden, hieß es. „Wir hoffen, dass die EU zur Handhabung dieser immer größer werdenden humanitären Krise beitragen wird“, sagte Flambouraris weiter. Zudem sollen 250 weitere Polizeibeamte auf die Insel beordert werden, wie griechische Medien meldeten.
Bürgermeister befürchtet „Blutvergießen“
Auf der Insel könnte es zu Gewalt kommen, wenn nicht sofort Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung getroffen würden, schrieb der Bürgermeister der Insel, Giorgos Kyritsis, am Dienstag an die Regierung in Athen. „Ich warne davor, die Gefahr eines Blutvergießens ist real“, so der Bürgermeister. Der Brief wurde am Dienstag in der griechischen Presse veröffentlicht.
Wie Reporter auf der Insel berichteten, blockierten Flüchtlinge Dienstagfrüh die Küstenpromenade des Hauptortes der Insel. Sie forderten lautstark Papiere, um die Insel zu verlassen und weiter nach Mitteleuropa zu reisen. Im kleinen Stadion der Insel kam es laut Augenzeugenberichten zu Schlägereien unter Flüchtlingen. Es gebe keine Toiletten und kein frisches Wasser. „Die Menschen warten seit mehr als zehn Tagen hier. Wenn das Europa ist, dann gehen wir lieber zurück nach Syrien, nach Mali oder in den Jemen“, sagte Flüchtling Mohammad Sharif Award gegenüber der deutschen Tagesschau.
Türkei will Überfahrten verhindern
Die türkischen Behörden wollen unterdessen Tausende Flüchtlinge im Westen des Landes an der Überfahrt ins nahe Griechenland hindern. Die meist syrischen Flüchtlinge, die sich im westtürkischen Izmir für die Fahrt auf die griechische Insel Chios versammelt haben, sollen zunächst in ein Fußballstadion gebracht und später in Lagern untergebracht werden, meldete die Zeitung „Hürriyet“.
Begründet werde das mit Hygiene- und Sicherheitsrisiken in Zusammenhang mit den Flüchtlingen in Parks und auf Plätzen in Izmir. Seit etwa zwei Wochen tauchen in Izmir und anderen Städten der türkischen Ägäis-Küste immer mehr Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak auf, die nach Griechenland wollen. Da sie keine Unterkünfte finden, warten sie in Parks und auf den Straßen darauf, von Schleppern nach Griechenland gebracht zu werden. Laut „Hürriyet“ soll das nun unter anderem mit verstärkten Straßenkontrollen der Polizei eingedämmt werden.
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